Der Reichtum, der unsre Armut schafft
Die weltweite kapitalistische Krise geht in ihr drittes Jahr. Längst haben sich die noch bis zum Herbst vergangenen Jahres beschworenen Hoffnungen, die Auswirkungen der Krise ließen sich auf bestimmte Teile des Weltfinanzmarktes begrenzen und von der sogenannten Realwirtschaft fernhalten, als Illusion erwiesen. Ende September hatten in Luxemburg 122 Betriebe fast 10.000 Beschäftigte auf Kurzarbeit gesetzt, was für die Betroffenen und ihre Familien erhebliche Lohneinbußen zur Folge hat. Gleichzeitig gab es über 17.000 Arbeitslose, die die Konsequenzen der Krise Tag für Tag am eigenen Leib erfahren.
Doch von den allermeisten Opfern wird das Krisengeschehen noch immer als Konsequenz fahrlässiger oder schuldhafter Regelverstöße einzelner Akteure gedeutet, als Sonderfall, der künftig durch staatliche Intervention verhindert werden muß, um wieder dem kapitalistischen Normalfall zum Durchbruch zu verhelfen.
Tatsächlich jedoch zeigt sich in der zyklischen Krise der Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft. Die Kapitalverwertung gerät ins Stocken. Das gesellschaftlich erarbeitete Produkt, das sich der Einzelkapitalist privat aneignet, findet seinen Weg nicht zurück in die Geldform. So zeigt sich die Krise als Unterkonsumption aus Sicht der Schaffenden und als Überproduktion aus Sicht des Kapitals, das keine zahlungsfähige Nachfrage mehr findet.
Zur zyklischen Krise kommt es, weil die Proportionen zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren gestört sind. Um krisenfrei funktionieren zu können, müßten in der gesamten Wirtschaft immer genug Löhne gezahlt werden, damit alle erzeugten Konsumgüter gekauft werden können. Auch die Maschinen und Ausrüstungen der Fabriken müßten sich so abnützen, daß immer so viel nachgefragt wird, wie neu auf den Markt kommt. Import und Export einer Volkswirtschaft müßten sich anpassen, der Kredit den Planungen für die Zukunft.
Die seit 1825 in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen auftretenden kapitalistischen Krisen sind unvermeintlich, weil einerseits die Produktion des materiellen Reichtums vergesellschaftet ist, also von der Zusammenarbeit der Mitglieder der Gesellschaft abhängt, aber andererseits die Aneignung des Reichtums privat erfolgt, er also den Eigentümern der Produktionsmittel, der Kapitalistenklasse, gehört.
Auch in vorkapitalistischen Zeiten gab es Krisen, die jedoch stets von Not und Armut herrührten, also aus einem Mangel heraus entstanden. Seit der Kapitalismus das herrschende Wirtschaftssystem ist, ist das anders. Heute entstehen Wirtschaftskrisen, weil zuviel Reichtum da ist. Denn die Ware Arbeitskraft bringt dem Kapitalisten mehr ein als sie ihn kostet. »Die Arbeit kann uns lehren, und lehrte uns die Kraft, den Reichtum zu vermehren, der unsre Armut schafft.« heißt es in »Dem Morgenrot entgegen«, einem im kaiserlichen Deutschland entstandenen Lied der Arbeiterjugend.
Heute kommt es noch immer darauf an, den Schaffenden klarzumachen, daß das kapitalistische System schuld an ihrer Misere ist, weshalb das Programm der KPL zu den Parlaments- und EU-Wahlen vom 7. Juni den Untertitel »Den Kapitalismus nicht retten, sondern abschaffen!« trug.
Weiter heißt es in der Präambel: »Denn es kann keine Lösung der Krise im Interesse der Schaffenden geben, ohne generell dieses Gesellschaftssystem, das immer wieder Krisen produziert und sie in der Vergangenheit mehr als einmal mit Kriegen löste, in Frage zu stellen, abzuschaffen und durch ein sozialistisches Gesellschaftssystem zu ersetzen, das auf der Macht der Schaffenden, auf sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden beruht.«
Oliver Wagner