Gegen Revision der Geschichte
Italiens Antifaschisten verurteilen Haltung der Regierungschefin zum Massaker der SS im März 1944
Italiens faschistische Regierungschefin Giorgia Meloni hatte Ende März den Geiselmord an 335 Antifaschisten, Regimegegnern und Juden vor 79 Jahren in Rom zum Anlaß für üble geschichtsrevisionistische Äußerungen genommen. Dies haben vom Partisanenverband ANPI über den sozialdemokratischen Partito Demokratico (PD), die Fünf-Sterne-Bewegung M5S und das Bündnis Linke und Verdi (Grüne) bis zu den Kommunisten mit Maurizio Acerbo vom PRC und linken Medien wie dem »Il Manifesto« sowie dem Onlineportal »Contropiano« entschieden verurteilt.
Den Gedenkfeiern mit Staatspräsident Sergio Mattarella am 24. März am Denkmal an der Hinrichtungsstätte in den Fosse Ardeatine blieb Meloni fern. In einer Mitteilung zu diesem Tag erklärte sie, 335 »Italiener« seien von den Nazibesatzungstruppen als Vergeltung für den Partisanenangriff in der Via Rasella »barbarisch abgeschlachtet« worden. Doch zu den Tätern gehörten auch italienische Mussolini-Faschisten. Das ignoriert die Chefin der aktuellen Regierung.
Der Partisanenverband ANPI wies darauf hin, daß der Polizeipräsident des Marionettenregimes Mussolinis in der Salo-Republik aktiv an der Aufstellung der Liste der Geiseln beteiligt war. Die Sekretärin des Präsidiums der Abgeordnetenkammer, Chiara Braga vom sozialdemokratischen PD, informierte Meloni: Die Geiseln wurden zur Vergeltung umgebracht, weil sie Partisanen, Politiker, Juden, Oppositionelle waren. Roberto Fico vom M5S stellte klar, es werde nicht zugelassen, daß die Geschichte »umgeschrieben wird«.
Legitimer Angriff
Nach 1945 von rechten und faschistischen Kreisen – und auch jetzt wieder vom Senatspräsidenten Ignazio La Russa von Melonis Partei »Brüder Italiens« (FdI) – wurde verbreitet, der Angriff auf eine Kompanie des Regiments »Bozen« (Südtirol) in der Via Rasella in Rom, den 33 Uniformierte nicht überlebten, sei eine illegitime Operation gewesen. Tatsächlich handelte es sich um eine in »voller Rechtmäßigkeit« durchgeführte »Aktion des Krieges«, wie das Appellationsgericht in Rom bereits 1954 nachgewiesen hatte.
Aus Rache wurden 335 Geiseln ermordet. Die Erschießungen leitete der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler. Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa in seinem Buch »Il Caso Kappler« von 1977 nachwies, »der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos«, ein »besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete«.
Kappler befahl, für jeden bei dem Angriff Getöteten zehn Italiener zu erschießen. Die Opfer wurden in die Fosse Ardeatine (Sandsteinhöhlen) an der Via Appia Antica bei Rom getrieben, wo sie in Gruppen zu fünf Mann niederknien mußten und durch Genickschüsse ermordet wurden. Am Ende waren mehr als nur 330 Personen zusammengetrieben worden. Um keine Mitwisser am Leben zu lassen, wurden die weiteren fünf auch noch umgebracht.
Nicht einfach nur »Italiener«
Opfer dieses Verbrechens wurden Menschen verschiedener politischer Richtungen, Klassen und Altersstufen. Von den Faschisten ermordet wurden: Der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Giuseppe C. L. di Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Pilo Albertelli von der radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simone Simoni, Veteran des Ersten Weltkrieges, General Dardano Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division »Ariete«, die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitlerwehrmacht entgegengetreten war, der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte. Unter den Getöteten waren 134 Arbeiter, Angestellte oder Beamte. 38 waren Offiziere, darunter fünf Generäle. Zwölf Opfer waren Bauern, neun Studenten, fünf Industrielle, und einer war Priester. Das jüngste Opfer des Massakers war 15 Jahre, der älteste 74.
SS-Mann Kappler wurde von einem italienischen Gericht nach 1945 zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen einer Krebserkrankung genoß er seit März 1976 Haftverschonung. 1977 gelang ihm mit Hilfe von Komplizen die Flucht in die BRD, wo der Kriegsverbrecher im Februar 1978 in Freiheit starb.