Luxusware Wasser
Geringes Interesse Frankreichs an Überseedepartements. Pandemie nicht einziges Problem
Mayotte, die Inselgruppe im Indischen Ozean, wurde am 31. März 2011 zum 101. Departement Frankreichs erklärt. Die ehemalige Sklavenkolonie der Republik gehört seither sogar zur Europäischen Union – als »Gebiet in äußerster Randlage«. Besser geht es den rund 270.000 Menschen dadurch nicht. Knapp die Hälfte haust in Blechhütten, fließendes Wasser gibt es nicht. Händewaschen ist sogar in der Hauptstadt Mamoudzou mit ihren knapp 55.000 Einwohnern ein Luxus. Seit Jahren grassiert das Denguefieber, nun breitet sich die Covidseuche schlagartig aus. Leiden müssen auch ihre »Landsleute« auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe und Martinique: Das in den Bananenplantagen ausgetragene Pestizid Chlordecon hat das Grundwasser verseucht.
»Die Entwicklung der Epidemie ist unter Kontrolle«, verkündete Frankreichs Ministerpräsident Édouard Philippe am 19. April während einer Pressekonferenz in Paris. Die Verbreitung des Coronavirus sei in den Überseegebieten »schwach«, und die medizinische Versorgung habe »standgehalten, dank der nationalen Solidarität«. Eine Analyse, die, wie sich wenig später zeigte, an der Realität weit vorbeiging. Seit Philippe und sein Präsident Emmanuel Macron in Mayotte, Guadeloupe und Martinique ihren gegen die Seuche ausgerufenen »Krieg« voreilig als quasi gewonnen betrachteten, ist dort die Zahl der vom Virus getöteten Einwohner rasch gestiegen.
Die Pandemie ist für die Menschen auf Mayotte allerdings nicht die erste und auch nicht die schlimmste Katastrophe. Seit Jahren kämpfen sie gegen das von Stechmücken übertragene Denguefieber, das vor allem die Alten und Schwachen hinwegrafft. Seit Ausbreitung des Coronavirus, wissen sie nicht einmal mehr, an welcher der beiden Seuchen ihre Kranken in den vergangenen beiden Monaten gestorben sind. Im 101. Departement gelten, wie Philippe betonte, »die selben Einschränkungen« wie im »Kernland«. Soll heißen: Ausgangssperre, geschlossene Geschäfte und Restaurants, Reiseverbot. Bestimmungen, die sich für die Menschen auf Mayotte als zusätzliche schwere Belastung erwiesen haben.
Weil die Insel hauptsächlich von Einfuhrzöllen und dem Geld, das die von Paris auf Zeit entsandten Staatsfunktionäre dort ausgeben, lebt, haben die Regierungsmaßnahmen den allgegenwärtigen »Hunger und den Wassermangel« noch verschärft, wie am 16. April sogar die Überseeministerin Annick Girardin vor der Nationalversammlung einräumte. Trinkwasser zapfen die Menschen in den Armenvierteln auf Mayotte aus lediglich 150 sogenannten Bornes fontaines, Brunnen in fragwürdigem Zustand, die für jeweils einige hundert Blechhüttenbewohner reichen müssen. Ernähren müssen sich die Mahorais seit Ende März von Lebensmittelrationen, die das Rote Kreuz und die Armee verteilen.
Anders liegt der Fall in Guadeloupe und Martinique. Dem Pariser Nachrichtenportal »Mediapart« schilderte der Präsident des »Wasserkomitees Guadeloupe«, Ismar Oguenin, jüngst die ganz besondere Katastrophe dort: »Man muß wissen, daß es uns nicht an Wasser mangelt, wir haben sogar viel davon. Leider ist unser Netz so löchrig, daß wir viel mehr produzieren müssen, als wir tatsächlich verbrauchen.« Rund 62 Prozent des »behandelten Wassers« sei »verloren«. Die Betonung liegt auf »Behandlung«. Auf Guadeloupe und Martinique ist praktisch das gesamte Ackerland vom Pestizid Chlordecon verseucht, das – als es in Europa längst verboten war – dort noch Jahrzehnte in den Bananenplantagen versprüht wurde.
Chlordecon ist im Grundwasser angekommen und macht vor allem den Männern zu schaffen. Auf den beiden Inseln registrierte das Nationale Institut für Statistik mit einer 2018 durchgeführten Studie die weltweit höchste Rate an Prostatakrebs. Ein »Umweltskandal«, wie sogar Macron 2018 bei einem Besuch auf Guadeloupe befand. Welche Rolle der französische Staat dabei spielte, ist derzeit Gegenstand einer von der Justiz angeordneten Untersuchung.
Hansgeorg Hermann, Paris
Präsident Macron bei enem Besuch in Goyave, Guadeloupe, am 28. September 2018 (Foto: EPA-EFE/THOMAS SAMSON)