Alles Krise
Banken, Proteste, Präsidentenwahl – der Libanon kommt nicht zur Ruhe
Der offizielle Kurs liegt nach wie vor bei 15.000 Libanesischen Lira für einen US-Dollar, tatsächlich aber hat die Lira einen neuen Tiefstand erreicht: Es braucht auf dem Schwarzmarkt 100.000 Lira, um einen US-Dollar zu kaufen. Supermärkte verkaufen ihre Ware gegen Valuta, die Verarmung der Bevölkerung geht weiter. Wieder gibt es Proteste gegen Banken, die Guthaben, wenn überhaupt, nur zögerlich oder erst nach Drohung mit Waffengewalt an ihre Besitzer herausgeben.
Vor Beginn der Wirtschaftskrise 2019 lag der Kurs bei 1.500 Lira pro US-Dollar. Aber seitdem hält die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Krise im Libanon an. Noch immer ist eine nur kommissarische Regierung im Amt. Und nach dem Ende der Amtszeit des vorigen Präsidenten Michel Aoun ist es in zehn Wahlgängen nicht gelungen, einen Nachfolger zu wählen.
Die Hisbollah unterstützt Suleiman Frangieh vom »Marada Movement« als Kandidaten für das Präsidentenamt, auf der anderen Seite steht Michel Moawad. Er genießt beträchtliche Unterstützung vonseiten der USA und der – nach seinem Vater benannten – philanthropischen »Rene Moawad Foundation«, die vermehrt Aktivitäten in den USA verfolgt. Moawad traf sich Anfang März mit der USA-Botschafterin Dorothy Shea und betonte ihr gegenüber, er würde nie einen Präsidenten akzeptieren, der die Hisbollah repräsentiert.
Walid Dshumblat von der »Progressive Socialist Party« argumentierte für Kompromißkandidaten. Die Situation in der Region habe sich geändert. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, zwischen der Türkei und Syrien und zwischen Syrien und Saudi-Arabien könnte auch die Möglichkeit für einen erleichterten Dialog im Libanon bieten.
Den beiden vorerst wichtigsten Kandidaten dürfte es weiterhin schwerfallen, die Stimmen einer Mehrheit von 65 Abgeordneten im libanesischen Parlament zu erlangen. Die Verhandlungen gehen also weiter.
Mittlerweile sind libanesische Banken wieder geschlossen – aus Protest gegen vom libanesischen Bankenverband als willkürlich bezeichnete gerichtliche Maßnahmen. Mit Beginn der Finanzkrise hatten libanesische Banken eigenmächtig und ohne Regulierung durch den Staat Beschränkungen verhängt, so daß Kunden kein Geld mehr abheben oder überweisen konnten. Richter wollten die Banken nun dazu zwingen, Guthaben an ihre Kunden zurückzuzahlen, womöglich in US-Dollar und zum Kurs von 1.500 Lira pro US-Dollar. Einige Richter versuchten sogar, die Gelder von Bankdirektoren oder Vorstandsmitgliedern zu beschlagnahmen.
Nachdem das Parlament auch im elften Wahlgang keinen Präsidenten gewählt hatte, kam es im Bankenviertel am 24. März zu neuen Protesten. Reifen wurden verbrannt, Böller gezündet, eine große Zahl von Sicherheitskräften wurde gegen die Proteste eingesetzt. Tage zuvor war es schon zu ähnlichen Szenen gekommen. Da waren die Demonstranten überwiegend ehemalige Sicherheitskräfte, die den aktiven Sicherheitskräften gegenüberstanden. Sie forderten eine Anpassung ihrer Renten an die Inflation. Die Demonstranten trugen libanesische Fahnen mit sich und ihre früheren Dienstabzeichen. Wiederholt versuchten sie, zum Dienstsitz des Ministerpräsidenten durchzubrechen. Und diese Proteste dauern an.
Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds kam zur gleichen Zeit zu der Erkenntnis, daß der krisengeschüttelte Libanon vor einem gefährlichen Moment stünde. Sie kritisierte den langsamen Fortschritt der nötigen Reformen, um Milliardenkredite freigeben zu können.
Polizisten und Militärs im aktiven Dienst haben weniger Sorge: Sie wurden zum ersten Mal von den USA und Katar gesponsort – in US-Dollar.