Vor 75 Jahren
Attentat auf Togliatti
Die Italienische Kommunistische Partei sollte per Blutbad liquidiert werden
Es war 11.35 Uhr, als Palmiro Togliatti, der Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) am 14. Juli 1948 während einer Sitzungspause der Abgeordnetenkammer den Palazzo Montecitorio durch einen Seitenausgang verließ, um mit seiner Lebensgefährtin Nilde Jotti in der gegenüberliegenden Bar »Da Giolitti« in der Via Uffici del Vicario einen Kaffee zu nehmen. Nur wenige Meter vor ihm zog ein Faschist namens Antonio Pallante einen Revolver und feuerte vier Schüsse auf ihn ab.
Während Togliatti, von drei Kugeln im Nacken und in der Brust getroffen, ohne einen Laut von sich zu geben auf die Knie sank, traf ihn der vierte Schuß in die Herzgegend. Pallante war ein aktiver Faschist, in der im Herbst 1943 von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht errichteten Repubblica Sociale Italiano (RSI) Mitglied der Jugendorganisation Gioventú Italiana del Littorio und gehörte nach der Niederlage im August 1945 zu den Gründern der Sammlungsbewegung Uòmo Qualunque (Jedermann) zur Wiedergründung der Partei des »Duce«. Er ließ sich widerstandslos von den Sicherheitsbeamten festnehmen.
Der Mordanschlag fand in einer Periode erbitterter Klassenauseinandersetzungen auf nationaler und internationaler Ebene statt. Mit der Verkündung der Truman-Doktrin und des Marshallplans hatte der Kalte Krieg begonnen. Die Gründung der NATO, für die Italien als Südflanke strategische Bedeutung erhielt, stand bevor. Aktiv unterstützt von den USA, die ihre Besatzungstruppen in dem Mittelmeerland belassen hatten, betrieben die reaktionären und Rechtskräfte die Restauration der Herrschaft des Großkapitals, dem entscheidenden Träger der faschistischen Diktatur von 1922-1945. Im Dezember 1946 hatte sich Uòmo Qualunque als Movimento Sociale Italiano (MSI) als Nachfolger der Partei des »Duce« konstituiert.
Im April 1948 fanden in einer antikommunistischen Kreuzzugatmosphäre die ersten Parlamentswahlen statt. Die Democrazia Cristiana (DC), nunmehr führende Partei der Großbourgeoisie, die 1946 in der Verfassungsgebenden Versammlung nur auf 35,2 Prozent gekommen war, erzielte mit 48,5 Prozent einen triumphalen Wahlsieg. Es war jedoch nicht gelungen, Kommunisten und Sozialisten eine Niederlage beizubringen. Beide Arbeiterparteien, die durch ein im antifaschistischen Widerstand 1934 geschlossenes Aktionseinheitsabkommen verbunden waren, das auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft orientierte, hatten auf einer Volksfrontliste 31 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Sie waren entschiedene Gegner der kapitalistischen Restauration und eines italienischen NATO-Beitritts.
Führende Kraft war die über zwei Millionen Mitglieder zählende PCI. Um sie auszuschalten und einen Keil in die Aktionseinheit zu treiben, inszenierte man in Washington den Mordanschlag auf Togliatti. Er sollte die PCI und ihre Anhänger zum bewaffneten Aufstand provozieren, um sie per Blutbad liquidieren zu können.
Basis drängte
zum Aufstand
Fast schien die Rechnung aufzugehen. Zwar gab es keinen Aufstandsplan, von dem in die bürgerliche Presse lancierte Berichte schrieben, die außerdem eine »Invasion von Titos Volksarmee« erfanden – wohl aber die Bereitschaft Hunderttausender, auf die Provokation mit bewaffnetem Widerstand zu antworten. Während vor der Klinik, in der der lebensgefährlich verletzte PCI-Generalsekretär operiert wurde, 200.000 Menschen schweigend vorbeizogen und im alten Stadtteil Trastevere Frauen vor Heiligbildern für Togliattis Genesung beteten, formierte sich in der Innenstadt eine riesige Menschenmenge zu einer Kundgebung, auf der das Mitglied der PCI-Leitung Eduardo D'Onofori sprach.
Als der Rundfunk die Nachricht verbreitete, Togliatti liege im Sterben, riefen Sprechchöre dem Redner zu: »Gib uns das Startzeichen!« Gleichzeitig begann, ohne daß es dazu einen Aufruf der Partei gab, ein Generalstreik, wie ihn das Land bis dahin nicht gesehen hatte.
Nicht nur Mitglieder und Sympathisanten der PCI, sondern auch Sozialisten und viele andere Kräfte der Resistenza, darunter der linken Basis der Christdemokraten, drängten zum Aufstand. Angehörige der auf Weisung der USA 1946 aufgelösten Partisanenarmee, die bei Kriegsende über 250.000 reguläre Kämpfer gezählt hatte, holten ihre Waffen aus Verstecken und traten den gegen die Streikenden und Demonstranten vorgehenden Armee- und Polizeieinheiten entgegen. In Genua stoppten sie Panzerwagen und nahmen ihre Besatzungen gefangen.
In Hunderten Städten und Gemeinden übernahmen Streikleitungen die Macht. Bei FIAT in Turin besetzten die Arbeiter die Fabrik und nahmen Direktor Vittorio Valletta, unter der Mussolini-Diktatur ein verhaßter Wirtschaftsführer, sowie über ein Dutzend Mitglieder der Konzernleitung fest. Bei den bewaffneten Zusammenstößen gab es 20 Tote und über 600 Verletzte. Die Leitung der PCI rief am zweiten Tag dazu auf, den Generalstreik zu beenden. Es gelang der Parteiführung, ihre Basis vom Aufstand abzuhalten, vor dem der schwerverletzte Togliatti, bevor er operiert wurde, eindringlich gewarnt hatte.
Eine bewaffnete Erhebung hätte in einen blutigen Bürgerkrieg übergehen und mit einem Eingreifen der USA-Truppen zu einer reaktionären Wende führen können. Eine physische Abrechnung mit der PCI wäre die Folge gewesen. Die faschistische Entwicklung hätte einen unausweichlich stärkeren Auftrieb erhalten. Die Entwicklung in Griechenland vermittelte aufschlußreiche Lehren. Dort hatten die Armeen Britanniens und der USA zur Niederschlagung der antifaschistischen Befreiungsbewegung und der Partisanen der ELAS einen bis 1949 dauernden Bürgerkrieg angezettelt, der zu einer reaktionären Wende führte.
Von Ausnahmen abgesehen, konnte die PCI-Führung ihrer Basis die umstrittene Entscheidung verständlich machen: Als der genesene Togliatti sie auf dem Pressefest der »L'Unità« am 27. September 1948 erläuterte, stimmten ihm die mehr als 500.000 Teilnehmer zu.
Massive Repression
Ministerpräsident Alcide De Gasperi von der DC kündigte unmittelbar nach Beginn des Generalstreiks den »Einsatz sämtlicher staatlicher Machtmittel« an. Polizei und Armee gingen rücksichtslos vor. 92.169 Personen wurden verhaftet, darunter 73.780 Kommunisten, in erster Linie Arbeiter. Von den über 70.000 davon später vor Gericht Gestellten waren ebenfalls die meisten Kommunisten. 19.306 der Angeklagten, darunter 15,429 Kommunisten, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bei FIAT und in weiteren Unternehmen versuchten die Konzernleitungen, an den Protestaktionen beteiligte Arbeiter zu entlassen, was nach der Ankündigung neuer Streiks eingestellt wurde.
Wenn es auch nicht gelang, eine reaktionäre Wende herbeizuführen, setzte nach dem Mordanschlag eine massive Repression ein. Opfer waren weiter vor allem Mitglieder der PCI und ihre Anhänger. Bis Mitte 1950 gab es bei Auseinandersetzungen mit Großagrariern, Faschisten und Zusammenstößen mit der Polizei 62 Tote, darunter 48 Kommunisten. 3.126 Personen, wurden verletzt, davon 2.367 Kommunisten.
Palmiro Togliatti charakterisierte das als einen »Übergang von dem auf einer demokratischen Verfassung begründeten Regime zu einem Regime der Willkür und der Repressalien gegen die Staatsbürger«.
Pallante wurde wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt, die in der Kassation auf zehn Jahre und acht Monate verkürzt wurden. Davon verbüßte er fünf Jahre und drei Monate. 1953 wurde er nach einer Amnestie entlassen.

