Ausland12. Oktober 2021

Frankreichs Faschisten mit neuem Tribun

Rechtsintellektueller Zemmour will Präsident werden. Macrons früherer Premier Philippe stellt eigene Rechtspartei vor

von Hansgeorg Hermann

Sorgen muß sich Frankreichs neoliberaler Präsident Emmanuel Macron vorerst nicht machen. Vorerst. In allen Meinungsumfragen zur Präsidentschaftswahl im kommenden April, gegen welchen potentiellen Gegner auch immer, liegt der »Weder rechts noch links«-Politiker vorn. Ein neuer Wettbewerber ist am Samstag in Le Havre ins Rampenlicht getreten, Macrons früherer Premierminister Édouard Philippe, der ab sofort eine eigene Partei führen will. Allerdings nicht, um Macron Konkurrenz zu machen, sondern – wie er behauptet – um das rechte politische Spektrum kräftig zu erweitern.

Philippe will nicht als Präsidentschaftskandidat antreten, sondern als loyaler Unterstützer des früheren Patrons einer weiten rechtsliberalen Bewegung. Heftigen Gegenwind bekommen dagegen Marine Le Pens Faschisten: Der Rechtsintellektuelle Éric Zemmour ruft sich gegenwärtig zum neuen Tribun aller militanten Rassisten und Islamverächter aus und erreicht Spitzenwerte.

Philippe, der Macron rund drei Jahre als Premier treu zur Seite stand, wagt den Spagat, mit seiner neugegründeten Partei Horizons nicht gegen den ehemaligen Chef anzutreten und dennoch dessen 2016 eigens als Präsidentenwahlverein gegründete Bewegung La République en Marche (LREM) schwer in die Seite zu fahren. Macrons absolute Mehrheit, die er in der Nationalversammlung mit der neoliberalen Formation Mouvement démocrate (Modem) hält, bröselt schon lange.

Der ungemein populäre Philippe könnte vor allem Modem bedrohen und dessen seit Jahrzehnten im rechtsliberalen Spektrum die Fäden ziehenden Führer François Bayrou aus dem Verkehr ziehen. Philippe könnte, ohne seine Loyalität gegenüber Macron zu opfern, als alter und neuer, durchaus mächtiger Hauptakteur in die überregionale, wenn nicht internationale Politik zurückkehren.

Bei den Kommunalwahlen im Juli des vergangenen Jahres sicherte sich der bärtige, hochgewachsene Normanne das Rathaus seiner Heimatstadt Le Havre. Als Bürgermeister kümmerte er sich seither offiziell um die Sorgen der Seeleute und Reeder, während er ohne viel Getöse im Hintergrund seinen viel weiter reichenden politischen Ambitionen folgte. Sein bester Verbündeter war dabei von jeher der frühere Außenminister unter der Präsidentschaft des Rechtskonservativen Nicolas Sarkozy, die graue Eminenz der moderaten politischen Rechten, Alain Juppé. Sie unterstützt seit 2017 Macron, sie treibt aber auch die Sorge um, Le Pen und ihre im Rassemblement National (RN) versammelte Faschistentruppe könnte eines Tages doch noch die Oberhand gewinnen.

Sicher scheint, daß die Kandidatin Le Pen derzeit nur von der bürgerlichen Rechten – also von Macron selbst oder dessen rechten Konkurrenten Xavier Bertrand und Valérie Pécresse, auch sie ehemalige Minister bei Sarkozy – geschlagen werden kann. Nichts anderes geben aktuelle Meinungsumfragen her. Die Linke, Jean-Luc Mélenchon, und den Ökokandidaten Yannick Jadot, läßt Le Pen lässig hinter sich. Aussicht auf Erfolg hätte im direkten Duell, wenn es beim zweiten Wahlgang zu einer solchen Konstellation käme, nur die sozialdemokratische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo; deren Chancen gegen Le Pen stehen in den Umfragen des Ifop-Instituts bei 50 zu 50.

Wenig Beachtung gefunden hatten bislang die Chancen eines möglichen neuen Bewerbers und harschen Gegners des amtierenden Präsidenten, der sich vom äußersten rechten politischen Rand in die bürgerliche Mitte geschlichen hat. Zemmour, Journalist beim rechtskonservativen Pariser Journal »Le Figaro«, verurteilter rassistischer Hetzer und Verächter des Islam, kam jüngst auf 17 Prozent Zustimmung und verdrängt in der Szene die nach zwei Wahlniederlagen ausgebrannt wirkende Marine Le Pen.

Deren Vater, der Altfascho Jean-Marie Le Pen, hat sich bereits auf Zemmours Seite geschlagen. Und in den meisten Quasselrunden der französischen Fernsehsender ist der erfolgreiche Buchautor längst ein wichtiger, wenn auch ungern gesehener Gast, der mit seinen rassistischen Ausfällen Quote bringt.