Ausland12. April 2019

Amnesie als Programm

Bei Indonesiens bevorstehender Präsidentenwahl bleibt die Vergangenheit tabuisiert

Am 17. April werden in Indonesien, dem mit ca. 265 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten und größten Land Südostasiens, über 192 Millionen Wahlberechtigte an die Urnen gerufen. Sie sollen über einen neuen Präsidenten, Vizepräsidenten und die Neubesetzung des Parlaments abstimmen.

In der sich heute als »drittgrößte Demokratie der Welt« bezeichnenden Republik Indonesien gibt es nur zwei politische Tandems, die ernsthafte Siegchancen haben, was die Besetzung des Präsidentenamtes und seines Vizes betrifft. Wie bereits bei der Wahl vor fünf Jahren stehen sich auch diesmal der frühere Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, Joko Widodo (kurz »Jokowi« genannt), und der frühere Generalleutnant Prabowo Subianto als Hauptkonkurrenten gegenüber. 2014 gewann Widodo mit 53 Prozent der Stimmen. Die Medien des Landes priesen ihn damals als volksnahen Schreinersohn und ehrbaren Bürger – kurz: ein südostasiatisches Pendant zu Barack Obama. Subianto hingegen, ein Schwiegersohn des langjährigen Diktators Suharto (1965–98), tat sich schwer, seine Niederlage anzuerkennen. Er zog vor Gericht – letztlich erfolglos.

Für Überraschung sorgte die Nominierung der jeweiligen Vizepräsidenten. Während Amtsinhaber Widodo den 75-jährigen erzkonservativen Geistlichen Ma’ruf Amin zu seinem Kandidaten für das Amt machte, präsentierte Prabowo Subianto im August vergangenen Jahres mit dem 49-jährigen Unternehmer Sandiaga Uno einen Mann, der politisch bis dahin ein unbeschriebenes Blatt war. Das aber hat sich seit dessen Nominierung geändert, die »Jakarta Post« bezeichnete Sandiaga Uno Mitte März als »populärere Hälfte des politischen Paars«.

Seit Mitte Januar lieferten sich die beiden Tandems drei »Duelle« im Fernsehen, unterm Strich gibt es zwischen den Kontrahenten dabei kaum Unterschiede. Die politische Hauptbotschaft beider Teams gipfelte darin, den Inselstaat »erfolgreich« zu machen und »in die Zukunft zu führen«.

Ein Tabu bleibt bei alledem noch immer, Licht auf die sy­stematischen Verbrechen in der Vergangenheit zu werfen. Unter dem Vorwand, eine Machtübernahme der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI), die Mitte der 1960er Jahre nach eigenen Angaben etwa drei Millionen Mitglieder zählte und somit nach der Kommunistischen Partei Chinas und der KPdSU die weltweit drittstärkste kommunistische Partei stellte, zu vereiteln, inszenierten Suharto und ihm treu ergebene Kumpane im Militär Anfang Oktober 1965 einen Putsch auf Raten. Sie nannten das den Aufbau einer »Neuen Ordnung«. Was unter anderem Reinhard Gehlen, dem ersten Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und während des Zweiten Weltkriegs in Hitlers Generalstab für die militärische Ostaufklärung zuständig, seinerzeit veranlaßte, Suhartos präventive Konterrevolution im Geiste des Kalten Krieges ausdrücklich zu loben. Die Geheimdienstkontakte zwischen der BRD und Indonesien gestalteten sich so innig, daß der BND sogar eine »legale Residentur« in der BRD-Botschaft in Jakarta einrichten konnte.

Während der Fernsehauftritte kommentierte Präsident Joko Widodo dieses Kapitel der eigenen Geschichte als »Last« der »Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit«. Konkreter wurde er nicht, sondern wich im Folgenden aus auf die Bedeutung des Kampfes gegen Korruption und die Bedrohung des Terrorismus.
Bemerkenswert hingegen waren die Äußerungen zu diesem Thema vom ehemaligen General Prabowo Subianto: »Ich habe als junger Mann und Offizier Erfahrungen im Antiterrorkampf gewonnen und dabei gelernt: Terrorismus wird aus dem Ausland importiert.« Terrorismus nur ein Importartikel? Das sagt ein Mann, der u.a. für sein staatsterroristisches Draufgängertum im von Indonesien Ende 1975 völkerrechtswidrig annektierten Osttimor bekanntgeworden ist. Gelernt hat er sein Handwerk dazu bei militärischem Drill in Fort Bragg und Fort Benning, beide in den USA, sowie bei der GSG-9 in Hangelar bei Bonn.

Rainer Werning

Präsident Joko Widodo (2.v.r.) und sein Vizepräsidentenkandidat Ma’ruf Amin (r.), Prasidentschaftskandidat Prabowo Subianto (2.v.l.) und sein Vize Sandiaga Uno (l.) bei der Ziehung der Listennummern in Jakarta am 21. September 2018 (Foto: EPA-EFE)