Die Botschaft der »Haselnuß«
Der Einsatz der russischen Hyperschall-Rakete mit dem Codenamen »Oreschnik« ist eine deutliche Warnung an die Ukraine und die NATO
Der Ukraine-Konflikt ist »dank« wiederholter westlicher Provokationen zur gefährlichsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg geworden. Sogar Einheiten der Strategischen Raketentruppen Rußlands kamen jetzt erstmalig zum Einsatz. Die Botschaft an die NATO war unmißverständlich. Aber wurde sie verstanden?
Am 21. November 2024 wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der russischen Militärstrategie aufgeschlagen. An diesem Tag setzte die Russische Föderation ihre Strategischen Raketentruppen erstmals in einem realen Kampfeinsatz ein. Dieser Schritt markiert eine historische Eskalation und rückt die strategische Bedeutung dieser Einheit ins Rampenlicht, die seit ihrer Gründung in der Sowjetunion als die »Truppe der Apokalypse« bekannt ist.
Die Strategischen Raketentruppen sind ein eigenständiger Zweig der russischen Streitkräfte, der die Verantwortung für das interkontinentale Raketenarsenal trägt. Sie sind mit einer Feuerkraft ausgestattet, die theoretisch in der Lage ist, eine globale Katastrophe auszulösen. In der Zeit der Existenz der Sowjetunion standen sie mehrfach in höchster Alarmbereitschaft, insbesondere während der Kubakrise im Oktober 1962 und bei Zuspitzungen der Lage in den 80er Jahren. Bis zu diesem Novembertag im Jahr 2024 wurden die Truppen noch nie in einem realen Kampfeinsatz verwendet.
Der Kontext des
Einsatzes der »Oreschnik«
Der Ukraine-Konflikt hatte sich in den Monaten zuvor zu einer der gefährlichsten Sicherheitskrisen der modernen Geschichte entwickelt. Die westliche/ukrainische Seite ignorierte wiederholt russische Warnungen, Angriffe mit Langstreckenraketen gegen russisches Territorium wie Brjansk und Kursk einzustellen. Provokationen der NATO – zuletzt auch die Zustimmungen aus Washington, London und Paris zu weiteren Angriffen auf russisches Hinterland mit von den USA, Frankreich und Britannien gelieferten Raketensystemen – trugen dazu bei, die Spannungen weiter zu verschärfen. Angesichts dieser Entwicklungen entschied sich die Führung in Moskau, eine ihrer mächtigsten Waffen einzusetzen.
Das Ziel des Angriffs war eine riesige ukrainische Rüstungsfabrik in Dnjepropetrowsk (ukrainisch: Dnipro), in der schon in Sowjetzeiten Raketen hergestellt wurden. Die Waffe, die hierbei zum Einsatz kam, war die neu entwickelte russische Hyperschall-Rakete mit dem Codenamen »Oreschnik« (Haselnuß). Diese Rakete wurde bisher nur theoretisch getestet und erwies sich nun in einem realen Kampfszenario als äußerst effektiv. In der Endphase der vom Gegner nicht zu berechnenden Flugbahn der »Haselnuß« trennen sich bis zu 36 Sprengköpfe von der Trägerrakete, die dann wiederum mit eigenem Raketenantrieb unabhängig voneinander ihre jeweiligeen Ziele ansteuern. Dabei wird die Zerstörungskraft der jeweiligen Sprengköpfe noch durch die kinetische Energie der extrem hohen Einschlagsgeschwindigkeit vervielfacht.
Offenbar hatte die »Oreschnik« auf dem ausgedehnten Areal des ukrainischen Rüstungsunternehmens trotz ihrer konventionellen Bewaffnung die Wirkung einer kleinen taktischen Nuklearwaffe.
Mit ihrer Geschwindigkeit und Präzision hat die »Oreschnik« auch als konventionelle Waffe in den politischen und militärischen Führungsetagen der europäischen NATO-Länder für Aufregung gesorgt. Denn dort muß man jetzt damit rechnen, daß diese Raketen mit einer Reichweite von 6.000 Kilometern jeden Ort in Westeuropa mit Hyperschall in kürzester Zeit erreichen können – und daß keine westlichen Waffen existieren, die die »Oreschnik« aufhalten können.
Botschaften an
die Ukraine und die NATO
Aus russischer Sicht dürfte der Einsatz der »Oreschnik« zwei zentrale Ziele gehabt haben. Erstens diente er als Test, um die Effizienz dieser neuen Technologie zu bestätigen. Zweitens war er eine »letzte Warnung« an die Ukraine und deren westliche Unterstützer. Rußland hat demonstriert, daß es die Mittel und die Möglichkeit hat, auf weitere Eskalationen adäquat zu reagieren, auch ohne den Einsatz von Nuklearwaffen.
Die Botschaft an die NATO ist unmißverständlich: Es gibt keine militärische Technologie, die Rußlands interkontinentale Raketen aufhalten könnte. Sollten nukleare Optionen gewählt werden, würden die Ziele sicher getroffen werden – unabhängig von den Verteidigungsmaßnahmen der Atlantischen Allianz.
Für die Ukraine war die Warnung noch direkter. Der Angriff sollte verdeutlichen, daß niemand das Kiewer Regime vor den Konsequenzen seiner Handlungen schützen wird. Washington, das nach russischen Angaben 30 Minuten vor dem Start der »Oreschnik« informiert worden war, daß es sich nicht um eine nuklear bewaffnete Rakete handelte, entschied sich für Untätigkeit. Trotz tausender Experten, die darauf trainiert sind, auf nukleare Krisen zu reagieren, leitete die USA-Regierung keinerlei Gegenmaßnahmen ein.
Strategische und
politische Implikationen
Die Entscheidung der USA, nicht zu reagieren, hat eine weitere deutliche Botschaft an Kiew gesandt: Rußland wird nicht vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die Ukraine zurückschrecken, und im Falle eines nuklearen Angriffs würde die Ukraine die Konsequenzen alleine tragen müssen.
Allerdings berichtete die »New York Times« (NYT) am Montag, also nur wenige Tage nach dem Einsatz der »Oreschnik«, »mehrere Regierungsbeamte« hätten USA-Präsident Biden sogar vorgeschlagen, der Ukraine Atomwaffen überlassen – als »eine sofortige und enorme Abschreckung« gegen weitere russische Angriffe. Die Lage in Washington ist allerdings undurchsichtig, denn selbst mit dem Blick auf die Gefahr eines Atomkriegs weiß niemand mehr, wer in im Weißen Haus im Namen Bidens die Entscheidungen trifft. Selbst der »NYT«, die sich stets für die »Ukraine-über-alles« eingesetzt hat, kommt das nicht geheuer vor, denn sie schreibt, »ein solcher Schritt wäre kompliziert und hätte schwerwiegende Folgen«.
Derweil trommelt der ehemalige ukrainische Kriegsminister und Selenski-Berater Andrij Sagorodnjuk ebenfalls in der »NYT« für mehr Feuerkraft für die Ukraine, weil die Ukraine und ihre Verbündeten erst »die Dynamik an der Front umkehren müßten«, um »die Voraussetzungen für Gespräche für einen Waffenstillstand zu schaffen«. Zugleich forderte er vom Westen ein ausreichendes Arsenal von Waffen mit größerer Reichweite für weitere Angriffe gegen Rußland.
Gleichzeitig gibt es im Westen inzwischen zunehmend Forderungen nach diplomatischen Friedensbemühungen und Gespräche mit Rußland.
Der Einsatz der »Oreschnik«-Rakete und die Einbindung der Strategischen Raketentruppen in den Ukraine-Konflikt zeigen die Entschlossenheit der russischen Führung, ihre strategischen Sicherheitsinteressen zu verteidigen, während gleichzeitig Bemühungen unternommen werden, eine nukleare Eskalation zu vermeiden.
Der 21. November 2024 wird zweifellos als Wendepunkt in die russische Militärgeschichte eingehen, als Präzedenzfall, der die Dynamik moderner Konflikte neu definieren könnte. Die Entscheidung, auf konventionelle Raketen zu setzen, zeigt die Strategie der russischen Führung: Stärke demonstrieren, ohne sofort die schlimmsten Konsequenzen eines nuklearen Konflikts zu riskieren. Doch der Einsatz dieser »letzten Warnung« unterstreicht auch die potenziell katastrophalen Konsequenzen für den Fall, daß diplomatische Bemühungen scheitern.
Die jüngsten Ereignisse machen zugleich deutlich, wie zerbrechlich die globale Sicherheit geworden ist. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob es möglich ist, diesen gefährlichen Kurs zu korrigieren und eine Basis für Verhandlungen zu schaffen, bei denen die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Seiten beachtet werden und möglicherweise eine neue Sicherheitsarchitektur für den europäischen Kontinent geschaffen werden kann, mit positiven Auswirkungen für den Frieden in der Welt.