Neue Hürden
NATO-Armeeminister beschließen Vorbereitungen für die Stationierung neuer Battle Groups in Ost- und Südosteuropa und damit neue Hürden für Verhandlungen mit Rußland
Mit dem Beschluß der NATO-Armeeminister vom Mittwoch, neue Battle Groups in Ost- und Südosteuropa zu stationieren, stellt das Militärbündnis den Verhandlungen mit Rußland über Rüstungskontrolle und Sicherheitsgarantien in Europa neue Hürden in den Weg. Wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigt, werden in den kommenden Wochen detaillierte Pläne für NATO-Kampftruppen in Rumänien, Bulgarien, Ungarn sowie der Slowakei erarbeitet.
Deren Stationierung liefe erneut der NATO-Rußland-Grundakte zuwider, mit der die NATO im Mai 1997 die russischen Widerstände gegen ihre Osterweiterung besänftigen wollte; Die neuen Battle Groups sind zudem in Bulgarien, Ungarn und der Slowakei heftig umstritten.
»Keine Vorwände mehr«
In den Verhandlungen zwischen Rußland und dem Westen haben sich in den vergangenen Tagen abseits der Propagandaschlachten um eine angeblich bevorstehende russische Invasion Fortschritte abgezeichnet. Dies betrifft zum einen den Konflikt in der Ostukraine. Bereits vor der Wiederaufnahme der Gespräche im Normandie-Format – zunächst auf Beraterebene – am 26. Januar hatte die Regierung der Ukraine auf Druck der USA einen Gesetzesentwurf zurückziehen müssen, der unter anderem ernste Strafen für fürhrende Vertreter der Donbass-Region vorsah und dem Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 endgültig den Boden entzogen hätte. Jetzt hat der ukrainische Präsident WolodimIr Selenski zudem zugesagt, die Gesetze, die zur Umsetzung des Minsker Abkommens noch nötig sind, endlich auf den Weg zu bringen.
Dabei geht es etwa um eine Autonomieregelung für die Ostukraine und um die Vorbereitung von Wahlen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz teilte am Montag nach seinem Gespräch mit Selenski mit, es könne »keine Vorwände« mehr geben, sich einem Verhandlungsfortschritt zu verweigern. Aus Rußland kommt freilich weiterhin Druck: Die Duma forderte Präsident Wladimir Putin am Dienstag auf, über die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu entscheiden. Moskau verfügt damit über Druckpotenzial, um eine weitere Verschleppung der schon sieben Jahre dauernden Gespräche zu unterbinden.
»Nur ein Traum«
Darüber hinaus ist Bewegung in einen Kernpunkt der Auseinandersetzungen geraten – in die Frage, ob die Ukraine Mitglied der NATO werden kann. Die westlichen Mächte beharren auf dem »Recht auf freie Bündniswahl«, ignorieren dabei allerdings das ebenfalls verbriefte Recht auf gleiche Sicherheit für alle Staaten und die entsprechende Verpflichtung, bei der Bündniswahl die Sicherheitsinteressen Dritter nicht zu verletzen. Festgehalten sind all diese Rechte etwa in der Europäischen Sicherheitscharta aus dem Jahr 1999. Weiter verkompliziert wird die Lage dadurch, daß die Ukraine das Ziel, dem westlichen Militärpakt beizutreten, 2019 in ihre Verfassung aufgenommen hat.
Am Sonntagabend äußerte nun der ukrainische Botschafter in Britannien im Interview mit der BBC, Kiew könne sich, was den NATO-Beitritt angehe, »flexibel« zeigen, wenn dies dem Frieden diene. Am Montag rückte er seine Aussage zwar ein wenig zurecht; doch bezog Präsident Selenski nach seinem Treffen mit Kanzler Scholz Position. Selenskyj sagte, zwar sei die NATO-Mitgliedschaft für Kiew unverändert ein wichtiges Ziel; doch wisse »niemand«, wann man es »erreichen« könne. Womöglich sei ein ukrainischer NATO-Beitritt auch nur »ein Traum«: Das »werden wir sehen«.
Mehr NATO-Battle Groups
Während die Ukraine den Bestimmungen des Minsker Abkommens Rechnung zu tragen verspricht und zumindest Offenheit in der Frage ihres NATO-Beitritts signalisiert, verschärft der Militärpakt die Lage mit einer Aufstockung seiner Truppen in Ost- und Südosteuropa. Am Mittwoch beschlossen die Armeeminister der NATO-Mitgliedstaaten, darunter Luxemburg, »Optionen zu entwickeln«, um ihre »Abschreckung und Verteidigung weiter zu stärken«, wie Generalsekretär Jens Stoltenberg mitteilte. Zum Beispiel erwäge man, neue NATO-Battle Groups in Ost- und Südosteuropa zu stationieren.
Gefordert wird das schon lange. Im Juni 2020 zum Beispiel hieß es in einem Papier, das Spezialisten vom Washingtoner Center for European Policy Analysis (CEPA) verfaßt hatten, darunter der frühere Oberkommandierende der USA-Landstreitkräfte in Europa Ben Hodges, die NATO müsse ihre Position im und am Schwarzen Meer stärken und dazu ihre bisherige Schwarzmeerpräsenz (tailored Forward Presence, tFP) derjenigen im Baltikum (enhanced Forward Presence, eFP) angleichen. Während die eFP vier Battle Groups mit einem Umfang von 1.000 bis 1.500 Soldaten umfaßt, die von großen NATO-Staaten geführt werden, besteht die tFP vor allem aus der Multinational Brigade South-East, einer 4.000 Militärs starken Truppe, die im rumänischen Craiova angesiedelt und Rumänien unterstellt ist; Soldaten weiterer NATO-Länder sind in geringerem Umfang eingebunden.
Widerstände
Bereits seit geraumer Zeit ist bekannt, daß Rumänien die Stationierung einer neuen eFP-Battle Group begrüßen würde; Frankreich hat sich bereit erklärt, die Führung zu übernehmen. Rumänien, ein Land, in dem eine romanische, dem Französischen verwandte Sprache gesprochen wird, ist Mitglied der Organisation internationale de la Francophonie, und es hat traditionelle Bindungen an Frankreich.
In Bulgarien wiederum, das bis heute relativ enge Bindungen an Rußland hat, stößt die NATO-Forderung, eine eFP-Battle Group aufzustellen, auf Unmut; inzwischen zeichnet sich ein Kompromiß ab, der vorsieht, eine Battle Group unter bulgarischer Führung aufzustellen sowie kleinere Einheiten aus anderen NATO-Staaten zu integrieren. Ungarn wiederum lehnt bislang jegliche Stationierung ausländischer Truppen ab; spekuliert wird zur Zeit, Budapest könne eine rein ungarische Battle Group aufstellen und sie unmittelbar in die NATO-Strukturen einbinden.
Die Slowakei ist bislang gleichfalls nicht bereit, fremde Streitkräfte dauerhaft ins Land zu lassen, beginnt inzwischen jedoch, unter dem Druck der NATO zu wanken. Im Gespräch ist zur Zeit, die Widerstände zu brechen, indem das Land eine eFP-Battle Group gemeinsam mit Tschechien bildet. Generalsekretär Stoltenberg kündigte am Mittwoch für alle vier Länder die Ausarbeitung von Details und eine Erstellung konkreter Vorschläge in den kommenden Wochen an.
Dauerhaft und substantiell
Mit Blick auf die Verhandlungen mit Rußland handelt es sich bei der Maßnahme um eine Provokation, da Moskau den Rückbau der NATO-Präsenz in Ost- und Südosteuropa auf den Stand vom Mai 1997 fordert. Am 27. Mai 1997 wurde die »Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation« (NATO-Rußland-Grundakte) unterzeichnet, in der das westliche Militärbündnis unter anderem zusagte, »in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld« werde es »kollektive Verteidigung und andere Aufgaben« in den beitrittswilligen Ländern Ost- und Südosteuropas »eher« durch »Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung« gewährleisten als durch die »dauerhafte« Stationierung »zusätzlicher substantieller Kampftruppen«.
Insbesondere seit 2014 baut die NATO ihre Präsenz in Ost- und Südosteuropa immer stärker aus, was dem Grundgedanken der NATO-Rußland-Grundakte zuwiderläuft. Das Militärbündnis behilft sich mit der Behauptung, ihre Battle Groups rotierten regelmäßig und seien also nicht »dauerhaft« stationiert; zudem handle es sich nicht um »substantielle« Kampftruppen. Beides wird von Rußland in Frage gestellt und soll in Verhandlungen zwischen Rußland und der NATO geklärt werden. Die Stationierung neuer Battle Groups schafft dafür allerdings neue Hürden.