Ausland27. Oktober 2020

»Normalisierung« im Nahen Osten

Die Aufnahme von Beziehungen mit Israel löst keines der bestehenden Probleme. Der Sudan wird erpreßt. Lage der Palästinenser weiter erschwert

Die von den USA verkündete »Normalisierung« zwischen dem Sudan und Israel ist vor allem eine Wirtschafts- und Handelsvereinbarung. Es gehe um den Ausbau wirtschaftlicher und Handelsbeziehungen, hieß es in einer Erklärung, die im Weißen Haus veröffentlicht wurde. Schwerpunkt seien »Landwirtschaft, Luftfahrt und Einwanderung«. Auch über das Schicksal von tausenden südsudanesischen Flüchtlingen müsse gesprochen werden, die in Israel von Abschiebung bedroht sind.

Nach dem Aufstand im April 2019, bei dem der langjährige Präsident Omar al Bashir gestürzt wurde, wird der Sudan heute von einer Interimsregierung aus Zivilisten und Militärs regiert. Nach jahrzehntelangen Sanktionen geht es dem Sudan wirtschaftlich schlecht, die Interimsregierung benötigt internationale Wirtschafts- und Wiederaufbauhilfe. Damit hat sich bei verschiedenen Treffen 2019/20 die Gruppe der »Freunde des Sudan« befaßt, der die USA, Frankreich, Britannien, Deutschland und die arabischen Golfstaaten angehören. Um Zugang zu ausländischen Geldgebern wie dem Internationalen Währungsfonds zu erhalten – die nach dem Sturz von Omar al Bashir Hilfe anboten – muß der Sudan von der der Terrorliste der USA gestrichen und die gegen das Land verhängten Sanktionen müssen aufgehoben werden. Von einer Neuausrichtung der sudanesischen Außenpolitik allerdings oder gar einer »Normalisierung der Beziehungen zu Israel« war offiziell nicht die Rede.

Der Sudan und die »Terrorliste« der USA

USA-Außenminister Mike Pompeo allerdings setzte bei einem Besuch Ende August 2020 in Khartoum die Latte für die Streichung des Landes von der »Terrorliste« der USA wieder hoch: Der Sudan solle seine Beziehungen mit Israel »normalisieren«, und zwar noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, forderte Pompeo. Dann werde Washington das Land von seiner Terrorliste streichen. Die sudanesische Interimsregierung beugte sich und akzeptierte Wiedergutmachungszahlungen.

Am 19. Oktober erklärte Washington, man werde den Sudan von der Terrorliste streichen. Im Gegenzug werde der Sudan 335 Millionen US-Dollar in einen »Fonds für Wiedergutmachung« an Familien von Opfern der Anschläge überweisen, die 1998 in Kenia und Tansania verübt worden waren. Auch für die Opfer des Anschlags auf den USA-Flugzeugträger »USS Cole« im Jahr 2000 werde der Sudan Wiedergutmachung bezahlen, hieß es.

Am 23. Oktober dann telefonierte USA-Präsident Donald Trump aus dem Weißen Haus mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und dem Interimspremier des Sudan, Abdalla Hamdok. Der Sudan werde Israel noch »vor den USA-Präsidentschaftswahlen« anerkennen, verkündete Trump nach dem Telefonat. Man werde sich in den kommenden Wochen treffen, um Einzelheiten festzulegen. Eine offizielle Erklärung aus Khartoum lag allerdings auch Anfang der neuen Woche nicht vor.

Bereits im Februar hatte der Sudan seinen Luftraum für israelische Flugzeuge geöffnet, die auf dem Weg nach Uganda waren. Dort hatten die USA eine Begegnung zwischen dem militärischen Leiter der sudanesischen Übergangsregierung, Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan und dem israelischen Regierungschef Netanjahu arrangiert. Der Sudan sei nun das dritte arabisch-islamische Land, das seine Beziehungen mit Israel »normalisieren« werde, verkündete das Weiße Haus. Im August hatten die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain entsprechende Abkommen mit Israel unterzeichnet.

Neue Konflikte

Innersudanesische Konflikte sind vorprogrammiert. Bei einer Demonstration am Wochenende zur Unterstützung der Palästinenser hieß es auf einem Plakat: »Jerusalem gehört uns«.

Bei einer Kundgebung der »Koalition der Kräfte für einen nationalen Konsens in Syrien« hieß es, die Sudanesen seien durch keine Abkommen gebunden, die die öffentliche Meinung ignorierten. Der Sudan unterstütze die legitimen Rechte der Palästinenser und stehe fest zu seinen historischen Positionen, hieß es weiter. Man werde sich der »Normalisierung« widersetzen und den Kampf der Palästinenser weiter unterstützen. Die Übergangsregierung sei zudem nicht autorisiert, solch eine Vereinbarung zu treffen.

Die Sudanesischen Volks- und Kongreßpartei erklärte, die Sudanesen würden »systematisch isoliert und an den Rand gedrängt«. Die Öffentlichkeit sei von dem geheimen Abkommen ausgeschlossen und daher auch nicht an dessen Umsetzung gebunden. Widerspruch kam auch vom ehemaligen Ministerpräsidenten Sadiq al-Mahdi. Die Vereinbarung widerspreche der sudanesischen Verfassung: »Sie wird zum Verschwinden des Friedensprojektes im Mittleren Osten beitragen, das wiederum könne einen Krieg auslösen«, warnte der Politiker. Kamal Omar, Vorsitzender der Populären Kongreßpartei warf der Übergangsregierung vor, »regionale und internationale Geheimdienste zufrieden stellen« zu wollen.

Muhammad Wadaa von der sudanesischen Volkspartei erklärte, die Übergangsregierung habe einen großen Fehler gemacht. Sie sei nicht befugt »mit einem rassistischen Staat, in dem es religiöse Diskriminierung« gebe, derartig weitreichende Vereinbarungen zu treffen.

Protest kam auch vom Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas: »Der einzige Weg zum Frieden ist, das internationale Recht anzuerkennen und alle Besatzungstruppen abzuziehen«, hieß es in einer Erklärung. Das iranische Außenministerium kommentierte das Abkommen zynisch: »Bezahle genug Lösegeld, schließe Deine Augen vor den Verbrechen gegen die Palästinenser und schon wirst Du von der so genannten Terror-Liste gestrichen.«
»Belohnung für Israel«

Das Auswärtige Amt in Berlin begrüßte die Ankündigung Israels und des Sudan. »Nach den Normalisierungsabkommen Israels mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist dies ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Stabilität und zu einem friedlicheren Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn«, hieß es in einer am Wochenende verbreiteten Erklärung.

Den USA gebühre »Dank und Anerkennung« für ihre Vermittlung, die Entwicklungen der letzten Wochen hätten ein »einzigartiges Momentum geschaffen (….) um nachhaltigen Frieden im Nahen Osten zu erreichen«.

Allerdings werden gerade die Palästinenser durch die Abkommen um ihre Rechte gebracht. Sowohl die USA als auch Israel weigern sich, das Recht der Palästinenser auf einen souveränen Staat mit der Hauptstadt Ostjerusalem anzuerkennen. Auch Deutschland und die Europäische Union haben trotz wohlwollender Worte und Durchhalteparolen für die Palästinenser in ihrem von Israel seit Jahrzehnten besetzten Land nichts zu bieten. Über die Ankündigung der israelischen Regierung, im besetzten Westjordanland mehr als 4.900 neue Wohneinheiten in jüdischen Siedlungen zu bauen, gaben sich kürzlich »die Sprecherinnen und Sprecher der Außenministerien Deutschlands, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, Italiens und Spaniens« – nicht einmal die Außenminister selber – »zutiefst besorgt«.

Hanan Ashrawi, Führungsmitglied der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sprach gegenüber dem »Deutschlandfunk« von einer »Belohnung für Israel« und einer »Anerkennung der Besatzung, der Annexion Jerusalems sowie der Gesetzlosigkeit und Straffreiheit Israels«.

Fahed Suleyman, Führungsmitglied der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) erklärte im Gespräch mit der Autorin in Damaskus, die EU und Deutschland machten große politische Fehler in der Region. Tatsächlich hätten sie keine Außenpolitik, sondern liefen lediglich den USA hinterher. Wenn der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gelöst werden solle, müsse man die Palästinenser einbeziehen und nicht ausgrenzen. Die »Normalisierungspolitik« sei keine Lösung, sondern vertiefe die Gräben in der Region. Sie gehe mit einer massiven Aufrüstung Israels und der Golfstaaten einher. Einen Krieg halte er nicht für ausgeschlossen.

Die Rolle Saudi Arabien

USA-Außenminister Mike Pompeo hat inzwischen Saudi Arabien aufgefordert, dem Beispiel der Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrains zu folgen und seine Beziehungen mit Israel zu »normalisieren«

Anläßlich eines Strategie-Dialogs war Pompeo mit seinem saudischen Amtskollegen Prinz Faisal bin Farhan am 16. Oktober in Washington zusammengetroffen. Die »Abraham Abkommen« – die Vereinbarungen mit den VAE und Bahrein – zeigten eine »Dynamik des Wandels in der Region«, so Pompeo. Washington hoffe, daß auch Riad sich dem Wandel anschließe und seine »Beziehungen normalisiere«. Er danke den Saudis, die schon viel zum Zustandekommen der »Abraham Abkommen« beigetragen hätten und er hoffe, daß Saudi Arabien die Palästinenser dazu bewegen könne, an den Verhandlungstisch mit Israel zurückzukehren.

Beide Außenminister bekräftigten die »gegenseitige Verpflichtung, die bösartigen iranischen Aktivitäten einzudämmen«. Pompeo fügte hinzu, daß die Trump-Administration für Saudi Arabien einen »robusten Waffenverkauf« vorbereitet habe.
Offiziell hält Saudi Arabien noch an der Arabischen Friedensinitiative fest, die 2002 vom späteren saudischen König Abdullah bin Abdulaziz Al Saud eingebracht und von der Arabischen Liga übernommen worden war. Nach dem Motto »Land für Frieden« sollte Israel die 1967 besetzten palästinensischen Gebiete räumen, im Gegenzug sollten die arabischen Staaten den Staat Israel anerkennen und Frieden schließen.

Die saudisch-israelische »Normalisierung« ist allerdings schon im Gange. Riad hatte kürzlich für israelische Flugzeuge den Luftraum geöffnet. Zudem ist es ein offenes Geheimnis, daß beide Länder politisch und geheimdienstlich gegen den Iran und neuerdings auch gegen die Türkei kooperieren. Bahrain und auch die VAE, die beide eng mit Saudi Arabien verbündet sind, werden sich zudem vor Unterzeichnung einer »Normalisierung« der Zustimmung des saudischen Königshauses versichert haben.

Auf der Seite Israels

Anfang Oktober hatte der frühere saudische Botschafter in den USA, Bandar Bin Sultan, der seit 2005 Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates ist, den Palästinensern vorgehalten, selbst schuld an ihrer Lage zu sein. Die palästinensische Führung habe alle Angebote von Israel und den USA abgelehnt, erklärte Bandar Bin Sultan im saudischen Nachrichtensender »Al Arabiya«. Ihre Ausdrucksweise sei »niedrigstes Niveau« gewesen, ihr Verhalten gegenüber der Führung der Golfstaaten »unakzeptabel«. Ihre Wortwahl überrasche ihn allerdings wenig, so Bandar bin Sultan weiter: »Sie sprechen von ‚Verrat’, ‚Vertrauensbruch’ und ‚in den Rücken fallen’, weil das ihre Art ist, miteinander umzugehen«, höhnte Sultan. Die palästinensische Führung sei »historisch und permanent gescheitert«. Schon Jasser Arafat habe seine Chance nicht begriffen und zwei Friedensangebote von USA-Präsidenten ausgeschlagen.

Die deutlichen Worte des obersten saudischen Geheimdienstlers weisen darauf hin, daß Saudi Arabien auch ohne ein unterschriebenes Abkommen längst mehr auf der Seite Israels steht als an der Seite der Palästinenser. Die Ausführungen wurden in der Region als Signal an die andern arabischen Staaten ebenso wie an den Westen interpretiert, ihrerseits den Druck auf die Palästinenser zu erhöhen.

Seit Anfang des Jahres sind Unterstützungszahlungen der arabischen Staaten an die Autonomiebehörde in Ramallah gegenüber dem Vorjahr 2019 um 81 Prozent zurückgegangen, hieß es kürzlich aus der Autonomiebehörde.

Allein die Unterstützung aus Saudi Arabien sei um 77,2 Prozent zurückgegangen. Zur Begründung wurde einerseits auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie verwiesen. Andererseits sei es vermutlich eine Reaktion vieler Staaten auf den Druck der USA. Washington hatte seine Hilfszahlungen von mehr als 200 Millionen US-Dollar an die Autonomiebehörde im Laufe des Jahres 2018 eingestellt.

Karin Leukefeld

Außenminister Pompeo steht voll hinter seinem Präsidenten. Trumps Erklärung vom 23. Oktober – »Sudan und Israel haben die Normalisierung der Beziehungen vereinbart, das ist ein weiterer großer Schritt zum Frieden im Nahen Osten, da eine weitere Nation sich den Abraham Abkommen anschließt« – ist ein wichtiger Bestandteil des Wahlkampfs (Foto: Alex Edelman/AFP)