Ausland29. August 2023

Totale Übernahme

Großbrände, Landraub, Immobilienhandel. Griechenland ist fest in der Hand des Kapitals

von Hansgeorg Hermann

Im Fall Griechenland kann selbst den einigermaßen neutralen lokalen Beobachter fast gar nichts mehr überraschen. Nicht in diesem schönen, vielleicht schönsten Land des Kontinents. Im Südosten, wo das Meer immer noch türkisblau schimmert und die Oligarchen einfach immer weitermachen, und sie sich vielleicht für die winzig kurze Zeit von vier Jahren ein bißchen sorgten.

Alexis Tsipras, den sie in Brüssel, Paris und Berlin völlig zu Unrecht als »extremen Linken« verschrien und verachteten, ist neulich von der politischen Bühne abgetreten, seine »Koalition der Radikalen Linken«, SYRIZA (Synaspismos Rizospastikis Aristeras), ist von der Regierungspartei (2015 bis 2019) zu einer undisziplinierten, machtlosen Oppositionsdarstellerin verkommen. Eine charismatische Führungsnatur zeigt sich bisher nicht.

Durchmarsch der Rechten

Die eigentliche Überraschung für die vielen Journalisten aus aller Herren Länder, die für die heimischen Lohnschreiber der knapp 300 Printmedien freilich keine mehr war: Gleich drei mindestens stramm rechte, eher faschistische Parteien – Spartiates (Spartaner), Elleniki Lysi (Griechische Lösung), Dimokratiko Patriotiko Kinima (Patriotische Bewegung) – zogen am 25. Juni ins Parlament ein, die »Vouli« genannte, 300 Köpfe zählende Nationalversammlung in Athen, wo sie die absolute Mehrheit des alten und neuen rechten Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis ideologisch unterfüttern.

Soll heißen: In Mitsotakis’ Partei Nea Dimokratia (ND) gibt es ohnehin einen Flügel, in dem sich Volk tummelt, das der emsige Stimmensammler aus dem kretischen Hafenstädtchen Chania aus einigen inzwischen verbotenen Formationen der äußersten Rechten absorbiert hat. Was der Regierungschef natürlich von sich weist.

Ebenso wie sein Neffe, der Sohn seiner Schwester Theodora »Dora« Bakogiannis, den sich eine noch nicht wahlverdrossene Mehrheit Athens im September 2019 zum Bürgermeister wählte, nur zwei Monate nachdem sein Onkel auf nationaler Ebene gewonnen hatte.

Kostas Bakogiannis, 45 Jahre alt und ebenso wie Mitsotakis Produkt einer privaten US-amerikanischen Hochschule für – vor allem finanzielle – Eliten, des Brown College auf Long Island und der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, hält als Vorsteher der Hauptstadt rund sechs Prozent der Einwohner Griechenlands unter dem Deckel, 664.000 Menschen, wenn das dicht besiedelte Umland nicht mitgerechnet wird. Eine Startrampe für höhere Posten im Dienst der »Dimokratia«, für eine Laufbahn, die seine Mutter Dora schon hinter sich hat: von der Metropole aus in eine Rechtsregierung, dort Außenministerin des Parteifreundes Kostas Karamanlis, ebenfalls Angehöriger einer weitverzweigten Politikerdynastie.

Der Wochenzeitung »To Vima«, eine Art bürgerliches Leitmedium wie »Die Zeit« in Deutschland, gab der von der Familie kräftig geförderte junge politische Führer am 6. August ein Interview, in dem ihn der Journalist nach den Gefahren des Aufstiegs faschistischer und neonazistischer Gruppen, Vereine und Bewegungen fragte – auch nach denen, die schon im Parlament angekommen sind. Die Gefahr bestehe nicht, wußte da der Bürgermeister, denn »wo man die Probleme löst, da gibt es keine schwarze (Zukunft)«.

Wie wahr, dachte sich da wohl mancher Leser dieses dicken Schinkens von einer Zeitung. Wenn der Faschismus einfach eingegliedert wird, wie es die Partei von Onkel Kyriakos erfolgreich praktiziert, dann ist das am Ende eine friedliche Integration des »Bösen«, des »Schwarzen«, wie der gläubige orthodoxe Christ Bakogiannis es nennt. Rund 50 Jahre nach dem Ende der sieben Jahre langen harschen Militärdiktatur an der Ägäis haben die Oligarchen und ihre ebenfalls steinreichen Partner im politischen Geschäft eine andere Lösung als die bewaffnete gefunden.

Herrschaft der Oligarchen

Zeitungen, TV-Stationen, Radiosender, Grund und Boden, Schiffahrt, Tourismus und Supermarktketten sind in Griechenland in der Hand weniger Individuen, die gleichzeitig eng verbunden sind mit den entscheidenden Gremien der Politik, der Verwaltung und der Ordnungskräfte einschließlich der Armee. Es geht die – unwidersprochene – Legende, daß sich der damals neue Regierungschef Kyriakos Mitsotakis im Juli 2019 als ersten Gast einen der reichsten Männer Griechenlands in die Athener Staatskanzlei, die Villa Maximou, bestellt habe: Spyros John Latsis, einen alten Freund der Familie, ausgebildet an der London School of Economics und angeblich sogar philosophisch bewandert, der sich offenbar als Berater angeboten hatte. Der Ehrendoktor der deutschen Privathochschule Witten/Herdecke sollte dem bis dahin vagen Wirtschaftsprogramm des rechten Premiers Schliff geben, im Ergebnis lehnt es sich heute stark an das neoliberale Gesellschaftsprojekt seines »besten Freundes« an, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Unerreicht in der Reihe der zehn reichsten Familien, die der verstorbene Kommunist, Komponist, Widerstandskämpfer und Politiker Mikis Theodorakis vor einigen Jahren als die eigentlichen Herrscher des Landes identifizierte, sind die Reeder Nikos Niarchos und seine Konkurrentin Maria Angelicoussis, die sich, wie der ehemalige Pirat und Embargobrecher (gegen das damalige Regime in Rhodesien) Vardis Vardinogiannis zur See Milliardenvermögen verschafften und sich im hohen Alter mit Stiftungen als Wohltäter der Menschheit und Helfer armer Kinder in Not in den Klatschblättern und bei den blondierten Moderatorinnen des Frühstücksfernsehens feiern ließen. Jüngst verblichen und mit seitenlangen Feuilletons öffentlich verabschiedet: die »UNESCO-Botschafterin des guten Willens«, Marianna Vardinogianni.

Zu diesen griechischen Klassikern des milliardenbewehrten Gelderwerbs stießen neureiche Medientycoons wie der früher weniger beachtete Evangelos Marinakis, der nicht nur Schiffe unterhält wie einst sein Vater Miltiadis Marinakis, sondern sein Interesse am Medienmarkt durch den Erwerb renommierter Produkte unterstrich: Heute gehören ihm die international bekannte Tageszeitung »Ta Nea«, das bereits erwähnte bürgerliche Wochenblatt »To Vima« sowie der bekannte Athener TV-Sender »Mega«. Eine Shoppingtour, die an die des französischen Milliardärs Vincent Bolloré erinnert, allerdings nicht auf einen vergleichbaren öffentlichen Widerstand stieß wie die seines hart am rechten politischen Rand manövrierenden bretonischen Bruders im Geiste.

Daß Latsis, nach Macron offenbar der zweitbeste Freund des aktuellen Ministerpräsidenten, ursprünglich im Erdölgeschäft zu Hause und größter Aktionär bei Hellenic Petroleum ist, verdeckte ein wenig, daß er – über die Real-Estate-Gruppe Lamda Development – als ein Mann entschiedener urbaner Bereicherung der Metropole Athen angesehen werden darf.

Die 263 Hektar des früheren Internationalen Flughafens Hellenikon am Stadtrand von Athen werden die Lamda-Entwickler in einen sogenannten Metropolitan Park verwandeln, in dem das Geschäft mit reicher und sehr reicher Klientel zu brummen verspricht. Im Juni 2021 erhielt die Lamda Development den Zuschlag, den Mitsotakis’ Entwicklungsminister Adonis Georgiadis – ein ehemaliger Anführer faschistischer Grüppchen – öffentlich verkünden und loben durfte. Mit rund acht Milliarden Euro sollen dort, neben anderem finanzkapitalistischem Spielzeug, bis zu 200 Meter hohe Wohntürme mit Luxusappartements in den Himmel schießen; angegliedert eine für die künftigen Bewohner dringend erforderliche Marina mit Liegeplätzen für die einlaufenden Privatjachten, und ein Spielcasino, in dem die Ultrareichen auf 15.000 Quadratmetern ihr Taschengeld verzocken können. Das dem Casino zugehörige sogenannte »Hard Rock Hotel«, das seinem Namen vermutlich wenig Ehre machen wird, soll bereits 2026 die Tore öffnen.

Strukturelle Armut

Unterdessen brennen in den Gegenden östlich von Athen die letzten Pinienwälder ab, vergrößert sich in der Hauptstadt mit jedem neuen Tag die Wohnungsnot und steigen die Mieten in Höhen, die Menschen mit einem Monatseinkommen von 700 bis 800 Euro – so niedrig sind die von der »Troika« aus EU-Kommission. IWF und EZB und ihren Helfern in der Politik zehn Jahre lang gekürzten und gedrückten Löhne im öffentlichen Dienst – nicht mehr erreichen können. Ihnen bleibt der Exodus in die Provinz und eine strukturelle Armut, die in den Statistiken nicht sichtbar wird.

Junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren blieben in den vergangenen Jahren der sogenannten Krise perspektivlos und wanderten zu Hunderttausenden in die europäischen Nachbarländer ab, wo sie als gut und gänzlich gratis ausgebildete, anspruchslose Lohnabhängige einer anderen Sorte Ausbeutung entgegensahen und -sehen.

Am 7. August meldeten die Zeitungen und Radiosender einen neuen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Sie zitierten Zahlen des Brüsseler Instituts Eurostat, das den griechischen Familien 3,4 Prozent Mehrkosten ankündigte, im Vormonat hatten sich die Menschen in Athen und Heraklion schon über eine Teuerung von 2,4 Prozent entsetzt.

Das Benzin kostete am selben Tag zwischen 1,95 und 2,04 Euro pro Liter. Die Mindestlöhne blieben bei knapp 580 Euro stecken. Das »Schwarze«, wie der Athener Bürgermeister das »Böse« nennt, ohne dessen Verursacher zu nennen, übersetzt sich täglich ins Politische: Die Faschisten haben hohen Zulauf im Land an der Ägäis und müssen dafür nicht einmal im Parlament ans Rednerpult treten.

Totale Inwertsetzung

Wohl nirgendwo in der Europäischen Union werden die katastrophalen gesellschaftlichen Folgen der kapitalistischen Krise so deutlich sichtbar wie in Griechenland. Die Mehrheit der elf Millionen Einwohner mußte seit 2010 zwölf düstere Jahre der Finanz- und Wirtschaftskrise überstehen, die sie nur überlebten – mit Hunger, Winterkälte und oft ohne bezahlte Arbeit –, weil die griechische Gesellschaft seit Generationen zu improvisieren gewohnt ist und solidarisch blieb, jedenfalls was die untere Klasse betraf.

Im selben Zeitraum kauften sich Männer wie Marinakis zu ihrem ganz privaten Vergnügen, vielleicht auch, um Steuern zu vermeiden oder Geld zu waschen, mal eben einen Fußballverein. Andere wie der Metallhändler und Kupferminenbetreiber Aristotelis Mistakidis zogen in die Schweiz, wo die Milliarden nach wie vor besser vor der Steuer geschützt werden als zu Hause im von der »Troika« bedrohten Hellas.

Reich an Barem werden inzwischen auch jene Inselbewohner, die einst zu den ärmsten des Landes gezählt wurden. Der Luxustourismus hat zwar die Ästhetik und die einst karge Schönheit solcher »Perlen im Meer« (Odysseas Elytis) wie Mykonos oder Santorini zerstört, er hat aber auch eine Preisexplosion erzeugt und diese Eiländer zu Geldmaschinen gemacht. Nichts erinnert dort mehr daran, was die Menschen und ihre trockene Heimat einmal ausmachte: Bescheidenheit vor allem, Solidarität und Gastfreundschaft. Wer von seinen Kunden 3.000 Euro pro Nacht für eine sogenannte Suite in einem »traditionellen«, von Investoren samt Pool in die wasserarme Natur geklatschten Ressort verlangen und bekommen kann, kennt keine Nachbarschaftshilfe mehr.

Die Armen des Landes, diejenigen, die keine Eltern in irgendeinem Dorf in den Bergen haben und in der Stadt bleiben müssen, weil dort eventuell eine mindere Beschäftigung zu ergattern ist, haben an dieser Art des Reichtums nicht teil. Er berührt sie nicht einmal, was beweist, daß der umweltzerstörerische, absurde Kapitalismus sein wichtigstes Versprechen nicht hält: daß vom obszönen Gewinn einiger weniger auch die Gesellschaft insgesamt profitieren müsse.

Latsis’ Lamda Development versprach zu Beginn der Planung des Hellenikon-Parks 10.000 Arbeitsplätze in der ersten Bauphase und womöglich 75.000 insgesamt zu vergebende Posten. Das mag gelogen sein oder auch wahr. Die griechischen Löhne und Gehälter sind niedriger als anderswo in West- und Mitteleuropa; auf dem schwarzen Arbeitsmarkt, auf dem nicht mehr nur Albaner, Bulgaren oder Ukrainer morgens Schlange stehen, werden Stundenlöhne auf fünf Euro gedrückt, Meisterarbeit wird mit 50 Euro pro Arbeitstag entlohnt, wie Handwerker auf den Baustellen des Landes klagen.

Die längste Autobahn

Zu tun haben werden solche Arbeitskräfte eventuell auf den beiden größten Baustellen, die Kyriakos Mitsotakis schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit seiner Heimatinsel Kreta aufhalste: Der bereits bestehende BOAK – die nördliche Straßenverbindung (Boreios Odikos Axonas Kritis) zwischen den Städten Kissamos-Kastelli, Chania, Rethymno, Heraklion, Agios Nikolaos und Sitia – soll bis 2030 durch eine dann vierspurige Autobahn ersetzt werden.

Beschleunigung statt eine von allen Umweltschutzverbänden geforderte Entschleunigung steht im Mittelpunkt dieses Projekts, ebenso wie beim neuen Flughafen Heraklion – er soll bereits in drei bis vier Jahren eröffnet werden – im Tal von Kastelli, rund 60 Kilometer südöstlich der kretischen Hauptstadt gelegen.

Für den riesigen Airport, der bis zu 15 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen soll, mußten zunächst einmal – mitten in einer der fruchtbarsten Landschaften der Insel – rund 200.000 Olivenbäume abgeräumt werden. Die Schützlinge der griechischen Weisheitsgöttin Athene wurden nicht einfach abgesägt, sondern entwurzelt – Sinnbild eines dem ländlichen Leben entfremdeten Landes, in dem das Kleinbauerntum seinen Platz längst an Investoren verloren hat. Landraub, wie der Athener Wissenschaftler Costis Hadjimichalis, Professor für Ökonomische Geografie, diese Geldanlagen nennt.

Wie der Flughafen ist auch BOAK, die Autobahn, ein gigantisches Projekt, das – nicht nur in der Welt des Tiefbaus – als typisches Korruptionsobjekt angesehen werden darf. Wer sich am Ende den größten Profit aus dem voraussichtlich 2,5 Milliarden Euro teuren, hauptsächlich aus EU-Mitteln finanzierten Unternehmen sichern wird, ist noch nicht abzusehen. Daß es wohl die üblichen Verdächtigen sein werden, darüber sind sich die Menschen in den betroffenen Dörfern, die Bauern, Pächter und Kleinbetriebe aber schon jetzt einig.

Sicherlich die Latsis-Familie. Die milliardenschwere Marianna Latsis, Schwester des schon erwähnten Milliardärs Spyros Latsis, hält über ihren Konzern Latsco Hellenic 7,6 Prozent der Planungs- und Konstruktionsfirma GEK Terna, die für einen Teil des Flughafenbaus in Kastelli den Zuschlag bekam. Die »Schaffung« von Arbeitsplätzen ist wie immer das Totschlagargument, wenn der Nutzen eines Großprojekts in den Niederungen der Gesellschaft angezweifelt wird.

In Kastelli sollen es mindestens 2.000 sein. Für die hauptsächliche Konstruktion, die ursprünglich mit Kosten in Höhe von 550 Millionen Euro und kurze Zeit später bereits 850 Millionen veranschlagt war, vermutlich aber das Zwei- bis Dreifache verschlingen wird, suchten sich die Griechen und ihre Brüsseler Aufpasser den indischen Konzern GMR Group aus, der nicht nur den Airport, sondern auch den BOAK bauen und für einen vorerst auf 35 Jahre beschränkten Zeitraum ausbeuten wird. Zusammen mit GEK Terna, wo auch Mitsotakis’ Schwester Dora mehr als nur ein Wort mitzureden hat.

Was der Straßenbau an Arbeitskräften braucht, ist schwer zu sagen, viele werden es nicht sein – modernste Maschinen und einige Experten, die den Bau von rund 30 Tunneln zu überwachen haben werden, stehen im Mittelpunkt der Planungen, umgeben von Hilfsarbeitern, die nicht nur aus der Schar der griechischen Beschäftigungslosen zu rekrutieren sein werden.

Die vom Transportgewerbe und den vielen hundert professionellen Autoverleihern schon jetzt als »längste und beste griechische Autobahn« gefeierte, vierspurige, 200 Kilometer lange Straße mit ihren gewaltig ausgeformten Zubringern und Ausfahrten, wird die kretische Landschaft und ihre Gesellschaft noch einmal entscheidend verändern.

Mitsotakis versprach »mehr Sicherheit« auf der künftig von allzu vielen Kurven verschonten Verbindung – ein für Verkehrsexperten eher lächerliches Argument: Der BOAK soll die Reisezeit, bei »normaler« Geschwindigkeit von 100 bis 130 Kilometern pro Stunde, um mindestens die Hälfte verkürzen. Bisher dauerte es bis zu vier Stunden, um auf der malerischen Küstenmarginale von Kissamos im Westen nach Sitia im Osten zu kommen – auf manchen Abschnitten mit 60 bis 70 Stundenkilometern und faszinierenden Aussichten auf die Buchten und Strände der Insel des Zeus.

Der Traum des Bischofs

Vor allem die Menschen in den Siedlungen am Rand der neuen Trasse werden zu leiden haben. Für den Transport des Massentourismus in solch häßliche Hoteldörfer wie Malia östlich von Heraklion – die im Winter unbewohnt sind – wird der BOAK die kretische Luft mit Lärm und Gestank sättigen, er wird die Felder der Bauern zerschneiden, und er wird Geschwindigkeit als neuen Gott des schnellen Fremdenverkehrs loben.

Der Flughafen in Kastelli liegt sozusagen im Auge des Hurrikans, der die Stille der Insel bedroht. »Nutzen für ganz Kreta« verspricht der rechte Ministerpräsident. Die Ergebnisse werden es zeigen.

Bedrohlich wirkt vor diesem Hintergrund die gerade noch vermiedene Pleite eines anderen »gemeinnützigen« Projekts. Die Schiffahrtsgesellschaft ANEK Lines, in Mitsotakis’ Heimatstadt Chania zu Hause, mußte jüngst an den Konzern Attica Group abgegeben werden, schnellstens genehmigt von den griechischen Fusionskontrolleuren und denen der EU, weil man sich in den ANEK-Chefetagen am Finanzmarkt verzockt und das ursprüngliche, der Gründung zugrunde liegende Firmenkonzept schon vor Jahrzehnten dem Reißwolf überlassen hatte.

Der Erzbischof Irinäus aus Kastelli hatte die Linie 1966 mit der Ausgabe von 356.000 Aktien finanziert, jede im Wert von heute rund 25 Euro – eine »Volksaktie«, wie Irinäus versprochen und bis zu seinem Tod auch gehalten hatte. Danach kam die Sintflut, Finanzkapitalismus genannt, der des Bischofs Traum in wenigen Jahren zum Alptraum werden ließ. Übrig bleibt in der griechisch-europäischen Passagierschiffahrt nun der Quasimonopolist Attica, der nicht nur das Mittelmeer beherrscht, sondern auch in der Ostsee als Pirat auftritt: Zum Konzern gehören inzwischen die Linien ANEK, Hellenic Seaways, Blur Star Ferries, Africa Morocco Link und Superfast Ferries.