Leitartikel31. August 2022

Welche Demokratie als Bollwerk gegen Faschismus und Militarismus?

Alain Herman

Die Gedenkfeiern zum Generalstreik von 1942, der mit der Bestreikung der Schlüsselbetriebe und Verwaltungen in den beiden ersten Septembertagen nationalen Charakter erhielt, bleiben 80 Jahre nach den Ereignissen von großer Bedeutung für die Arbeiterbewegung und die progressiven Kräfte Luxemburgs. Politiker unterschiedlicher bürgerlicher Couleur und Vertreter von Verbänden mit »devoir de mémoire«-Auftrag warnen bei diesen Erinnerungszeremonien in ihren Reden vor den Gefahren des wiedererstarkten Rechtsextremismus sowie vor den Bedrohungen für Demokratie und Frieden. Das ist begrüßenswert.

Auf die Grundübel, die den Schoß fruchtbar halten sowohl für neue faschistische Bewegungen als auch für Militarisierung und Kriegshetze, wird indes nur ganz selten eingegangen. Unter Tabuisierung vieler Tatsachen beruft man sich wie bei den vorigen Feiern gerne auf die ominösen »Werte« der EU. Eben diese EU hat mit ihrer Gesetzgebung eine Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung in den Mitgliedstaaten herbeigeführt und damit eine Verarmungswelle eingeleitet. Eben diese EU schert sich wenig um den Demokratie- und Souveränitätswillen der Völker angesichts einer unter NATO-Anleitung angefachten Aufrüstungspolitik und einer propagandistischen Mobilisierung gegen neue alte Feinde im »Osten«. Durch das Verschweigen dieser kapitalistischen Krisenpolitik, die perfide Ressentiments aller Art am Schwelen hält und die damit den Nährboden auch der neuen Faschisten, aber ebenfalls der bunt getünchten Imperialisten bildet, verhallen die Mahnungen der meisten Gedenkveranstaltungsredner als moralistische Deklamationen. Aus ihnen kann kein konkreter politischer Impuls resultieren.

Dabei müsste gerade der Generalstreik der Luxemburger Schaffenden, dieser dezidiert friedliche Akt der Solidarität gegen faschistische Willkür und Kriegspolitik, eine Quelle der Inspiration sein. Das beste Rezept gegen Faschismus und kapitalistische Barbarei besteht in der Durchsetzung friedenspolitischer, sozialstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien, gerade auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes. Warum zum Beispiel nicht auch die Luxemburger Verfassung in diesem Sinne modernisieren?

Nun sollte man nicht davon ausgehen, dass ein progressiver Verfassungstext die Umwandlung eines zutiefst kapitalistischen Staates in eine sozial gerechte oder gar sozialistische Gesellschaft bedeutet, dennoch würde die Beseitigung aller Beschränkungen beim Streikrecht sowie dessen Verankerung in der Verfassung ein deutliches Zeichen setzen und der luxemburgischen Konstitution einen demokratischeren Anstrich geben. Nicht vergessen sollte man die Aufnahme der sozialen Menschenrechte. Diese müssen einklagbar sein. Im Verfassungsentwurf fungieren das Streikrecht und das Recht auf Wohnen nur als sogenannte »Staatszielbestimmungen«. Allgemeine Gültigkeit haben sie als solche keineswegs erreicht.

Die jeweiligen Regierungen und die Abgeordneten wären unter diesen juristischen Bedingungen – zumindest auf dem Papier – verpflichtet, Gesetze entsprechend neu zu formulieren. Eine soziale, demokratische und wirklich souveräne Gesellschaft mit kämpferischen Gewerkschaften und friedenspolitischen Grundsätzen ist das beste Bollwerk gegen Faschismus, Militarismus und Imperialismus. Eine demokratische Verfassungsumgestaltung wäre ein Schritt mit unumstrittener Symbolkraft, indes nur ein vorläufiger. Zum gesellschaftspolitischen Quantensprung bedarf es weitaus mehr, nämlich einer Demokratisierung der Wirtschaft.