Angriff und Abschreckung an der »Blauen Linie«
Israel attackiert Infrastruktur und zivile Ziele im Libanon
Am Montag hat die libanesische Hisbollah über dem Gebiet von Iqlim Al Tuffah eine israelische Drohne der Marke Elbit Hermes 450 abgeschossen. Israel bestätigte den Abschuß.
Das militärische Medienzentrum der Hisbollah veröffentlichte ein Video von dem Abschuß und Bilder, die technische Details der Drohne illustrieren. Das mehr als 6 Meter lange Flugobjekt hat demnach eine Flügelspannweite von 10,5 Meter, einen Flugradius von 200 km und kann bis zu 20 Stunden in der Luft sein. Die Hermes 450 – Hebräisch »Zik« – kann mit Mehrfachladungen von Bomben und Raketen bestückt werden und wird von der israelischen Luftwaffe zur Überwachung und für Angriffe eingesetzt. Der Stückpreis liegt bei 2 Millionen US-Dollar.
Im israelischen Fernsehen wurde der Vorfall mit Militärexperten und ehemaligen Offizieren breit diskutiert. Israel verstricke sich in einem »Abnutzungskrieg« mit der Hisbollah, sagte der ehemalige Berater im israelischen Kriegsministerium David Hakham. Amir Avivi, Vorsitzender des Israelischen Sicherheitsforums, warnte davor, die Hisbollah und ihre Abwehrkräfte zu unterschätzen. Vermutlich verfüge die Hisbollah über weit mehr Drohnen als gedacht. Ein pensionierter Offizier warnte, jeder Pilot müsse mit einem Abschuß über dem Libanon rechnen. Die Hisbollah verfüge über ein hochentwickeltes Luftverteidigungssystem.
Israel reagierte noch am gleichen Tag mit mehreren Luftangriffen in Baalbek in der Bekaa-Ebene und nahe der Hafenstadt Tyr, weit von der »Blauen Linie« entfernt.
Man greife »Terrorziele der Hisbollah tief im Inneren des Libanon an«, hieß es in einer ersten Erklärung des Israelischen Militärs. Ziel sei eine »Luftverteidigungseinheit der Hisbollah in Baalbek« gewesen, berichteten israelische Medien. Zwei Hisbollahkämpfer seien getötet worden. Auch die abgeschossene Drohne sei bombardiert und zerstört worden um zu verhindern, daß der Hisbollah sensible Daten in die Hände fallen könnten. Zusätzlich wurde ein Mitglied der Hisbollah mit einem gezielten Drohnenangriff auf sein Auto in dem Ort Majdal (Tyr) getötet. Sowohl Baalbek als auch Tyr liegen rund 100 Kilometer von der »Blauen Linie« entfernt.
Nach Angaben des Hisbollah-Abgeordneten Hassan Fadlallah bombardierte die israelische Armee tatsächlich ein Lebensmittellager der Supermarktkette Al Nour bei Baalbek sowie ein Wohnhaus in Addous. Dabei seien zwei Personen getötet und mindestens zehn weitere verletzt worden. Die Supermarktkette Al Nour verkauft Waren zu ermäßigten Preisen. Arme und bedürftige Familien, die über eine Al-Sajjad-Karte verfügen, können damit bei Al Nour einkaufen.
Als Reaktion auf die Zerstörung des Lebensmittellagers und die anderen Angriffe in Baalbek und Tyr feuerte die Hisbollah rund 40 Raketen auf die israelische Militär- und Aufklärungsbasis auf dem Berg Meron, die schon im Januar Ziel von Angriffen der Hisbollah geworden war. Israel reagierte erneut mit Beschuß von Dörfern im Südlibanon. Die Hisbollah meldete weitere Angriffe auf die israelische Basis Ruweissat Al-Alam auf dem Gebiet der von Israel besetzten Scheeba Höfe. Auch am Mittwoch gingen die gegenseitigen Angriffe weiter.
Aroldo Lazaro, Kommandeur der UNO-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands entlang der »Blauen Linie« (UNIFIL) bezeichnete »die Ausweitung und Intensität« des Kreuzfeuers als »besorgniserregend«. Es gebe zu viele Tote, und zu viele Wohnhäuser und öffentliche Infrastruktur seien zerstört worden. Israel und der Libanon müßten eine politische Lösung für ihre Grenzstreitigkeiten finden, betonte Lazaro.
Die tatsächlichen Ziele, die von den Raketen auf beiden Seiten der »Blauen Linie« angegriffen werden, sagen viel über die Absicht der Angriffe aus. Während die libanesische Hisbollah seit dem 8. Oktober 2023 gezielt die israelische Militär- und Überwachungsstruktur in einer Entfernung von bis zu acht Kilometer südlich der »Blauen Linie« angreift und zerstört und Überwachungs- und Angriffsdrohnen der israelischen Streitkräfte im libanesischen Luftraum attackiert, greifen die israelischen Streitkräfte Stützpunkte von Hisbollah- und anderen Militanten im südlichen Libanon an, sie zerstören Häuser, Geschäfte, Fahrzeuge und setzen Wälder und Felder auch mit »Weißem Phosphor« in Brand – ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.
Die libanesische Hisbollah und andere Militante erklären ihre Angriffe auf die militärische Infrastruktur Israels als Unterstützung für den palästinensischen Widerstand in Gaza. Mehr als 90.000 Bewohner des israelischen Nordgebietes wurden evakuiert. Der israelische Kriegsminister Yoav Gallant kündigte »Krieg gegen Libanon« an, sollte sich die Hisbollah nicht aus dem Süden des Landes bis hinter den Fluß Litani zurückziehen. Im Nordgebiet haben die israelischen Streitkräfte heute mehr Soldaten stationiert als für die Vorbereitung des Angriffs auf Rafah im südlichen Gazastreifen. Die Hisbollah werde von der Grenze vertrieben so Kriegsminister Gallant, »mit Krieg oder mit Verhandlungen«.
Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah, hat mehrfach erklärt, die Angriffe auf Israel würden »in dem Moment eingestellt, wenn ein Waffenstillstand für Gaza erklärt« werde. Sollte Israel allerdings den Libanon weiter angreifen, werde die Hisbollah das Land verteidigen. Zu den Forderungen Israels, daß die Hisbollah von der Grenze hinter den Fluß Litani zurückgedrängt werden müsse, erklärte Nasrallah, es sei »einfacher, den Litani an die Grenze zu bringen, als die Kämpfer der Hisbollah von der Grenze weg und hinter den Litani zu drängen«. Libanesisches Territorium gehöre den Libanesen.
Auch die Toten auf beiden Seiten sagen etwas über die Kriegsparteien aus. Seit dem 8. Oktober 2023 sind im Libanon mindestens 240 Kämpfer der Hisbollah, der Amal, von Hamas und anderer libanesischer und palästinensischer Widerstandgruppen getötet worden. Mindestens 44 Zivilisten wurden getötet, darunter drei Journalisten. Die israelische Armee meldet für den gleichen Zeitraum zehn tote Soldaten und sechs getötete Zivilisten.