Ausland06. Oktober 2021

Die Fregatte »Bayern« auf Kolonialfahrt

Deutsches Kriegsschiff aus Australien nach Guam aufgebrochen. UNO stuft Militärbasis bis heute als USA-Kolonie ein, die der Entkolonialisierung harrt

von German Foreign Policy

Die Fregatte »Bayern« ist auf ihrer Asien-Pazifik-Fahrt erneut zu einer USA-Militärbasis auf völkerrechtlich umstrittenem Territorium aufgebrochen. Vor ihrer Ankunft im westaustralischen Perth, wo die Fregatte zuletzt ankerte, hatte sie auf dem USA-Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean einen Tankstopp eingelegt. Diego Garcia, das eigentlich zu Mauritius gehört, wird bis heute rechtswidrig von Britannien okkupiert, um die dortige USA-Basis aufrechterhalten zu können; zwei UNO-Gerichtshöfe sowie die Generalversammlung der Staatenorganisation fordern inzwischen die Rückgabe der Inselgruppe – bislang vergeblich.

Die Fregatte »Bayern« sollte am Dienstag aus Perth abfahren und nach einem Zwischenhalt im nordaustralischen Darwin die Militärbasis der USA auf Guam ansteuern. Die Pazifikinsel Guam wird von der UNO als Kolonie eingestuft, die bis heute vergeblich der Entkolonialisierung harrt. Die Einwohner genießen keine vollen USA-Bürgerrechte. Die deutsche Regierung erklärt, die Fahrt der Fregatte »Bayern« verdeutliche den Einsatz Berlins für eine »regelbasierte internationale Ordnung«.

Der Beginn der Kolonialisierung

Die Kolonialisierung Guams reicht inzwischen mehr als 350 Jahre zurück. Der in Diensten des spanischen Königs stehende portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan hatte die Insel bereits im Jahr 1521 erreicht, sie aber rasch in Richtung Philippinen wieder verlassen. Im Vertrag von Saragossa einigten sich die spanische und die portugiesische Regierung acht Jahre später darauf, große Teile des Pazifiks unter spanische Kontrolle fallen zu lassen.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann dann die spanische Kolonialisierung der Marianeninseln im Westpazifik, darunter auch Guam. In brutalen Kolonialkriegen rotteten die Spanier auf Guam über 90 Prozent der einheimischen Chamorro-Bevölkerung aus. Die spanische Dominanz dauerte mehr als zwei Jahrhunderte. Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich deutsche Händler im Pazifik immer mehr gegen die spanische Konkurrenz durch. Im Karolinenstreit 1885 errang das Deutsche Reich dann das Recht auf Freihandel mit den Marianeninseln. Zu einer direkten deutschen Eroberung kam es vorerst allerdings nicht.

Inbesitznahme durch die USA

Im Verlauf des mit einer US-amerikanischen Aggression begonnenen Spanisch-Amerikanischen Kriegs im Jahr 1898 übernahmen USA-Truppen auch Guam – kampflos. Freilich erhob nicht nur Washington Ansprüche auf die spanischen Kolonien im Pazifik, sondern auch Berlin. Aufgrund aggressiver deutscher Operationen in der Bucht von Manila erhielt das Deutsche Reich 1899 die nördlichen Marianeninseln. Damit spalteten die Kolonialmächte das Siedlungsgebiet der Chamorro in zwei verschiedene Gebiete auf, Guam einerseits, die nördlichen Marianen andererseits – eine Teilung, die bis heute anhält.

Im 1914 von Berlin vom Zaun gebrochenen Ersten Weltkrieg blieben die USA zunächst neutral, und der deutsche Hilfskreuzer »SMS Cormoran« lief den USA-Hafen Apra Harbor auf Guam an. Die USA-Kolonialtruppen hießen die deutschen Marinesoldaten als Gäste willkommen. Das Schiff blieb bis zum Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 in dem Hafen. Nach dem USA-Kriegseintritt versenkten die deutschen Truppen das Schiff selbst.

Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ersten Weltkrieg fielen die vormals deutsch kontrollierten nördlichen Marianen als Völkerbundmandatsgebiet an das Japanische Kaiserreich. Die USA behielten weiterhin Guam. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs nahmen die japanischen Truppen auch Guam ein, bis die USA die Insel 1944 zurückerobern konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg fielen die einst dem Deutschen Reich, dann Japan zugeschlagenen nördlichen Marianen gemeinsam mit weiteren Pazifikkolonien an die USA, die das gesamte Gebiet als »Treuhandgebiet der Pazifischen Inseln« (Trust Territory of the Pacific Islands, TTPI) verwalteten.

Kolonie mit neuem Status

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen Diskussionen über die politische Zukunft Guams. 1950 verabschiedete der USA-Kongreß den »Organic Act of the Territorial Government of Guam«. Dieser beendete die US-amerikanische Militärverwaltung der Kolonie. Seitdem hat Guam einen eigenen zivilen Gouverneur und ein lokales Parlament. Die Einwohner dürfen nun zudem USA-Bürger werden; zuvor hatten sie lediglich den Status von »United States nationals«, einen Status zwar mit USA-Nationalität, aber ohne Bürgerrechte. Sie dürfen auch nach der Verabschiedung des »Organic Act« von 1950 immer noch nicht an den USA-Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Experten bezweifeln, daß dieser über Jahrzehnte aufrechterhaltene, offenkundig dauerhafte Schwebezustand mit der USA-Verfassung kompatibel ist.

Verhinderte Entkolonialisierung

Die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) führt seit ihrer Gründung eine »Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung«. Diese versammelt alle Kolonien; die große Mehrheit ist inzwischen zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen worden, doch umfaßt die UNO-Liste immer noch 17 Territorien, die faktisch weiterhin als Kolonien gehalten werden. Diejenige Abteilung der UNO, die sich mit der Entkolonialisierung beschäftigt, wird von den westlichen Mächten systematisch unterfinanziert, sodaß sie kaum arbeitsfähig ist. Die USA-Regierung hat Kritik der UNO an ihrer Kolonialpolitik stets ignoriert. Guam ist denn auch bis heute auf der UNO-Liste fortbestehender Kolonien verzeichnet.

Endgültige Spaltung

Die Spaltung der Marianeninseln wurde endgültig, als 1978 die USA im Norden des Archipels den Commonwealth der Nördlichen Marianen (Commonwealth of the Northern Mariana Islands, CNMI) schufen. Der CNMI ist ein sich selbst verwaltendes Gebiet, dessen Außen- und Militärpolitik aber von der USA-Regierung übernommen wird. Das Territorium ist Mitglied der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik der UNO, aber nicht der Staatenorganisation selbst.

Im Jahr 1990 strich die UNO die Nördlichen Marianen von der »Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung«. Die Politik des CNMI wird bis heute durch einige wenige weitverzweigte Familien dominiert. Die USA-Parteien der Demokraten und der Republikaner existieren dem Namen nach auch auf den Nördlichen Marianen, haben aber mit den Parteien im Mutterland wenig gemein.

Wiederaufnahme der Beziehungen: Wirtschaft...

Deutschland verstärkt seit einigen Jahren seine wirtschaftlichen Beziehungen zur USA-Kolonie Guam wieder; in den vergangenen 15 Jahren ist die Bundesrepublik vom fünfzehnt- zum immerhin zehntgrößten Handelspartner der – extrem weit entfernten – Insel aufgestiegen, die für deutsche Konzerne freilich vor allem als Steueroase Bedeutung besitzt. Guams Plazierung auf der EU-Liste der Steueroasen hat die EU-Kommission in diesem Frühjahr erneut bestätigt. Die deutsche Regierung schloß Guam im April auch in das sogenannte Steueroasenabwehrgesetz ein.

...Diplomatie, Politik und Militär

Darüber hinaus intensiviert Berlin seit einigen Jahren auch seine diplomatischen und politischen Beziehungen zur USA-Kolonie Guam. 2017 besuchte der Chargé d'Affaires der deutschen Botschaft in Manila die Insel. Anlaß waren die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Selbstversenkung der »SMS Cormoran« im Ersten Weltkrieg. Die deutsche diplomatische Vertretung auf den Philippinen ist für Guam eigentlich gar nicht zuständig, doch das nächstgelegene deutsche Generalkonsulat auf US-amerikanischem Boden befindet sich in Honolulu und damit über 6.000 Kilometer entfernt.

Im Juni dieses Jahres besuchte darüber hinaus Militärministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erstmals Guam. Bei ihrem Besuch verwies der Kommandant der dort stationierten »USS Charleston« auf die Dieselmaschinen des Münchner Maschinenbauers MTU Aero Engines, die sein Kriegsschiff antreiben. Die Wiederaufnahme der deutschen Militärbeziehungen mit Guam erfolgt nun mit dem Besuch der Fregatte »Bayern«.