Ausland27. Januar 2023

Die Panzerallianz

Deutschland und andere NATO-Staaten stellen Kiew zwei Panzerbataillone zur Verfügung. Damit operiert künftig eine NATO-Panzertruppe in der Ukraine.

von German Foreign Policy

Mit der Entscheidung, der Ukraine moderne westliche Kampfpanzer zu liefern, tritt faktisch eine NATO-Panzertruppe in den Krieg ein, die statt von westlichen von ukrainischen Militärs gesteuert wird – nach gemeinsamer Planung und in enger Abstimmung mit dem Westen: In der vergangenen Woche waren hochrangige Militärs aus der Ukraine und den USA in der Bundesrepublik zusammengetroffen, um die bevorstehende ukrainische Frühjahrsoffensive zu planen und den Waffenbedarf dafür zu eruieren.

Nun wird offenkundig für die Deckung des Bedarfs gesorgt. Britannien hat bereits rund ein Dutzend Exemplare des Modells Challenger 2 fest zugesagt. Die USA werden laut Auskunft von Präsident Joe Biden 31 Kampfpanzer vom Modell M1 Abram zur Verfügung stellen. Deutschland hat 14 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 versprochen; dabei handelt es sich um eines der modernsten Modelle. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt an, es werde wohl gemeinsam den Lieferungen weiterer verbündeter Staaten gelingen, »rasch zwei Panzerbataillone« zusammenzustellen; das wären 80 bis 90 Kampfpanzer. Polen wird Kiew wohl 14 Leopard 2 liefern, die Niederlande 18; Spanien und mehrere skandinavische Staaten prüfen eine Beteiligung an der »Panzerallianz«.

Verbund im Gefecht

Kampfpanzer bilden, wie ein Brüsseler Korrespondent in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) vom 25. Januar konstatiert, »gemäß der NATO-Doktrin im Gefecht einen Verbund« mit Schützenpanzern, »Artillerie und Luftabwehr«. Über NATO-Artillerie – die Panzerhaubitze 2000, den Mehrfachraketenwerfer HIMARS – verfügt die Ukraine bereits seit geraumer Zeit. Zudem hat sie im Herbst aus der Bundesrepublik das Flugabwehrsystem Iris-T SLM erhalten. Vor wenigen Tagen haben Deutschland, die USA und die Niederlande die Lieferung von jeweils einer Flugabwehrbatterie Patriot versprochen.

Hinzu kommen Späh- und Schützenpanzer, deren Bereitstellung gleichfalls vor kurzem angekündigt wurde. Frankreich wird Spähpanzer vom Typ AMX 10-RC liefern, die USA 59 Bradley-Schützenpanzer; die Bundesrepublik hat 40 Schützenpanzer des Modells Marder zugesagt.

Weitere Schützenpanzer – bis zu 50 Exemplare des Modells CV 90 – sollen aus Schweden kommen, das zudem neue Artilleriesysteme des Typs Archer in Aussicht gestellt hat. Die USA wiederum haben zuletzt 90 Radpanzer Stryker, 50 gepanzerte Mannschaftstransporter M113 sowie hunderte weitere Militärfahrzeuge zugesagt.

Kriegspartei

Zu der Frage, ob bzw. inwiefern die Bundesrepublik Deutschland in den Schlachten gegen Rußland bereits Kriegspartei ist, hat sich kurz vor seinem Amtsantritt der neue Kriegsminister Boris Pistorius geäußert. Deutschland sei in der Ukraine am »Krieg beteiligt ..., indirekt«, erklärte Pistorius laut »FAZ« am Dienstag vergangener Woche.

Eine völkerrechtliche Einschätzung der Lage haben bereits im März vergangenen Jahres die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vorgenommen. Sie kamen zu dem Ergebnis, unterstützende Waffenlieferungen an die Ukraine seien zunächst unbedenklich – sogar unabhängig vom »Umfang« der Lieferungen und von der »Frage, ob es sich dabei um ‘offensive‘ oder ‘defensive‘ Waffen handelt«. Wenn jedoch »neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde«, hieß es weiter, »würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.«

Ukrainische Soldaten werden seit dem vergangenen Frühjahr an den westlichen Waffensystemen ausgebildet, die die Ukraine aus Beständen der NATO-Staaten erhält. Aktuell steht nun die Ausbildung an den Leopard 2-Kampfpanzern bevor. Denkbar ist laut Berichten die Ausbildung an der Panzertruppenschule in Munster und der Technischen Schule des Heeres in Aachen.

Die Front durchbrechen

Daß die Materialforderungen der Ukraine in vollem Umfang erfüllt werden, ist kurzfristig noch nicht abzusehen: Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte hatte kürzlich für die geplante Frühjahrsoffensive einen Bedarf von 300 Kampfpanzern, 600 bis 700 Schützenpanzern und 500 Haubitzen angemeldet. Allerdings sind zusätzliche Lieferungen in Zukunft jederzeit möglich, weil das Tabu, Kiew Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, jetzt gebrochen ist.

Zudem gilt schon eine Bereitstellung von weniger als 100 Kampfpanzern unter Umständen als qualitativer Aufrüstungssprung – dann, wenn man sie nicht »hier und dort« einstreue, sondern »komplette Brigaden mit dem neuen Gerät« ausstatte, wurde der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) zitiert. Diese wiederum könnten »gemeinsam kämpfen und an strategisch wichtigen Orten gezielt eingesetzt werden«, um dort Durchbrüche zu erzielen.

Möglich wäre es, sie an bestimmten Stellen der Front für die geplante Frühjahrsoffensive der ukrainischen Truppen zu nutzen. Im Gespräch ist eine Offensive, die auf die Rückeroberung der im Jahr 2014 – mit überwältigender Zustimmung der Bevölkerung – von Rußland übernommenen Krim zielt.

»Eine Mission für die NATO«

Wozu die Panzerlieferungen dienen, hat der neue deutsche Kriegsminister Pistorius am Dienstag bestätigt: »Wir unterstützen die Ukraine, diesen Krieg ... zu gewinnen gegen Rußland«, sagte er dem Magazin »stern«.

Der ukrainische Kriegsminister Olexij Resnikow wiederum hat kürzlich bekräftigt, die Ukraine vergieße Blut, während sie »eine Mission für die NATO« erfülle. Eigentlich sei sein Land längst »ein NATO-Mitglied« geworden – nicht förmlich, aber »de facto«.

Präsident Wolodimir Selenski hat unterdessen begonnen, den nächsten Schritt zu fordern: Die Ukraine benötige nun Kampfjets und Langstreckenraketen, erklärte er am Mittwochabend in seiner alltäglichen Videoansprache.

Selenskis Vize-Außenminister, der sich noch bis vor wenigen Wochen als ukrainischer Botschafter in Berlinregelmäßig und öffentlich mit Forderungen an die Bundesregierung gewandt hatte, will nun auch Kriegsschiffe und U-Boote. »Wir bräuchten Kriegsschiffe. Wir bräuchten auch U-Boote«, sagte er am Mittwoch.

Zudem stellt er weitergehende Forderungen nach modernen Kampfjets. »Und nun, liebe Verbündete, laßt uns eine starke Kampfjet-Koalition für die Ukraine auf die Beine stellen, mit F-16 und F-35, Eurofightern und Tornados, Rafale und Gripen-Jets – und allem, was ihr der Ukraine liefern könnt«, schrieb er bereits am Dienstag auf Twitter.