Ausland12. April 2024

Deutschland vor Gericht

Deutschland steht in Den Haag wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Völkermord vor Gericht. Grund sind deutsche Waffenlieferungen an Israel

von German Foreign Policy

Die Bundesrepublik Deutschland muß sich erstmals vor dem höchsten UNO-Gericht wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Völkermord verantworten. Eine entsprechende Klage Nicaraguas hat zu Wochenbeginn zu öffentlichen Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag geführt.

Nicaragua wirft der Bundesrepublik vor, Israel politisch wie auch mit Waffenlieferungen zu unterstützen, obwohl dessen Kriegführung im Gazastreifen gegenwärtig vom Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf einen möglichen genozidalen Charakter untersucht wird.

Der IGH erkennt zumindest plausible Anhaltspunkte für einen Genozid. Bestätigte sich der Verdacht, dann hätte sich die deutsche Bundesregierung mit der Genehmigung von Rüstungsausfuhren nach Israel der Beihilfe zum Völkermord schuldig gemacht.

Eine erste förmliche Stellungnahme des IGH wird noch im April erwartet. In mehreren westlichen Staaten haben Gerichte, Parlamente oder Konzerne inzwischen Rüstungsgeschäfte mit Israel gestoppt, um einen offenen Bruch des Völkerrechts zu vermeiden. Die Zahl der registrierten Todesopfer im Gazastreifen übersteigt mittlerweile 33.400, darunter Dutzende Palästinenser, die an Unterernährung oder an Wasserentzug verstarben.

Erste Anordnungen des IGH

Faktisch hängt das Resultat von Nicaraguas Klage vom Resultat von Südafrikas Genozidklage gegen Israel ab. Südafrika wirft Israel vor, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen, und hat am 29. Dezember 2023 ein entsprechendes Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag angestrengt. Zugleich reichte Südafrika mehrere Eilanträge ein, denen der IGH – nach einer öffentlichen Anhörung vom 11. und 12. Januar – am 26. Januar in einer einstweiligen Anordnung teilweise stattgab. In ihr forderte das höchste Gericht der UNO Israel auf, umgehend sicherzustellen, daß seine Kriegführung keinen der Tatbestände aus Artikel II der Völkermord-Konvention erfüllt.

Dies bezog sich unter anderem darauf, daß die israelische Regierung eine angemessene Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit Nahrung und Medikamenten verhinderte. Am 28. März legte der IGH mit einer zweiten einstweiligen Anordnung nach. Darin stellte er fest, im Gazastreifen bestehe nicht nur das »Risiko einer Hungersnot«; die Hungersnot habe mittlerweile schon begonnen. So seien bis zu diesem Zeitpunkt mindestens 31 Menschen, davon 27 Kinder, an Unterernährung oder Wasserentzug gestorben. Der IGH ordnete deshalb erneut eine angemessene Versorgung im Gazastreifen an.

Schon die einstweiligen Anordnungen des IGH sind ein ernster politischer Schlag für Berlin. Die Bundesregierung hatte am 12. Januar erklärt, sie weise den »gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords ... entschieden und ausdrücklich zurück«: »Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage«. Eine IGH-Anordnung setzt nun aber voraus, daß das UNO-Gericht eine Klage gerade nicht als »grundlos« einstuft, sondern zumindest plausible Anhaltspunkte für die inkriminierten Handlungen sieht.

Die Position der deutschen Bundesregierung steht also in klarem Widerspruch zur Rechtsauffassung des IGH. Die Regierung hatte außerdem angekündigt, in der Den Haager Hauptverhandlung als sogenannte Drittpartei unterstützend an der Seite Israels auftreten zu wollen. Die Anordnungen des IGH lassen erkennen, daß Berlin damit das Risiko eingeht, Aktivitäten politisch zu verteidigen, die das oberste UNO-Gericht letztlich als genozidal einstuft.

Beihilfe zum Genozid

Umso schwerer wiegt, daß die Bundesrepublik nun auch selbst vor Gericht steht – wegen möglicher aktiver Beihilfe zum Völkermord. Eine entsprechende Klage hat Nicaragua bereits am 1. März beim IGH eingereicht. Die Anhörungen dazu fanden am Montag und Dienstag dieser Woche statt. Managua bezieht sich darauf, daß die deutsche Bundesregierung Israel nicht nur politisch, sondern auch mit umfangreichen Rüstungsexporten unterstützt. So genehmigte sie im vergangenen Jahr die Lieferung von Rüstungsgütern an Israel in einem Wert von 326,5 Millionen Euro. Der Großteil der Lieferungen erfolgte nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, darunter der Export von 3.000 tragbaren Panzerabwehrwaffen und 500.000 Schuß Munition für halb- und vollautomatische Waffen.

Mitte Januar – Südafrika hatte da seine Genozidklage bereits eingereicht – berichteten Medien, Berlin bereite eine Lieferung von 10.000 Schuß einer Präzisionsmunition für Panzer aus Beständen der Bundeswehr vor. Berlin weist den Genozidvorwurf zwar weiterhin zurück, hat in Den Haag nun aber prophylaktisch erklärt, man habe fast nur Lieferungen von Rüstungsgütern wie Helmen zugestimmt, mit denen niemand getötet werden könne. Freilich sind derlei Güter unverzichtbare Bestandteile auch eines genozidalen Kriegs.

Rüstungsexporte gestoppt

Während die Bundesregierung deutsche Rüstungsexporte nach Israel hartnäckig verteidigt, haben andere westliche Staaten sie mittlerweile eingestellt oder doch zumindest reduziert. So mußten die Niederlande, die ein großes Lager mit Bau- bzw. Ersatzteilen für den US-amerikanischen Kampfjet F-35 beherbergen, die Lieferung dieser Teile an Israel infolge eines Gerichtsurteils vom 12. Februar einstellen. Das Urteil erfolgte auch unter dem Eindruck der einstweiligen Anordnung des IGH.

Letzteres trifft ebenso auf die Entscheidung der Regierung der belgischen Region Wallonie vom 5. Februar zu, zwei Genehmigungen für den Schießpulverexport nach Israel zu widerrufen. In Spanien beteuert die Regierung, seit dem 7. Oktober 2023 keinerlei Exporte von Waffen nach Israel mehr genehmigt zu haben; allerdings konnten Kritiker nachweisen, daß weiterhin Munitionslieferungen getätigt wurden – möglicherweise auf der Basis früherer Ausfuhrerlaubnisse.

In Kanada gibt die Regierung an, seit dem 8. Januar 2024 keine neuen Exporte mehr genehmigt zu haben. Ein Beschluß des kanadischen Parlaments vom 18. März untersagt nicht nur die Erteilung neuer Genehmigungen, sondern auch die Umsetzung bereits gestatteter Ausfuhren. Unklar ist, ob Kanadas Regierung letzteres erfüllt.

Aus Furcht, wegen der einstweiligen Anordnungen des IGH in juristische Schwierigkeiten zu geraten, sowie unter dem Druck von Boykottkampagnen hat inzwischen mit dem japanischen Konzern Itochu auch ein erstes Großunternehmen aus dem westlichen Bündnisspektrum Konsequenzen gezogen: Die Flugzeugsparte von Itochu hat im Februar ihre Zusammenarbeit mit der israelischen Rüstungsfirma Elbit eingestellt.

Welche Risiken Rüstungslieferanten drohen, wenn sie ihre Exporte nach Israel fortsetzen, haben Ende März Berichte in britischen Medien offengelegt. Demnach bestätigte die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im House of Commons, die konservative Abgeordnete Alicia Kearns, Rechtsexperten der britischen Regierung stuften die israelische Kriegführung im Gazastreifen unzweideutig als völkerrechtswidrig ein. Daraufhin wurden Juristen mit der Feststellung zitiert, sofern die Regierung auch weiterhin Rüstungslieferungen an Israel genehmige, begehe sie Beihilfe zu Kriegsverbrechen.

Alicia Kearns drang darauf, die Rechtsauffassung der Regierungsjuristen in London öffentlich zu machen und die Konsequenzen zu ziehen: Das sei unumgänglich, wolle man »die internationale regelbasierte Ordnung« wahren.

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Verteidigung durch eine Adlige

Die Bundesrepublik Deutschland wird in Den Haag durch Tania Ruth Hilde Freiin von Uslar-Gleichen vertreten. Sie ist Beauftragten für Völkerrecht im Auswärtigen Amt in Berlin, von 2019 bis 2022 war sie Vizepräsidentin des Bundesnachrichtendienstes.

Die »Expertin für Völkerrecht« stammt aus dem niedersächsischen Adelsgeschlecht Uslar-Gleichen. Ihr Großvater, Harald Freiherr von Uslar-Gleichen, war Offizier der faschistischen deutschen Wehrmacht, zuletzt 1945 Oberst im Generalstab der Wehrmacht im Stab der Heeresgruppe West, und später Brigadegeneral der Bundeswehr. Ihr Vater ist Brigadegeneral der Bundeswehr a.D. Hasso Freiherr von Uslar-Gleichen. Sie hat in München Rechtswissenschaften studiert, die entsprechenden Examina abgelegt, ihre Dissertation jedoch nicht beendet.

Die »Verteidigung« der »Expertin« in Den Haag bestand aus wenig Fakten und vielen Beteuerungen: »Deutschland hat aus seiner Vergangenheit gelernt.« – »Wir sind Freunde des IGH.« – »Deutschlands Handeln in diesem Konflikt wurzelt fest im internationalen Recht.« – »Die Entscheidung des IGH vom 26. Januar leitet Deutschland.«

Die Entscheidung Berlins besteht allerdings in der Praxis darin, den IGH zu ignorieren, weiterhin Waffen zu liefern und dem UNO-Hilfswerk für Palästina die Mittel zu sperren. Das ist konsequent, hatte Berlin doch zur Klage Südafrikas gegen den Genozid durch Israel offiziell erklärt: »Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage.« Die Zuständige für diese Aussage war vermutlich die Freiin, die ähnlich wie ihre Ministerin »eher aus dem Völkerrecht kommt«.

A.S./ZLV

Tania von Uslar-Gleichen am Montag vor Journalisten in Den Haag (Foto: EPA-EFE/ROBIN VAN LONKHUIJSEN)


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