Leitartikel17. November 2021

Finger weg von den Renten!

von Ali Ruckert

Ist die »Rentenmauer« wieder da? Der Nationalrat der öffentlichen Finanzen CNFP bestätigte diese Woche, dass es gegenwärtig kein Problem mit der Rentenfinanzierung gibt, längerfristig aber schon, und zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es Sache der Regierung sei, festzulegen, ob die Beiträge erhöht, die Leistungen gekürzt oder das Rentenalter angehoben wird.

Der vormalige Premierminister Jean-Claude Juncker hatte die »Rentenmauer« 1997 erfunden und davor gewarnt, die Rentenkasse würde nach 20 Jahren in eine Mauer rasen, sollten zwischendurch keine »Reformen« vorgenommen werden.

Die »Rentenmauer« wurde damals an die Wand gemalt, um berechtigte Forderungen nach einer Erhöhung der Renten abzuwürgen, aber auch, um wenige Jahre später Verschlechterungen im Rentensystem einzuführen, so dass Jugendliche seither für weniger Rente deutlich länger arbeiten müssen.

Mit der Rentenreform von 2013 wurde aber auch die Anpassung der Renten an die durchschnittliche Lohnentwickelung der vorangegangenen zwei Jahre (das »Ajustement«) ausgesetzt, und es wurde festgehalten, dass in Zukunft sowohl das »Ajustement« wie auch die »13. Monatsrente« beschnitten, beziehungsweise abgeschafft werden könnte, sollte die Finanzierung des Rentensystems Probleme bereiten. Das nennt man Sozialabbau.

Gegenwärtig belaufen sich die Reserven der Rentenkasse auf 22 Milliarden Euro, so dass sie ein Vielfaches von dem ausmachen, was der Gesetzgeber vorschreibt, und es gibt kein anderes Land in der Welt, in welchem die Reserven der Rentenkasse – selbst wenn keine Beiträge mehr bezahlt würden – die Renten für fünf Jahre absichern.

Abgesehen davon, gäbe es auch bei schwindenden Rentenreserven keinen Grund, das Gespenst der »Rentenmauer« wiederzubeleben, es sei denn, man will die Lohnabhängigen und Rentner auf höhere Sozialbeiträge, Rentenkürzungen oder eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vorbereiten.

Andererseits fällt auf, dass immer dann, wenn die Regierungsparteien und deren »Rentenexperten« von notwendigen »Anpassungen« reden, die gleichen salariatsfeindlichen Rezepte aufgetischt werden.

Vermieden wird jedoch, im Zusammenhang mit der Absicherung der Renten über die Arbeitsproduktivität und den gesellschaftlichen Reichtum zu reden, die viel schneller wachsen als die Ausgaben der Rentenkasse.

Allerdings eignet sich eine kleine Minderheit von Kapitalbesitzern den größeren Teil der Resultate der Arbeitsproduktivität an, so dass der nicht mehr zur Verfügung steht, um Gesundheits-, Pflege- und Rentenleistungen aufrechtzuerhalten und zu verbessern.

Die langfristige Absicherung der Renten ist daher in erster Linie eine Frage der Umverteilung, die nur erfolgen kann, wenn die Lohnabhängen und Rentner das gegen das Kapital und die Regierung, welche deren Profite schützt, durchsetzen.

Andernfalls wird es, wenn der Widerstand der Schaffenden und Rentner nicht groß genug ist, tatsächlich früher oder später zu höheren Sozialbeiträgen, Rentenkürzungen oder einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit kommen.

Die »Rentenreform« von 2013 ist dafür ein mahnendes Beispiel.