Ausland16. Juli 2010

Der Chefankläger

Haftbefehl gegen Sudans Präsidenten wegen »Völkermords«. Welche Rolle spielt Luis Moreno Ocampo?

Der neue Held des Westens heißt Luis Moreno Ocampo, Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs (IStGH) zu Den Haag. Der 57-jährige Argentinier, der seine Funktion seit Juni 2003 wahrnimmt, setzte sich nun schon zum zweiten Mal in Sachen Darfur durch.

Am Montag verkündete der aus 18 Richtern bestehende Hof, er sei Moreno Ocampos Antrag gefolgt und habe nunmehr gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir auch Anklage wegen »Völkermords« erhoben – ein Vorwurf, den dasselbe Gremium vor anderthalb Jahren noch als nicht tragfähig zurückgewiesen hatte. Bislang lag gegen Al-Baschir seit März 2009 lediglich ein Internationaler Haftbefehl wegen »Kriegsverbrechen« sowie »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« vor.

Mit dem Präsidenten des Sudan wurde erstmals in der IStGH-Geschichte ein amtierender Staatschef zur Fahndung ausgeschrieben – ein Schritt, der in vielen Ländern der Welt, insbesondere aber auf dem afrikanischen Kontinent, für Unbehagen und auch für Proteste gesorgt hatte. Betroffen war schließlich ein Mann aus dem Süden, Präsident eines Drittweltlandes, einer der insgesamt 118 »Underdogs« aus der Bewegung der Blockfreien. Warum ermittelte der Chefankläger ausschließlich gegen afrikanische Akteure – und das, obwohl er bereits während der Bush-Kriege in Afghanistan und Irak im Amt und Würden war, wurde gefragt.

Ins Zwielicht geraten

Die Afrikanische Union erklärte, daß ihre Mitgliedstaaten nicht mit dem IStGH kooperieren. Das Gericht war bereits wegen des ersten Al-Baschir-Haftbefehls ins Zwielicht geraten – mit dem zweiten nimmt es einen weiteren Imageverlust in Kauf. Am Dienstag wiesen natürlich die Regierung in Khartum, aber auch die Arabische Liga den neuerlichen Haftbefehl gegen Al-Baschir zurück. Es handele sich um einen »politischen Entscheid«, wurde erklärt.

Tatsächlich wirft das Vorgehen des IStGH als einer von inzwischen 110 Staaten gestützten internationalen Einrichtung zur Verfolgung von Delikten des Internationalen Strafrechts manche Fragen auf. Diese stehen auch im Zusammenhang mit der Sache – also dem Bürgerkrieg in der sudanesischen Westprovinz –, aber nicht nur. Es fragt sich zudem, wessen Spiel der Chefankläger betreibt. Auf wen stützt sich »einer der einflußreichsten Juristen der Welt« (»FAZ«, 18.10.2008), wenn er sich von juristischem Terrain auf ein aktuell-politisch äußerst brisantes Feld begibt?

Moreno Ocampo, der bis 2003 unter anderem an den USA-Universitäten von Yale und Harvard lehrte, argumentierte am Montag erstaunlich unbedacht, unfundiert und gefährlich ahistorisch. Al-Baschir halte zweieinhalb Millionen Flüchtlinge bestimmter ethnischer Gruppen in der westsudanesischen Provinz Darfur in Camps »unter Völkermordzuständen, wie in einem gigantischen Auschwitz« gefangen, so der Chefankläger. Einen ähnlichen Vergleich mit faschistischen Massenvernichtungslagern hatte der Argentinier bereits 2008 bei seinem ersten Versuch gezogen, Al-Baschir »Völkermord« vorzuwerfen. Schon damals stellte er so »implizit die 80 Nichtregierungsorganisationen und 14 UNO-Vertretungen, die dort arbeiten (im Darfur), als Komplizen einer planmäßigen Vernichtung« dar, kommentierte jüngst der Autor Jérome Tubiana in »Le monde diplomatique« (7/2010).

Stichwortgeber für eine Fortsetzung des Bürgerkriegs

Tubiana zeigte zudem auf, daß sich manche Führer der in Darfur agierenden Rebellengruppen auf die Bewertung Moreno Ocampos beriefen, um Verhandlungen und einen Friedensschluß mit dem »völkermörderischen« Regime in Khartum abzulehnen. Die häufig vom Westen ausgerüsteten oder doch zumindest mit Wohlwollen geduldeten und – beispielsweise bei Verhandlungen – gestützten aufständischen Gruppen befanden sich offensichtlich auf einer gedanklichen Ebene mit dem Chefankläger.

»Wenn Al-Baschir angeklagt ist, ist er niemand mehr, mit dem es irgend etwas zu verhandeln gäbe«, hatte Moreno Ocampos schon vor Monaten gedroht. Damals im Vorfeld der Sudan-Wahlen hatte es lebhafte Versuche gegeben, auch durch internationale Vermittlungen zu einem Friedensschluß zwischen Regierung und Rebellen zu kommen.

Der Vorwurf, daß der Chefankläger – und mit ihm auch der IStGH – als Stichwortgeber für eine Fortsetzung des Bürgerkriegs fungierten, läßt sich auch heute nicht einfach vom Tisch wischen. Daß es seinerzeit trotzdem zu Gesprächen kam, ist zumindest nicht den Juristen in Den Haag zu verdanken. Al-Baschir wurde schließlich – trotz oder gerade wegen des Haftbefehls? – in international zwar im Detail beanstandeten, aber nicht grundsätzlich verworfenen Wahlen in seiner Präsidentschaft bestätigt.

Zugriff auf die Rohstoffe

Der neue Haftbefehl erschwert eine Lösung der Konflikte im Sudan erneut. Offensichtlich gibt es Interesse, die Labilität der sudanesischen Verhältnisse zu erhalten. Das geschieht inmitten der Kontroverse um die Zukunft des ostafrikanischen Landes, des größten Flächenstaats auf dem Kontinent.

In knapp sechs Monaten, am 9. Januar 2011, soll das historische Referendum durchgeführt werden, bei dem es um die Abspaltung des ölreichen Südens geht – ein Unternehmen, das von allen westlichen Staaten mit Sympathie, Geld und Truppen im Südsudan selbst gefördert wird. Zur Disposition gestellt werden erstmals in der nachkolonialen Geschichte Afrikas bestehende Grenzen. Festgelegt im umfassenden Friedensabkommen von 2005 soll der Frieden auf diesem Weg konsolidiert werden. Er eröffnet dem Westen den Zugriff auf die Rohstoffe des Südens.

Gerd Schumann