Ausland21. Dezember 2020

Klimaschutz soll in Frankreichs Verfassung

Katalog konkreter Vorschläge wurde zusammengestrichen

Bei seinem dritten Treffen mit dem Bürgerkonvent für Nachhaltige Entwicklung in der vergangenen Woche wurde Präsident Emmanuel Macron deutlich kühler empfangen als bei den vorangegangenen Begegnungen. Das Gremium war im Frühjahr 2019 von ihm selbst als eine der Antworten auf die Protestbewegung der Gelben Westen geschaffen worden. 150 per Los ausgewählte Bürger aus verschiedensten Schichten und Berufen sollten zum Arten- und Umweltschutz sowie zum Kampf gegen den Klimawandel Ideen und Anregungen sammeln und daraus Vorschläge an die Regierung formulieren.
Nach neunmonatiger Arbeit hat der Bürgerkonvent Anfang diesen Jahres dem Präsidenten einen Katalog mit 150 Vorschlägen übergeben. Beim zweiten Treffen Mitte des Jahres erklärte Präsident Macron, daß er von den 150 Vorschlägen 147 »filterlos« übernehme.

Jetzt beim dritten Treffen waren nur 70 der ursprünglich 150 Bürgervertreter präsent und weitere 53 waren per Videokonferenz zugeschaltet. Die restlichen wollten nicht mehr teilnehmen. Zu groß ist die um sich greifende Enttäuschung, denn in den vergangenen Monaten wurde über die Medien stückchenweise bekannt, daß etliche ihrer anfangs vom Präsidenten so positiv aufgenommenen Vorschläge inzwischen verwässert, ausgehöhlt oder ganz aufgegeben wurden. Der Druck, den die betroffenen Wirtschaftszweige direkt auf die jeweiligen Fachministerien oder indirekt durch massive Lobbyarbeit ausgeübt haben, war wohl zu stark.

Emmanuel Macron ging bei dem Treffen gleich in die Vorwärtsverteidigung und kündigte an, daß er einen der wichtigsten Vorschläge schon in Kürze umsetzen werde. Durch ein gemeinsames Votum beider Kammern des Parlaments soll in den Artikel 1 der Verfassung der Passus eingefügt werden: »Die Republik garantiert die Erhaltung der Artenvielfalt und der Umwelt sowie den Kampf gegen den Klimawandel.« Das werde der Ministerrat Ende Januar beschließen, ebenso wie den Entwurf eines Klima-Gesetzes, mit dem weitere Vorschläge des Bürgerkonvents umgesetzt werden sollen.

Doch dieses Gesetz dürfte weit hinter den Erwartungen der Konvent-Mitglieder wie darüber hinaus aller an diesem vitalen Thema interessierten Parteien, Organisationen und Bürger zurückbleiben. Präsident Macron räumte bei dem Treffen ein, daß er sich mit seiner Formulierung der »filterlosen Übernahme« wohl »mißverständlich ausgedrückt« und falsche Erwartungen geweckt hat. Er habe damit sagen wollen, daß er die Zielsetzung des jeweiligen Vorschlags akzeptiere, daß dieser aber »für die Masse der Bevölkerung akzeptabel« und für die nationalen – und damit nicht zuletzt die wirtschaftlichen - Interessen des Landes »vernünftig« sein müsse.

Die meisten Mitglieder des Bürgerkonvents machten deutlich, daß sie bei der Regierung den politischen Willen vermissen, entschieden und mit durchgreifenden Maßnahmen gegen die Ursachen der CO2-Emissionen vorzugehen, die so verhängnisvoll für das Klima sind. So haben sie einen Bedarf von 22 Milliarden Euro für die Wärmedämmung der Wohnungen errechnet, doch von der Regierung geplant sind lediglich 4,5 Milliarden Euro. Vermißt werden auch konsequente Schritte gegen die »Betonierung« von wertvollen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Daß die Forderung nach einer Umwelt-Steuer auf Flugtickets völlig ausgespart wurde, rechtfertigte Macron vor dem Gremium mit den Worten: »Man kann doch nicht so tun, als ob die Coronakrise mit ihren verheerenden Konsequenzen für viele Zweige nicht existiert.« Das betreffe auch Zweige wie die Luftfahrt und den Flugzeugbau.

Darauf entgegnete ein Teilnehmer, daß der Rückgriff auf die Epidemie und ihre wirtschaftlichen Folgen verfehlt sei. »Sie ist im Gegenteil einen Chance, hinterher bei der Wiederankurbelung der Wirtschaft eine konsequent nachhaltige Richtung einzuschlagen und diesen Weg entschlossen zu gehen.« Der Entwurf des geplanten Klima-Gesetzes wird nach dem, was bisher bekannt ist, nur etwa 40 Prozent der Vorschläge des Bürgerkonvents enthalten.

Der Text wird im Januar vom Ministerrat verabschiedet und dann dem Parlament zur Beratung und Abstimmung unterbreitet. Einige Mitglieder des Bürgerkonvents wollen sich damit nicht zufrieden geben. So hat der Dokumentarfilmregisseur Cyril Dion eine Petition »Rettet den Bürgerkonvent für Klimaschutz« ins Internet gestellt, wo sie bis Ende der Woche bereits von 452.000 Franzosen unterzeichnet wurde.

Ralf Klingsieck, Paris

Präsident Macron (M.) und Umweltministerin Barbara Pompili (2.v.l.) am 14. Dezember beim Bürgerkonvent (Foto: Thibault Camus/POOL/AFP)