Ausland19. Oktober 2024

Vom NATO-Bündnisfall und Wegwerfspionen

Deutsche Geheimdienste schüren Panik vor russischen Agenten und Sabotageakten

von Wera Richter

Glaubt man dem Trio infernale, das am Montag in einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des deutschen Bundestages auftrat, befinden wir uns mitten im Krieg – mit Rußland. Das hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock schon Anfang 2023 festgestellt – und angesichts der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine ist da auch viel dran.

Die Chefs der deutschen Geheimdienste, Thomas Haldenwang, Verfassungsschutz, Bruno Kahl, Bundesnachrichtendienst (BND), und Martina Rosenberg, Militärischer Abschirmdienst (MAD), stellten das »Wer gegen wen?« nun aber komplett auf den Kopf: Rußland führt Krieg gegen die BRD – noch dazu hybrid.

Aufgetischt wurden jede Menge Sprechblasen und Räuberpistolen, um eine gefährliche Schlußfolgerung zu ziehen: »Mit dem umfassenden Einsatz hybrider Methoden und Mittel durch Rußland steigt das Risiko, daß sich irgendwann die Frage eines NATO-Bündnisfalls stellen könnte«, brachte BND-Mann Kahl den Zweck der Anhörung auf den Punkt. Käme es so weit, müßten die NATO-Mitgliedstaaten Deutschland militärisch zur Hilfe eilen. Der Rest war heiße Luft.

Haldenwang vom Inlandsgeheimdienst: »Wir beobachten ein aggressives Agieren der russischen Nachrichtendienste. (…) Insbesondere nehmen russische Spionage und Sabotage in Deutschland zu, sowohl qualitativ als auch quantitativ.« Der »Verfassungsschützer« belegte seine steile These mit einem Vorfall aus dem Juli in Leipzig: In einem DHL-Logistikzentrum brannte ein Paket. Es habe einen Sprengsatz enthalten und »Sicherheitskreise« sprächen von russischer Sabotage. Nur durch Zufall sei das Paket nicht in einem Flieger gelandet und Deutschland so nur knapp an einem Flugzeugabsturz vorbeigeschrammt.

Rosenberg nannte die Zahl der Ausspähversuche der sogenannten kritischen Infrastruktur »besorgniserregend hoch«. Im Fokus stehe die Bundeswehr – »sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln«. Wir erinnern uns an das hektische Treiben, als im August von vergiftetem Trinkwasser in Kasernen die Rede war. Die Entwarnung war nicht mehr interessant.

Für die Begleitmusik sorgen Politik und Medien. Innenministerin Nancy Faeser (SPD): »Wir sehen, daß Putins Regime immer aggressiver agiert (…) Unsere Sicherheitsbehörden setzen enorme Ressourcen ein, um unser Land gegen die Bedrohungen durch russische Spionage, Sabotageakte und Cyberangriffe zu schützen.« Roderich Kiesewetter (CDU) hält es für »hochwahrscheinlich«, daß die Spezialeinheit »29155« des russischen Militärgeheimdiensts GRU auch in Deutschland aktiv wird. »Sabotage und gezielte Mordanschläge sind deshalb wahrscheinlich.« Das »Handelsblatt« zitiert eine »mit den Vorgängen vertraute Person«: »Die letzten Hemmungen sind gefallen.«

Rußland, das weiß das »Handelsblatt«, nutze für Sabotageaktionen auch verstärkt Hilfsagenten: »Deutsche Nachrichtendienste sprechen von ‚nützlichen Idioten‘, ‚Low-Level-Agents‘ oder ‚Single-Use-Agents‘ – Wegwerf-Spione.« Es handele sich überwiegend um Menschen mit einer Vergangenheit in der alten Sowjet­union, die »prorussisch eingestellt« seien und schnell Geld verdienen wollten. »Die Angeworbenen sollen etwa Hakenkreuze oder antiukrainische Sprüche an Wände sprühen. Als Beleg dient ein Foto. Im Gegenzug erhalten die Laienspione fünf bis zehn Euro auf ein Konto überwiesen.«

Putins Pressesprecher Dmitri Peskow nahm die Freakshow einmal mehr gelassen: Es sei die NATO, die Rußland bedrohe, und nicht umgekehrt, sagte er und verwies auf die schrittweise NATO-Erweiterung der vergangenen Jahre.

Die Autorin ist
Chefredakteurin der
Wochenzeitung »Unsere Zeit« der Deutschen
Kommunistischen Partei (DKP)