Ausland01. Juni 2021

»Über allen strahlt die Sonne«

Gedanken zum Internationalen Kindertag am 1. Juni

von Rolf Dreier/UZ

Wie viele demokratische und der Zukunft zugewandte Traditionen und Feiertage entstand auch der Internationale Kindertag am 1. Juni als Lehre aus Faschismus und Krieg. Ernst genommen und gelebt wurde der Tag in den sozialistischen Ländern.

Wie vieles sollte er nach der Niederlage des Sozialismus in Europa entsorgt werden. Aber er lebt weiter – im Kleinen und in der Erinnerung vieler. Für die Wochenzeitung der Deutschen Kommunistischen Partei »Unsere Zeit« (UZ) erinnert sich Rolf Dreier, Diplompädagoge und ehemaliger Direktor für internationale Arbeit in der Pionierrepublik »Wilhelm Pieck« am Werbellinsee in der Nahe der DDR-Hauptstadt Berlin.

Die Initiative für den Internationalen Kindertag ging von der Französischen Frauenunion und einem internationalen provisorischen Initiativkomitee von Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager und antifaschistischen Widerstandskämpferinnen aus. In Paris fand vom 26. November bis 1. Dezember 1945 der I. Internationale Frauenkongreß mit Vertreterinnen von Frauenföderationen unterschiedlicher politischer Richtungen und Weltanschauungen aus 41 Ländern statt, darunter eine Delegation der UFL aus Luxemburg. Sie gründeten die Internationale Demokratische Frauenorganisation (IDFF) und schworen, »die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte der Frauen zu verteidigen, (…) für die Errichtung einer wirklichen Demokratie, für einen dauerhaften Frieden in der Welt, der allein das Glück unserer Familien und die Entwicklung unserer Kinder gewährleisten kann, zu kämpfen«.

Die Ratstagung der IDFF im November 1949 in Moskau beschloß – in Abstimmung mit dem Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) und der Internationalen Vereinigung der Lehrergewerkschaften (FISE) im Weltgewerkschaftsbund (WGB) –, den Internationalen Tag des Kindes jährlich am 1. Juni durchzuführen. Erstmals wurde der Internationale Tag des Kindes »Für Frieden und Demokratie, für eine glückliche Zukunft aller Kinder« 1950 in 51 Ländern begangen.

Die Veranstaltungen und Feiern in der DDR und in den anderen sozialistischen Ländern waren etwas Neues und für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen Begeisterndes. Sie wurden in der DDR getragen vom Demokratischen Frauenbund (DFD), der Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) und der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« sowie vor allem auch von Lehrern, Elternbeiräten und den Patenbetrieben. Zum Wohl und zur Freude der Kinder wirkten also Eltern, staatliche Organe und gesellschaftliche Organisationen zusammen.

Trotz der schwierigen ökonomischen Lage infolge der Auswirkungen des Krieges und der von den Westmächten forcierten Aktivitäten gegen den Aufbau und die Schaffung neuer, antifaschistischer, demokratischer Verhältnisse in der DDR waren alle fortschrittlichen Kräfte bemüht, den Kindern ein immer besseres Leben zu ermöglichen. In der DDR waren die Rechte der Kinder Programm.

Das war bereits vor der Einführung des Kindertages so. Im Juli 1949 wurde das erste Zentrale Pionierlager »Georgi Dimitroff« in Prora auf der Ostsee-Insel Rügen eröffnet, im Frühjahr 1950 die Pionierrepublik »Ernst Thälmann« in der Berliner Wuhlheide. Das Ministerium für Volksbildung ordnete die Aufnahme des Sport- und Schwimmunterrichts in den Schulen an. Wer denkt da nicht an die beschämende Tatsache, daß heute in der BRD Schwimmhallen verfallen und geschlossen werden und der Anteil der Nichtschwimmer steigt?

Am ersten Kindertag in der DDR wurden in Kindergärten, Schulen und in den 142 Pionierhäusern Kinderfeste organisiert. In Dresden wurde eine Kindereisenbahn eingeweiht, um nur ein Beispiel herauszugreifen. Ich erinnere mich an viele Veranstaltungen in der Pionierrepublik »Wilhelm Pieck« in der Schorfheide am Werbellinsee und im Haus der Jungpioniere »Bruno Kühn« in Oberhof im Thüringer Wald, das ich als Direktor geleitet habe. Am Kindertag hatten wir sowjetische Kinder eingeladen. Ein Drittklässler aus dem Bezirk Gera berichtete: »Endlich ging unser Wunsch in Erfüllung, mit sowjetischen Kindern Freundschaft zu schließen. Zuerst staunten wir alle über die hübsche Schulkleidung. Am besten gefielen mir die Schleifen, die die Mädchen im Haar trugen. Bald hatten wir uns mit den Kindern angefreundet, obwohl wir ihre Sprache nicht verstanden. Bei Spielen und kleinen Wettbewerben ging es lustig zu. Wir tauschten Abzeichen und Adressen und sangen sowjetische und deutsche Lieder.«

Die Freundschaft zur Sowjetunion war vielen Kindern in der DDR zur Herzenssache geworden. Erbärmlich ist es dagegen, daß Kinder und Jugendliche heute in diesem Land mit keineswegs nur von rechts geförderten antirussischen Einstellungen konfrontiert werden.

Frieden und Solidarität waren in der DDR Leitgedanken der Erziehung. »Über allen strahlt die Sonne« – das bekannte Lied von Ursula Gröger wurde am Internationalen Kindertag von den Mädchen und Jungen gesungen:

Über allen strahlt die Sonne,
über allen in der Welt.
Alle Kinder wollen Frieden,
Frieden, der das Glück erhält.

Froh und glücklich will doch spielen
auf der Erde jedes Kind,
ob nun seine Eltern
Schwarze,
Gelbe oder Weiße sind.

Darum höret unsere Bitte:
Hütet gut den Frieden hier,
daß die Kinder aller Länder
froh und glücklich sind
wie wir.

In der Pionierrepublik »Wilhelm Pieck« haben wir mit den Kindern der 7. Klasse über den Text gesprochen, um die Bedeutung des Kindertages besser zu erfassen: Warum begehen wir diesen Tag? In welchen Ländern feiern wir ihn? In welchen Ländern können die Kinder nicht so fröhlich spielen und lernen wie in der DDR?

Auch der Internationale Kindertag – von fortschrittlichen, demokratischen Kräften initiiert und gefördert – hat in seiner langen Geschichte Ignoranz und Mißachtung erfahren, vor allem im Kalten Krieg und nach der Niederlage der europäischen sozialistischen Staaten. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz bewies und beweist der Kindertag über Jahrzehnte seine Ausstrahlung, ist auch heute noch für viele Kinder in der Welt ein wichtiges und vor allem freudiges Ereignis.

In der UNO-Deklaration über die Rechte der Kinder steht: »Die Menschheit schuldet dem Kind das Beste, was sie zu geben hat. Sie schuldet den 1,4 Milliarden Kindern, die gegenwärtig auf unserer Erde leben, daß endlich überall Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie sich gesund und natürlich in Würde, körperlich, geistig, seelisch, moralisch und sozial entwickeln können.«

Diese Bedingungen weltweit zu schaffen ist eine gewaltige Aufgabe, wenn man weiß, daß Woche für Woche Tausende Kinder einen vermeidbaren Tod sterben: an Hunger, Krankheiten, Wassermangel, Umweltschäden, Folgen eines schweren kolonialen Erbes, an imperialistischer Ausbeutung und als Opfer von Kriegen.

Wollen wir dem Anliegen des Internationalen Kindertages zum Durchbruch verhelfen, kommen wir nicht darum herum, über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren und beharrlich für den Sozialismus zu streiten.