Ausland09. Juni 2021

Gewerkschaft wehrt sich gegen Kahlschlag

Meyer-Werft vor dem Untergang

von Gerrit Hoekman

Im Tarifstreit zwischen der IG Metall und der Meyer-Werft gibt es am Heimatstandort in Papenburg nach wie vor keine Einigung. Im Gegenteil: Der Konflikt hat eher noch an Schärfe zugenommen. Die CDU gibt dem Betriebsrat die Schuld. Die Betriebsleitung wolle Hunderte Beschäftigte entlassen und sie durch Arbeiter mit Werkvertrag ersetzen. Das sei »sozial unverantwortlich«, kontern SPD und Gewerkschaft.

Mit einer Stammbelegschaft von 3.600 Beschäftigten am Standort Papenburg ist Meyer in der Gegend eines der größten Unternehmen. Mehrere tausend Arbeitsplätze in den Zulieferbetrieben sind von der Werft abhängig. Das 1795 gegründete Familienunternehmen entschied sich vor 35 Jahren Kreuzfahrtschiffe zu bauen. Das Geschäft lief außerordentlich gut, Kreuzfahrten waren in, die Reedereien wollten immer neue, größere Schiffe. Die Werft war ständig ausgebucht. Dann legte die Pandemie den Tourismus auf See trocken. An Neubauten besteht momentan kein Bedarf.

Die Folgen für Meyer: Betriebsurlaub, Kurzarbeit. 1,3 Milliarden Euro will das Unternehmen bis 2025 einsparen, 660 Beschäftigte auf die Straße setzen, berichtet die »Ems-Zeitung«. Diejenigen, die bleiben dürfen, sollen jährlich unbezahlt 220 Stunden Mehrarbeit leisten.

Betriebsrat und Gewerkschaft bezweifeln, daß es Meyer wirklich so schlecht geht wie behauptet. Sie fordern: Die Stammarbeitsplätze und Lehrstellen müssen erhalten werden, weniger Fremdfertigung und keine weitere Auslagerung von Unternehmensteilen in neue, nicht tarifgebundene Firmen. »Die Werft will weiterhin auf Subunternehmen und ihre zum Teil fragwürdigen Beschäftigungsmethoden setzen«, wirft die IG Metall dem Unternehmen vor. Die Beschäftigten stammen häufig aus Osteuropa. Die »Ems-Zeitung« schätzt, daß es einige hundert sind: »Mit Transportern geht es zur Werft und wieder zurück zur Unterkunft – in ein altes Hotel beispielsweise oder eine Mietwohnung.«

In der Fleischindustrie sind sogenannte Werkverträge seit Anfang des Jahres verboten, bei den Schiffbauern aber noch erlaubt. Daran soll sich laut Bundesarbeitsministerium vorerst auch nichts ändern.

Ohne Werkverträge sei der Schiffbau in Deutschland nicht wettbewerbsfähig, entgegnet die lokale CDU. »Gelingt in den Verhandlungen der nächsten Tage keine Einigung, droht ein Szenario, daß sich keiner vorstellen möchte, nämlich leere Werfthallen vor den Toren der Stadt«, jagt die lokale CDU den Klabautermann übers Deck. Dann stünden nicht nur 600 Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern der gesamte Standort Papenburg. »Betriebsrat und IG Metall müssen dann jedem einzelnen Mitarbeiter der Werft erklären, warum im finnischen Turku und auf der Neptun-Werft eine Einigung möglich war, in Papenburg aber nicht.«

Auf der Neptun-Werft in Rostock-Warnemünde, eine Meyer-Tochter, hatten sich Gewerkschaft und Betriebsleitung zuvor auf den Abbau von bis zu 180 der knapp 700 Arbeitsplätze verständigt. »Unser Ziel ist, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Deshalb haben wir ein umfassendes Freiwilligenprogramm vereinbart, daß sowohl Abfindungen als auch eine Transfergesellschaft mit einer Laufzeit zwischen sechs und zwölf Monaten beinhaltet«, erklärte Stefan Schad, der Verhandlungsführer der IG Metall Rostock-Schwerin, am 26. Mai. »In den Verhandlungen ist es uns gelungen, gute Bedingungen für die Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen und betriebsbedingte Kündigungen über eine Sozialauswahl nur als letztes Mittel zuzulassen.« Zunächst hatte die Neptun-Werft 275 Stellen abbauen wollen.

Ein Freiwilligenprogramm wie auf der Neptun-Werft sei nichts anderes als ein Austausch der Stammbelegschaft gegen billige Arbeitskräfte, findet die IG Metall in Papenburg: »Im Kern bedeutet ein sogenanntes Programm, daß sich Stammarbeitnehmer selbst entlassen sollen.«