Ausland09. Juni 2023

Kosovo hui, Krim pfui?

Die Logik der EU- und NATO-Ostexpansion

von Beate Landefeld

Unruhen im Norden des Kosovo wecken die Erinnerung an den Jugoslawienkrieg. Nach der NATO-Aggression mit monatelangen Bombardements beschloß der UNO-Sicherheitsrat im Juni 1999 die Resolution 1244 zum Status und zu einer Interimsverwaltung im Kosovo. Die jugoslawischen Truppen zogen ab. Eine »internationale Sicherheitspräsenz« und eine »internationale zivile Präsenz« sollten das Schweigen der Waffen garantieren, die albanischen bewaffneten Kräfte demilitarisieren und zur »substantiellen Selbstverwaltung für das Kosovo« bei Achtung der »Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Föderativen Republik Jugoslawien« überleiten. Hauptträger der »Sicherheitspräsenz« sind NATO-Truppen (KFOR). Die »zivile Präsenz« stellen UNO, EU und OSZE.

Ethnische Vertreibungen von Serben und anderen Minoritäten gingen unter dem NATO/EU-Protektorat aber weiter. Vor allem 2004 wurden serbische Häuser und Kulturstätten in Brand gesetzt. Pogrome bewirkten die ethnische Homogenisierung ganzer Städte und Dörfer. »Weder verhinderten die drei kosten- und personalintensiven Missionen diese Verbrechen, noch wurden diese nachträglich geahndet«, heißt es auf Wikipedia. Die verbliebenen Serben konzentrieren sich heute in Gemeinden nördlich der Stadt Mitrovica. Bei den wiederkehrenden Konflikten zwischen ihnen und der Regierung in Pristina geht es um den Status des Kosovo und um die Rechte der Serben. Ihnen werden Selbstverwaltungsrechte in einem Gemeindeverbund bisher verweigert, da Pristina dahinter Separatismus wittert.

2008 erklärte sich das Kosovo einseitig für unabhängig, als letzter aus der Zerschlagung Jugoslawiens hervorgegangener Teilstaat. Die deutsche Regierung, die zuvor schon die Sezessionen der anderen ehemaligen Teilstaaten ermuntert hatte, erkannte Kosovos »Unabhängigkeit« unverzüglich an. Die Aussagen der UNO-Resolution 1244 zur territorialen Unversehrtheit Jugoslawiens interpretierte Berlin nunmehr als »rein deklamatorisch«. Daß alle BRD-Regierungen die Sezession des Kosovo fördern, während sie die Sezession der Krim sanktionieren, hat seine Logik. In beiden Fällen geht es nicht um Selbstbestimmung oder Menschenrechte, sondern um die Ostexpansion von EU und NATO. Die Zerstückelung Jugoslawiens war dafür förderlich, die Sezession der Krim eine Beschränkung.

Bis Ende 2022 erkannten nur 99 aller 193 UNO-Mitgliedstaaten das Kosovo als eigenen Staat an. 94 taten dies nicht, darunter die EU- und NATO-Mitgliedstaaten Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und das EU-Land Zypern. EU-Kommission, Berliner Regierung und Macron wollen ihrerseits den Beitritt der Westbalkanländer beschleunigen, nicht zuletzt angesichts neuer, im Ukraine-Krieg offengelegter internationaler Kräfteverhältnisse.

Die Tendenz, die Probleme auf dem Westbalkan mehr oder minder auszusitzen, sei »ins Wanken gekommen, weil die westlichen Akteure zunehmend besorgt waren über die Einflußnahme Rußlands, aber auch Chinas und der Türkei«, so Osteuropaforscher Conrad Clewing gegenüber dem deutschen TV-Sender ZDF.

Serbien gilt den EU-Oberen als störrisch. Es beteiligt sich nicht an Sanktionen gegen Moskau, ist Mitglied der Belt & Road-Initiative und mit Rußland und China ökonomisch und/oder kulturell stark verbunden. Beim Besuch in Belgrad drängte Scholz Serbiens Präsidenten Vučić zu einer Abkehr vom bisher engen Verhältnis zu Rußland: »Wer Mitglied der Europäischen Union werden will, muß das gesamte Regime, das damit verbunden ist, für sich akzeptieren.« Das betreffe auch die Sanktionen gegen Rußland.

Doch Rußland und China verteidigen die territoriale Integrität Serbiens, einen Wert, mit dem Scholz Waffenlieferungen an Selenski begründet. Die Ukraine erkennt übrigens das Kosovo bisher ebenfalls nicht an.

EU- und NATO-Ostexpansion schaffen keine »europäische Friedensordnung«. Der Kontinent Europa braucht friedliche Koexistenz und Kooperation statt Feindschaft mit Rußland und China.