Ausland19. Juni 2020

Carminati ist kein Einzelfall

Freilassung des faschistischen Terroristen und Mafiabosses offenbart abermals schleppende Strafverfolgung durch italienische Justiz

In Rom ist am Dienstag nach fünfeinhalbjähriger Haft der faschistische Terrorist und Mafiaboß Massimo Carminati freigelassen worden (Zeitung vom 17. Juni). Wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete, mußte der 62-Jährige entlassen werden, weil die Frist für seine Untersuchungshaft abgelaufen war.

2017 war Carminati in einem Korruptionsprozeß als Chef einer von ihm gebildeten »Mafia Capitale« angeklagt und zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Ein schwereres Urteil wäre erfolgt, wenn man ihm Verbrechen in Verbindung mit der Mafia hätte nachweisen können, das war aber angeblich nicht möglich. So wurde die Strafe reduziert und dann in erster Instanz wieder aufgehoben. Ein neuer Prozeß ist bislang nicht angesetzt worden.

Wie ANSA am Donnerstag meldete, hat die Staatsanwaltschaft bei der Freilassung angeordnet, daß Carminati seinen Wohnsitz in der Gemeinde Sacrofano nördlich von Rom nicht verlassen darf. Es wird erwartet, daß der Beschuldigte nach Anberaumung eines neuen Prozesses wieder in Haft kommt.

Carminati ist die personifizierte Verkörperung der Allianz, die die Faschisten in Italien nach der Gründung des faschistischen Movimento Sociale Italiano« (MSI) 1946 mit der Mafia eingingen. Bereits in jungen Jahren stieß er zur Nachfolgepartei der Mussolini-Faschisten. Während der bleiernen Jahre, der vom US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA in den 70er und 80er Jahren gegen die Kommunistische Partei Italiens (PCI) und andere Linke betriebenen »Strategie der Spannung« gehörte er zur Führung der pseudorevolutionären faschistischen »Nuclei Armati Rivoluzionari« (»Bewaffnete Revolutionäre Zellen«), die zwischen 1977 und 1981 für mindestens 33 Morde verantwortlich gemacht werden.

Der Faschist war Verbindungsmann zur berüchtigten »Banda della Magliana« der Mafia. Diese hatte sich 1978 am Mordkomplott gegen den christdemokratischen Parteipräsidenten Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit PCI-Generalsekretär Enrico Berlinguer geschlossen hatte, beteiligt. Zu den Opfern gehörte im Januar 1979 der Anhänger Moros, Piersanti Mattarella, Bruder des heutigen italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella.

Wegen seiner Teilnahme an den Verbrechen der Magliana-Bande wurde Carminati 1998 zu zehn Jahren Haft verurteilt, konnte jedoch ins Ausland fliehen. Unbehelligt kehrte er einige Jahre später nach Italien zurück und bildete in Rom das weitverzweigte »Mafia Capitale« genannte Netzwerk.

Sein Komplize war Giovanni Alemanno von der »Alleanza Nazionale« (AN), wie sich der MSI nach 1995 nannte. Nachdem er in der Regierung der reaktionären »Forza Italia« (FI) von Silvio Berlusconi ein Ministeramt ausgeübt hatte, wurde Alemanno von 2008 bis 2013 Bürgermeister von Rom. Er wurde beschuldigt, an der »Mafia Capitale« mitgewirkt zu haben. Neben Alemanno gehörten diesem Verbrechersyndikat 46 Komplizen in der Stadtverwaltung und im Parlament von Rom an, die mit Unternehmern und Mafiosi vernetzt unter anderem die Müllabfuhr kontrollierten, Geschäfte mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Asylbewerberheimen machten und öffentliche Aufträge kassierten.

Ihr Scherflein zur Verschleppung der Anklage gegen Carminati trug die Juristin Virginia Raggi von der »Fünf-Sterne-Bewegung« M5S bei, die 2016 im zweiten Wahlgang den Sprung an die Spitze der römischen Stadtverwaltung nur mit den Stimmen der aus der AN hervorgegangenen faschistischen Partei »Brüder Italiens« (FdI) schaffte. Lange Zeit behielt sie mindestens drei der engsten Mitarbeiter ihres Amtsvorgängers Alemanno, die in das Netz der »Mafia Capitale« verwickelt waren, im Amt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb gegen sie wegen des Verdachts des Amtsmißbrauchs und der Falschaussage.

Die Freilassung Carminatis offenbart wieder einmal die schleppende Verfolgung von Straftaten durch die italienische Justiz. Im Ergebnis der sich in den drei Instanzen oft ein ganzes Jahrzehnt hinziehenden Strafverfahren gelingt es den Angeklagten oft dank der Verjährungsfristen ungestraft davonzukommen. Die vom parteilosen Juristen Giuseppe Conte mit der sozialdemokratischen PD und M5S im August vergangenen Jahres gebildete Regierung will das im Rahmen einer Justizreform ändern.

Gerhard Feldbauer

Mafiaboß und faschistischer Terrorist: Massimo Carminati wurde am Dienstag freigelassen
(Foto: Tocco Alessandro/LaPresse via ZUMA Press/dpa)