Ausland28. September 2024

Anhaltender Widerstand in Italien gegen neue NATO-Stützpunkte

Friedensaktivisten rufen für 29. September zum Protest in Pisa auf

von Gerhard Feldbauer

Gegen den Neu- und Ausbau von NATO-Stützpunkten in Italien, so in Florenz und Pisa, wollen Friedensaktivisten am 29. September im Agora Club in Pisa unter der Losung »Stoppt den Krieg in der Ukraine und den Völkermord in Palästina« protestieren. Laut de, kommunistischen Magazin »Contropiano« sind die Initiatoren des Aufrufs Hafenarbeiter aus Genua, Vertreter der Gewerkschaft Unione sindacale di Base (USB) und gewerkschaftlich organisierte Friedensaktivisten. Studentengruppen und weitere politische und gesellschaftliche Kräfte haben Redner angekündigt.

»Wir leben in einer Zeit des Krieges, des Völkermords und der immensen Zerstörung gegenüber Völkern, die gegen die Sklaverei des Kolonialismus und den westlichen Machtwillen rebellieren«, heißt in dem Aufruf. »Wir beobachten die sehr gefährliche tägliche Eskalation des Konflikts in der Ukraine, aber es ist das palästinensische Volk, das den höchsten Preis in seinem Kampf gegen den Rassismus und die israelische zionistische Apartheid zahlt.«

Der Protest richtet sich vor allem gegen Pläne, die Militärbasis Coltano zu einem strategischen Stützpunkt einer Eingreiftruppe der EU auszubauen. In Coltano in der Toskana, sind die »Ledernacken« der US Army und des 1. Tuscania-Fallschirm-Carabinieri-Regiments – beide Truppenteile bilden die 2. Mobile Einsatz-Brigade – untergebracht. Auf über 70 Hektar werden neue Gebäude, ein Hubschrauberlandeplatz, Schießstände, Ausbildungszentren, Labors und andere Einrichtungen für das Militär errichtet.

Coltano ist ein Ortsteil von Pisa, in dessen Hafen die Arbeiter immer wieder gegen die Verladung von Waffentransporten in die Ukraine und den Umschlag von Lieferungen in weitere Kriegsgebiete wie den Jemen protestierten. Auf einer Landzunge südlich von Livorno ist die Basis mit einem US-amerikanischen Waffendepot ein wichtiger strategischer Knotenpunkt bei der Kontrolle des Mittelmeeres. Mit zusätzlichen Kosten von 40 Millionen Euro soll eine Eisenbahnstrecke zur direkten Verbindung mit dem Hafen von Livorno angelegt werden. Grundlage des Coltano-Projekts ist ein am 21. März 2022 von der EU verabschiedeter »Strategischer Kompaß für Sicherheit und Verteidigung«.

Damit hält der Widerstand gegen den von der Meloni-Regierung unterstützten Kriegskurs der NATO und EU unvermindert an, bei dem Florenz ein weiteres Zentrum ist. Dort wird das »NATO Multi-National Division South Command« (MND-S) in der Predieri-Kaserne ausgebaut, das in den vergangene Wochen Anlaß für Proteste von politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam mit dem Anti-NATO-Komitee »No Command« war. Redner enthüllten, daß in den vergangenen Wochen mehr als 400 Militärfahrzeuge von dem Stützpunkt aus nach Polen zur ersten US-Kavalleriedivision in Marsch gesetzt wurden, und das als »ein Beispiel für den Militarisierungsprozeß unserer Gesellschaft, die Kriegspolitik und die damit verbundenen Konsequenzen, die wir auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene zu tragen haben«, anprangerten.

In Mailand, wo in Solbiate Olona bereits die NATO-Kommandos für den schnellen Einsatz (NRDC) stationiert sind, richten sich die Proteste von Friedensaktivisten gegen die Militarisierung von Schulen und Universitäten und dagegen, daß sich dort jetzt auch noch die Allied Reaction Force (ARF) der NATO einrichten soll. Diese Basis soll dem Supreme Allied Command (SACEUR) ermöglichen, über leicht einsetzbare Streitkräfte in allen Bereichen: Luft, Wasser, Land, U-Boote zu verfügen, um sofort und überall auf der Welt intervenieren zu können.

Ein weiterer Schwerpunkt der Proteste ist Sardinien, das zu einer militärischen Plattform der USA und der NATO im Mittelmeerraum geworden ist. Auf der Insel existieren mehr als 20 NATO-Basen und die Übungsplätze Quirra-San Lorenzo, Capo Frasca und Teulada, die zu den größten NATO-Stützpunkten in Europa gehören. Dort haben auch das NATO Joint Force Command Naples und das NATO Rapid Deployable Corps ihre Hauptquartiere.

Die Einwohner Sardiniens erinnern sich noch gut daran, daß in den 60er Jahren die westdeutsche und die italienische Luftwaffe einen gemeinsamen Waffenstützpunkt »Poligono Sperimentale von Salto di Quirra« unterhielten. Auf einem etwa 120 Quadratkilometer großen Sperrgebiet wurden neue Waffensysteme getestet, die hochgiftige und krebserregende Stoffe freisetzten, die wiederum unter den Anwohnern zu hohen Krebsraten und Mißbildungen bei Menschen und Tieren führten. Im Zeitraum zwischen 2008 und 2016 wurden in dem betreffenden Gebiet 860.000 Abschüsse gezählt, davon 11.875 Raketen, was einer Menge von 556 Tonnen hochgiftigem Kriegsmaterial entsprach.

Die in dem Gebiet freigesetzten Schadstoffe haben die Fähigkeit, die Erde Dutzende Meter tief zu durchdringen, die Grundwasserleiter zu erreichen, sich kilometerweit durch die Luft zu bewegen und sich im Meerwasser über schwer zu berechnende Entfernungen auszubreiten. Diese Stoffe gelangten in die Nahrungskette und haben negative Auswirkungen auf Fischerei, Viehhaltung, Landwirtschaft und Folgeprodukte (Brot, Nudeln, Käse, Wein usw.).

Wie aus Medienberichten im Juli bekannt wurde sollen jetzt mehrere italienische Generäle wegen der Umweltkatastrophe auf dem Schießplatz von Teulada vor Gericht gestellt werden. Seitdem herrscht in dieser Angelegenheit jedoch Schweigen.