Ausland20. August 2024

Contra Hitler an der Saar

von Michael Polster

Unter dem gleichnamigen Titel produzierte das DEFA Studio für Dokumentarfilme in Berlin 1984 eine Dokumentation für das DDR Fernsehen, die das Thema der Saarabstimmung 1935 und den Kampf um die antifaschistische Einheitsfront zum Inhalt hatte. Der Film unter der Regie von Rolf Schnabel, in dem Zeitzeugen der Ereignisse von 1934/35, wie Julius Schneider und Richard Kirn, sowie politischen Protagonisten der damaligen Gegenwart, wie der Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine, der DKP Vorsitzende an der Saar Rolf Priemer und Dr. Luitwin Bies zu Worte kamen, erlebte seine Fernsehpremiere leider nicht wie geplant. Amtliche Erklärungen zur Ursache gab es damals offiziell nicht.

Umso verdienstvoller ist es, daß die Rosa Luxemburg Stiftung Saar und die Peter Imandt Gesellschaft jüngst zum 90. Jahrestag der Einheitsfrontbewegung im Saarland die Dokumentation zur Wiederaufführung im Saarbrücker im Kino Achteinhalb brachten und die eine Veranstaltung nicht ausreichte, um dem großen Publikumsinteresse nach zukommen, eine zweite wurde zusätzlich organisiert werden mußte.

Wie der Film zeigte, war der politische Kampf der damaligen linken Bewegung um Herzen und Hirne der Saarländischen Menschen, zur Saarabstimmung im Januar 1935, ein komplizierter politischer Weg, der letztlich nicht den erhofften Erfolg brachte.

Wie im Versailler Vertrag vorgesehen, fand unter Aufsicht des Völkerbunds das Referendum statt. Zu entscheiden hatte die saarländische Bevölkerung über die Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich, zu Frankreich oder die Beibehaltung des Status quo.

Mit allen ihren zur Verfügung stehenden politischen Mitteln kämpfte die Linke im Saarland gegen die massive und übermächtige Propagandakampagne der Führung der NSDP, die 1933 die rechten Parteien in einer »Deutschen Front« für das Saargebiet zusammengeschlossen hatte und kurz vor der Saarabstimmung in die Dritte Deutsche Front aufging. Unter der Losung »Deutsch ist die Saar, immerdar!« warb man mit Kampagnen und Großkundgebungen für die Rückkehr des Saarlandes »heim ins Reich«. Dafür verschickte sie 5 Millionen Briefsendungen, veranstaltete 1.500 Versammlungen und 1.500 sogenannte »kulturelle Veranstaltungen« und klebte über 80.000 Plakate. Federführender Finanzier war der Stahlbaron und Waffenindustrielle Hermann Röchling, der nach 1945 zweifach als Kriegsverbrecher verurteilt worden war und nach dem sogar noch 1956 ein Stadtteil im saarländischen Völklingen benannt wurde: Hermann-Röchling-Höhe. Am 31. Januar 2013 beschloß der Völklinger Stadtrat die Umbenennung des Stadtteils in Röchlinghöhe – ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Vom Deutschen Reich aus wurden schon Monate vor der Volksabstimmung massive Anstrengungen unternommen, um das Saargebiet auch per Rundfunkpropaganda zu erreichen. Radiogeräte, die sogenannten »Volksempfänger«. von Nazi-Gegnern allerdings auch schlicht als »Goebbelsschnauze« bezeichnet, wurden verteilt und in zahlreichen wurde Sendungen betont, das Saargebiet gehöre zu Deutschland. Selbst die Bischöfe von Trier und Speyer hatten ihren Priestern im katholischen Saarland verboten, sich der Status-quo-Bewegung anzuschließen.

Besonders im Jahr 1934 steigerte sich dies zu einer gesamtdeutschen Saarkonjunktur, propagandistisch gelenkt und geleitet von der Deutschen Front, an der Spitze Hermann Röchlings Broschüre »Wir halten die Saar!« stand. Dabei stellten sich fast alle bürgerlichen saarländischen Autoren in den Dienst der Deutschen Front, in dem sie Gedichte, Lieder, Sprechchöre oder Politdramen veröffentlichten.

Der Film versucht sehr anschaulich zu zeigen, wie es aber trotzdem gelang, eine breite antifaschistische Einheitsfront von unten gegen die faschistische Gefahr zu organisieren und sich gegen den Anschluß an Hitler-Deutschland zu stemmen. Mitte 1934 bündelten Kommunisten, Sozialdemokraten und katholische Hitler-Gegner ihre Kräfte und setzten sich in Demonstrationen, Kundgebungen, mit Flugblättern und Schriften gegen die Demagogie der Nazis ein.

Kurz darauf traten ihr auch die kommunistischen Gewerkschaftsverbände bei. Unter der Losung »Haltet die Saar Genossen!« entwickelte sich ein breites Bündnis im Abstimmungskampf. Im Juli 1934 entschied die KPD, auch veranlaßt vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, zur Bildung einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten zwecks Fortsetzung des Völkerbundmandats. Zur Unterstützung der politischen Arbeit vor Ort entsandte die KPD-Führung Herbert Wehner ins Saargebiet, der hier auf den Vorsitzenden der Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), den Saarländer Erich Honecker traf, der seit 1928 dem Kommunistischen Jugendverband Deutschland/Bezirk Saar angehörte und 1931 an die Spitze des KJVD im Saargebiet trat und mit erfolgreicher antifaschistischer Arbeit unter der Jugend zur Aktionseinheit der Linken beitrug. Ausführliches findet sich dazu in Honeckers biographischen Bericht »Aus meinem Leben«.

Am 4. Juni 1934 wurde vom Völkerbund der 13. Januar 1935 als Tag der Volksabstimmung festgelegt. In den Wochen vor dem Referendum erschienen in Nazideutschland wie an der Saar zahlreiche Artikel, Broschüren, Flugblätter, in denen vor der Gefahr des Anschlusses gewarnt wurde. Bertolt Brecht schrieb den Text für das Lied »Haltet die Saar, Genossen!«, das von Hanns Eisler vertont wurde. Gustav Regler veröffentlichte seinen aktuellen Roman »Im Kreuzfeuer«. Erich Weinert sprach in rund 150 Wahlkampfauftritten und prominente Autoren und Schriftsteller, u.a. Klaus Mann, Henri Barbusse, Willi Münzenberg, Alfred Kerr, Willi Bredel, Alfred Kantorowicz, Erwin Piscator und Ernst Toller stellten sich mit ihren Beiträgen auf die Seite der Einheitsfrontbewegung.

In spannenden Reportagen berichteten Theodor Balk und der sowjetische Schriftsteller und Journalist Ilja Ehrenburg über die Ereignisse an der Saar. Die wohl größte antifaschistische Kundgebung, organisiert durch die Einheitsfront aus SPD und KPD, fand im Sommer 1934 in Sulzbach statt. Es sollte sich aber bald zeigen, daß die Gegner des Anschlusses an Hitler-Deutschland der propagandistischen und finanziellen Unterstützung aus dem Reich letztlich nur wenig entgegen zu setzen hatten.

Im Stadion am Kieselhumes fand am 6. Januar 1935, wenige Tage vor dem Referendum, die letzte große antifaschistische Kundgebung statt. Am gleichen Tag wie die »Deutsche Front« veranstaltete auch die »Einheitsfront« ihre Abschlußkundgebung zur Abstimmung vom 13. Januar. Vor mehr als 60.000 Menschen sprachen saarländischen Hitlergegner aus KPD, SPD und christlichen Oppositionsparteien. Max Braun, SPD Landesvorsitzender, trug die Idee eines freien Saarstaates unter Kontrolle des Völkerbundes vor. Fritz Pfordt, Vorsitzender der KPD/Saar warnte die Bevölkerung vor einem Anschluß an Nazi-Deutschland mit dem Ruf: »NIE ZU HITLER!« Es sprachen auch Johannes Hoffmann vom katholischen Volksbund und Johanna Kirchner von der AWO.

Am 13. Januar 1935 wurde dann unter der Aufsicht des Völkerbunds gewählt. 90,8 Prozent der Saarländer votieren für den Anschluß an das Deutsche Reich, 8,8 Prozent für die Selbständigkeit der Saar und 0,4 Prozent für den Anschluß an Frankreich.

Bleibt aber noch ein Nachsatz zum Film: Nach dem Ende der DDR überließ Rolf Schnabel Dr. Luitwin Bies, wie er schrieb – das einzige existierende Exemplar. Heute wissen wir, daß auch eine Kopie im Deutschen Rundfunkarchiv existiert und auf Anfrage für nicht kommerzielle Zwecke ausgeliehen werden kann.