Panikpandemie im Sommerloch
»31 neue Schweinegrippefälle in Luxemburg«, »Handel bereitet sich auf Ausweitung der H1N1-Pandemie vor«, »EU-Politiker fürchtet 1 Million Schweinegrippe-Fälle«, »Erste Todesopfer in Belgien und Frankreich« oder »OGB-L verlangt kostenlose Impfungen« – Schlagzeilen wie diese bestimmen seit Wochen die Berichterstattung über die A/H1N1-Influenza. Mit der Realität hat das allerdings kaum etwas zu tun.
Die erstmals im Februar in Mexiko aufgetretene Krankheit breitet sich verglichen mit den jährlich üblichen Grippewellen geradezu im Schneckentempo aus. Die Zahl und die Zuwachsraten der Ansteckungen in Luxemburg und anderswo in Europa sind weiterhin minimal. Und noch kein seriöser Fachmann hat die im Vergleich zu sonstigen Influenzawellen mit Zehntausenden Toten recht milde verlaufende Krankheit als für den Menschen gefährlich eingestuft.
Anders als in den Nachbarstaaten, wo die Regierungen die von den sommerlochgeplagten Medien geschürte Panik mit größtenteils abstrusen Notfallplänen auch noch anheizen, hält sich das Luxemburger Gesundheitsministerium bisher zurück und betont stets, daß sich alle bislang mit der sogenannten Schweinegrippe Infizierten – bis gestern 130 Personen – »schnell und ohne Komplikationen« wieder von der Krankheit erholt haben.
Auch die in dieser Woche vom Ministerium gestartete Aufklärungskampagne »Stoppt die A/H1N1-Grippe« beschränkt sich auf die Vermittlung von »einfachen und wirksamen Regeln« wie regelmäßiges Händewaschen und empfiehlt, nur bei den üblichen Grippesymptomen – plötzliches Fieber zusammen mit Husten, Gliederschmerzen und Atemproblemen – einen Arzt aufzusuchen.
Wie der alte und neue Gesundheitsminister in Beantwortung einer parlamentarischen Frage versicherte, hat das Großherzogtum bereits vor drei Jahren 450.000 Dosen des antiviralen Medikaments Tamiflu geordert. Diese würden geliefert, sobald die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Pandemie ausrufe.
Da für einen ausreichenden Schutz jeweils zweimal hintereinander geimpft werden muß, reicht die von der Regierung bestellte Menge also für ungefähr jeden zweiten Einwohner: Mehr als genug also, wenn man bedenkt, daß sich selbst nach der Worst-Case-Annahme der Grippeexperten auf dem Höhepunkt der Grippewelle nur jeder Vierte infizieren würde.
In seiner Antwort schreibt Mars Di Bartolomeo, derzeit werde mit der WHO über die Lieferung zusätzlicher Dosen verhandelt. Angeblich, um diese Verhandlungen »nicht zu gefährden«, wolle er keine Angaben zu den Kosten machen.
Nun kann es sein, daß der Minister einfach nicht sagen will, wie viel Geld mit großer Wahrscheinlichkeit zum Fenster rausgeworfen wurde. Denn so wie die sogenannte Vogelgrippe bisher nur ganz selten beim Menschen ausgebrochen ist, so unwahrscheinlich ist es, daß es im Herbst zu einer zweiten, schlimmeren Schweinegrippewelle kommen wird.
Auch sollte sich das Gesundheitsministerium nicht auf das Urteil der WHO verlassen, die schon bei der Vogelgrippe an der Panikpandemie beteiligt war. Anfang 2007 wechselte Klaus Stöhr, der Leiter des Influenza-Impfstoff-Programms und der Vogelgrippe-Kampagne der WHO, zum Pharmariesen Novartis, der gerade einen neuen Grippeimpfstoff auf den Markt bringen will.
Bereits vor vier Monaten warnte der mexikanische Autor Gustavo Esteva vor »zwei Pandemien mit tödlicher Kraft: der Falschinformation und dem unkontrollierten Autoritätsmißbrauch«.
Oliver Wagner
