Kultur25. September 2021

Utopische Literatur in der DDR (4)

Was ist der Mensch?

von Nina Hager, Berlin

Den Weltraumabenteuern blieben viele SF-Autorinnen und -Autoren der DDR auch in den 1970er und 80er Jahren weiter treu. Auch in Erzählungen, die nun auch in Anthologien oder in der siebenteiligen Buchreihe »Lichtjahr« erschienen, die ab Anfang der 80er Jahre bis 1990 in der DDR herausgegeben wurde, im Hinblick auf die grafische Gestaltung herausragte und neben Erzählungen, Kurzgeschichten, Gedichte usw. sowie farbige Grafiken enthielt.

Doch die Schwerpunkte hatten sich verändert. Bücher wie »Titanus« oder »Der Mann aus dem anderen Jahrtausend« wurden nicht mehr geschrieben. Einige Autoren griffen in den 1980ern zwar die Thematik auf oder versuchten, Klassenkämpfe auf der Erde zu beschreiben, etwas Neues gelang aber nicht. Die Technikeuphorie früherer Jahre war weitgehend verschwunden. Die Auseinandersetzung mit Chancen und Gefahren der Genetik, dem Umgang mit nichtmenschlichem Leben, die Diskussionen um das Verhältnis von Mensch und Maschine sowie Umweltfragen begannen in der Science-Fiction-Literatur der DDR eine Rolle zu spielen. Aber auch gesellschaftliche Entwicklungen wurden, wenn auch nicht bei allen Autoren, differenzierter gesehen, ebenso persönliche wie Generationenkonflikte.

In den 1970er und 80er Jahren begann die »Karriere« einiger SF-Autoren der DDR, die neue Ideen entwickelten und – kreativ – auch internationale Trends berücksichtigten. Darunter der Physiker, Philosoph und spätere Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller und seine Frau Angela, eine Mathematikerin (zum Beispiel »Andymon«, 1982). Andere, wie Heiner Rank (»Die Ohnmacht der Allmächtigen«, 1984), der ansonsten vor allem Drehbücher und Kriminalromane schrieb, versuchten sich auch einmal in diesem Genre. Rank mit großem Erfolg. Bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Anna Seghers, Franz Fühmann und andere wählten in jener Zeit gleichfalls die Stilmittel der Science Fiction. Anna Seghers Erzählung »Sagen vom Unirdischen« (in »Sonderbare Begegnungen«, 1972) erzählt zwar von Besuchern von den Sternen, die zunächst im 16. Jahrhundert während der Bauernkriege auf die Erde kommen, dann noch einmal während des Dreißigjährigen Krieges, dabei geht es aber nicht um »Abenteuer«, sondern vor allem um das Wesen der Kunst.

Zu den SF-Büchern der DDR, an die so manche sich noch heute gern erinnern, gehörten die Geschichten von Gert Prokop über den Detektiv Timothy Truckle (»Wer stiehlt schon Unterschenkel?«, 1977, und »Der Samenbankraub«, 1983), aber unter anderem auch »Andymon« und »Die Ohnmacht der Allmächtigen«, die auch nach 1990 Neuauflagen erlebten. In »Die Ohnmacht der Allmächtigen« geht es nicht nur um ethische Fragen im Zusammenhang mit der Genetik, um die Rolle der Arbeit für den Menschen, sondern auch um die alte weltanschauliche Grundfrage »Worin besteht der Sinn des Lebens?«. Auch »Andymon« beschäftigt sich mit solchen philosophischen Grundfragen: »Woher kommen wir?«, »Wer sind wir?«, »Wohin gehen wir?«.

Der Held in »Die Ohnmacht der Allmächtigen« wacht auf dem Planeten Astilot aus dem Schlaf auf. Er weiß zunächst weder wo noch wer er ist. Seine Erinnerungen wurden »gelöscht«. Später erinnert er sich nach und nach, daß er als Raumfahrer im irdischen Sonnensystem in der Nähe des Saturn unterwegs war. Scheinbar befindet sich Asmo nun in einem Paradies. Die Dafotil kennen nur ungetrübtes Glück, nur »Harmonie« und Müßiggang, weder Mangel, Mühen, Streit noch Sorgen. Sie erleben weder Krankheit noch Alter. Was sie wünschen, geht in Erfüllung. Doch dieses »Glück« haben sie sich nicht selbst erarbeitet, wie Asmo feststellt. Und ihn stößt dieser Müßiggang ab. Auch, weil die Dafotil menschliche Sklaven haben, die jedoch nur einem eingeschränkten Programm folgen. Diese sind, wie die Dafotil, – genetisch veränderte – gesteuerte Produkte anderer Wesen. Der Roman läßt offen, ob den Dafotil der Ausbruch gelingt.

In »Andymon« dagegen fliegt ein »unbemanntes« Schiff von der Erde Jahrtausende zum Planeten Andymon. Etwa 20 Jahre vor der Ankunft erzeugt das Schiff nach und nach aus befruchteten Eizellen Kinder. Roboter ziehen sie groß und vermitteln das Wissen, das Raumschiff zu steuern und Andymon zu besiedeln. Menschen aus dem Inkubator, von Robotern erzogen und ohne jeglichen Kontakt mit der sonstigen menschlichen Gesellschaft? Der Planet erweist sich als lebensfeindliche Einöde. Alle Kräfte werden dafür gebraucht, diese umzuwandeln. Doch bald zeigt sich, daß die im Raumschiff aufgewachsenen verschiedenen »Generationen« sehr unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie der Planet besiedelt und damit auch die neue Gesellschaft aufgebaut werden soll. Die Siedlerinnen und Siedler haben kein Vorbild. Sie können nur bedingt aus den Erfahrungen der Erde schöpfen, müssen allein ihren Weg finden.

Nina Hager, Berlin