Ausland24. Januar 2025

Panzer statt Autos

Die deutsche Rüstungsindustrie entwickelt sich zum »Hoffnungsträger« auf der Suche nach neuen Arbeitsplätzen für massenhaft entlassene Arbeiter der Kfz-Branche

von GFP/ZLV

Während deutsche Autohersteller und ihre Zulieferer zur Zeit stets weitere Kündigungen vieler Tausend Angestellter bekanntgeben, sind Konzerne wie etwa Rheinmetall, Diehl Defence oder Hensoldt auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Ursache ist der gewaltige Rüstungsboom, der die Produktion befeuert und die Umsätze in die Höhe treibt. Die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall geht davon aus, ihren Umsatz, der 2021 noch bei 5,66 Milliarden Euro lag, bis 2026 auf 13 bis 14 Milliarden Euro steigern zu können. Dazu werden Tausende neue Arbeitskräfte benötigt.

Zwar könne die Rüstungsindustrie unmöglich alle Entlassungen in der Kfz-Branche auffangen, die allein in Baden-Württemberg in diesem Jahr wohl auf 40.000 steigen dürften, heißt es; doch könne man wohl wenigstens »einen Teil« durch neue Rüstungsarbeitsplätze kompensieren. Dazu tragen neben der Aufrüstung der Bundeswehr vor allem auch die Rüstungsexporte bei, die 2024 ein Rekordvolumen erreichten.

Rüstungsexporte auf Rekordniveau

Die deutsche Bundesregierung hat im vergangenen Jahr so umfangreiche Rüstungsexporte genehmigt wie nie zuvor. Das hat am Mittwoch – nach noch unvollständigen Vorabmeldungen im Dezember – das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt. Wie das von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) geführte Haus in seiner Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (BSW) mitteilt, erlaubte der Bundessicherheitsrat 2024 die Ausfuhr von Kriegsgerät aller Art im Wert von 13,3 Milliarden Euro, knapp zehn Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2023 (12,1 Milliarden Euro).

Der mit deutlichem Abstand größte Anteil – Rüstungsgüter im Wert von rund 8,2 Milliarden Euro – wurde an die Ukraine geliefert. Es folgten Singapur (1,2 Milliarden Euro), das die NATO-Staaten aufrüsten, weil sie hoffen, es werde sich in einem möglichen Krieg gegen China auf die Seite des Westens schlagen; Algerien (558,7 Millionen Euro); die USA (319,9 Millionen Euro) und der NATO-Partner Türkei (230,8 Millionen Euro). Die Waffenlieferungen an die Türkei gewinnen wieder an Schwung und sind so umfangreich wie seit 2006 nicht mehr, auch angesichts der Tatsache, daß das Land größere Teile seines Nachbarstaates Syrien besetzt hält und dort einen mörderischen Angriffskrieg gegen die kurdischsprachige Minderheit führt.

Profiteur
des Ukraine-Kriegs

Der rasante Anstieg der deutschen Rüstungsexporte geht mit einem ebenso rasanten Wachstum einer ganzen Reihe deutscher Rüstungskonzerne einher. Das bekannteste Beispiel ist Rheinmetall. Der Konzern hat – zum Teil direkt, zum Teil über einen sogenannten Ringtausch – zahlreiche Waffensysteme an die Ukraine geliefert, darunter Kampfpanzer der Modelle Leopard 1 und Leopard 2, Schützenpanzer des Modells Marder, hunderte Trucks, zudem Aufklärungs- und Flugabwehrsysteme und ein Feldhospital.

Eine große Rolle spielen Munitionslieferungen; bei Rheinmetall hieß es bereits im März 2024, während man vor dem Beginn der massenhaften Lieferungen an die Ukraine lediglich 70.000 Schuß pro Jahr habe verkaufen können, werde man bis Ende des Jahres ein Volumen von 700.000 erreichen, wobei fast die gesamte Produktion an das ukrainische Militär geliefert werde.

Die Düsseldorfer Waffenschmiede gab Ende 2024 an, sie sei »inzwischen der wichtigste rüstungsindustrielle Partner« der Ukraine. Zudem ist sie Hauptprofiteur des sogenannten Sondervermögens – des schuldenfinanzierten Programms der deutschen Bundesregierung mit einem Wert von 100 Milliarden Euro, aus dem zur Zeit die Aufrüstung der Bundeswehr maßgeblich finanziert wird. Von den 100 Milliarden Euro könne Rheinmetall eine Summe zwischen 30 und 40 Milliarden beanspruchen, teilte der Konzern bereits im vergangenen Jahr mit.

Wachstumsrekorde

Vom Krieg in der Ukraine profitiert nicht nur Reinmetall, wenngleich die Wachstumszahlen des Konzerns beeindrucken. Im Vorkriegsjahr 2021 hatte die Firma noch einen Umsatzanstieg um 4,7 Prozent auf knapp 5,66 Milliarden Euro gefeiert, wobei das Wachstum damals vor allem auf steigenden Umsätzen der zivilen Konzernsparte (Kfz) beruhte. Im vergangenen Jahr erreichte der Konzernumsatz – bei leichtem Schrumpfen der zivilen Sparte – bereits innerhalb der ersten neun Monate ein Volumen von 6,3 Milliarden Euro, etwa 36 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum; der Auftragsbestand von mittlerweile 52 Milliarden Euro ließ es ohne weiteres machbar erscheinen, den Jahresumsatz bis zum Jahr 2026 auf 13 bis 14 Milliarden Euro zu steigern und langfristig gar die Schwelle von 20 Milliarden Euro zu überschreiten.

Der Aktienkurs von Rheinmetall, der sich vor dem Krieg in der Ukraine unterhalb von 100 Euro bewegt hatte, liegt zur Zeit bei mehr als 700 Euro.

Aber auch andere Unternehmen boomen, so etwa die Militärsparte der Diehl Group, Diehl Defence, die für das ukrainische Militär das Flugabwehrsystem IRIS-T produziert. Sie konnte ihren Jahresumsatz von 660 Millionen Euro im Jahr 2021 über 810 Millionen Euro 2022 auf 1,14 Milliarden Euro 2023 steigern; für 2024 wird ein weiteres Wachstum vorausgesagt.

Steigender
Personalbedarf

Mit der Ausweitung der Produktion geht ein Zuwachs an Angestellten der Rüstungsfirmen einher. So arbeiteten von den mehr als 1.100 Personen, die die Diehl Group im Jahr 2023 neu beschäftigte, gut die Hälfte bei Diehl Defence – dies vor allem aufgrund der Tatsache, daß die Produktion der IRIS-T-Flugkörper damals gegenüber dem Vorjahr verdreifacht wurde. Im Jahr 2024 war eine weitere Verdoppelung geplant.

Neueinstellungen nimmt seit dem Krieg in der Ukraine faktisch die gesamte Branche vor. So berichtete Mitte vergangenen Jahres die Renk Group aus Augsburg, die unter anderem Getriebe und weitere Bauteile für Panzer, Fregatten und anderes Kriegsgerät herstellt, sie werde die Zahl ihrer Angestellten – inklusive derjenigen an den Auslandsstandorten – von rund 3.800 auf rund 4.200 erhöhen. Bei Rheinmetall hieß es damals, man wolle im Jahresverlauf 3.500 neue Mitarbeiter beschäftigen; binnen der nächsten drei Jahre sei sogar ein Zuwachs von 6.000 neuen Stellen zu erwarten.

Bei dem rasanten Personalzuwachs handelt es sich nicht um ein spezifisch deutsches Phänomen, sondern um eines, das auch andere NATO-Staaten mit größeren Waffenschmieden verzeichnen. Im Juni 2024 berichtete die »Financial Times« von Neueinstellungen im Umfang von zehn oder mehr Prozent der bisherigen Mitarbeiterzahl bei Rüstungskonzernen von Leonardo (Italien) über Thales (Frankreich) bis zu Waffenschmieden der USA.

In Deutschland gerät die Rüstungsindustrie dabei in wachsendem Maß als Auffangbecken für entlassenes Personal der kriselnden Kfz-Branche in den Blick. Bereits Mitte 2024 wurde berichtet, Rheinmetall arbeite mit einer Auffanggesellschaft des Kfz-Zulieferers Continental zusammen, in die Letzterer Arbeitskräfte verschiebe, für die er krisenbedingt aktuell keinerlei Beschäftigung habe; der »stark wachsende Personalbedarf von Rheinmetall« solle zumindest zum Teil aus dieser Auffanggesellschaft gedeckt werden.

Ähnliches haben nun Politiker in Baden-Württemberg im Visier, einem Bundesland, das traditionell eine starke Kfz-Branche inklusive Zulieferer aufweist, das aber auch über eine starke Rüstungsindustrie verfügt – mit Unternehmen wie Diehl Defence (Überlingen), Hensoldt (Ulm) oder ZF (Friedrichshafen). Zwar könne die Rüstungsindustrie unmöglich die 40.000 Arbeitsplatzverluste auffangen, mit denen dieses Jahr in Baden-Württembergs Kfz-Branche gerechnet werde. Doch hofften viele, »daß das Wachstum dieser Branche« wenigstens »einen Teil« der drohenden Beschäftigungseinbrüche kompensieren könne. Panzer entwickelten sich zur Zeit zum »Wachstumsmotor«.