Klartext reden – und denken
Westliche Politiker und Medien empören sich – nicht völlig zu Unrecht – über die immer wieder erfolgenden russischen Angriffe auf die Ukraine und die Hauptstadt Kiew. Unredlich wird es jedoch ab dem Moment, wenn im deutschen Staatsfernsehen die Behauptung des ukrainischen Präsidenten wiederholt wird, damit sei »bewiesen, daß Rußland auch die ganze Ukraine erobern« wolle. Daß es dafür keinerlei Belege gibt, weiß jeder, der wenigstens ein einziges Mal das russische Memorandum gelesen hat, das der ukrainischen Seite bei den Verhandlungen in Istanbul übergeben wurde – das allerdings hierzulande nur in dieser Zeitung veröffentlicht wurde.
Unredlich wird es auch dann, wenn von einem »Angriff auf das Regierungsgebäude« in Kiew die Rede ist – und die Agenturen gleichzeitig Bilder von Flammen aus zwei Fenstern einer obersten Etage zeigen. Angriffe auf Gebäude sehen anders aus, wie man in Gaza sehen kann, und ein Angriff auf eine Regierungseinrichtung würde wohl kaum mit einer kleinen Drohne ausgeführt, wenn man wirklich die Regierung treffen will.
Unredlich ist es auch, wenn in den Meldungen nicht über ukrainische Angriffe auf russisches Territorium berichtet wird, vor allem auf Raffinerien und Pipelines. Das war zum Beispiel Gegenstand eines Gespräches zwischen dem slowakischen Premierminister Fico und Präsident Selenski, bei dem laut dpa »die wiederholten Beschädigungen der Pipeline durch das ukrainische Militär« als »Angriff auf die Energiesicherheit der Slowakei« bezeichnet wurden.
Die übermäßige Betonung der Folgen russischer Angriffe hat durchaus Methode. Das passiert immer dann, wenn im Westen die Trommel gerührt wird für weitere Waffenlieferungen und für massive Aufrüstung – was nicht nur auf Kosten der Steuerzahler in den Ländern der »Koalition der Willigen« geht, sondern die Sicherheit sowohl der Ukraine als auch mindestens des ganzen Kontinents zutiefst gefährdet.
Unmoralisch wird es, wenn bei den Äußerungen der westlichen Politiker und in den Medien der Völkermord in Gaza immer mehr in den Hintergrund rückt. Israel bombt Gaza in Grund und Boden, tötet jeden Tag Dutzende, läßt Menschen reihenweise verhungern und auf Männer, Frauen und Kinder schießen, die verzweifelt um ein wenig Essen betteln. Die Regierungen und fast alle Medien im »Werte«-Westen machen sich durch lautes Schweigen und Nachbeten der Lügen von Netanjahu & Co. zu Komplizen beim Völkermord...
Diese Zeitung ist hierzulande die einzige, die sich darum bemüht, die Wahrheit darüber zu verbreiten, Klartext zu reden und dazu auffordert, Klartext zu denken. Die stetige Wiederholung der Rechtfertigungsversuche für Israels Völkermord, die Verunglimpfung von Protesten gegen Israels Krieg als »Antisemitismus«, die Verniedlichung der massiven Angriffe in Gaza als »Militäreinsatz« – das alles soll gleichgültig machen gegenüber dem Leid der Menschen in Gaza und in den Gebieten, die Israels rechtsradikale Führung für sich beansprucht, soll die Übergriffe im Westjordanland relativieren, ebenso die immer wieder stattfindenden Angriffe im Libanon, in Syrien, im Jemen, die Drohungen gegen den Iran und die Vorwürfe gegen westliche Regierungen, die zumindest so anständig sind, eine Anerkennung des Staates Palästina bei der bevorstehenden Generalversammlung der UNO anzukündigen.
Das Bedauern der Opfer in der Ukraine ist menschlich korrekt. Aber sind die Menschen in Gaza so viel weniger wert, daß man den Massenmord stillschweigend oder gar billigend hinnehmen kann?