Ausland07. August 2020

»Lügen, betrügen und stehlen«

Plünderung syrischen Öls wird verstärkt. Syrische Regierung verurteilt Vertrag zwischen SDF und USA

Das syrische Außenministerium hat mit scharfen Worten die Vereinbarung zwischen den »Syrischen Demokratischen Kräften« (SDF) und einer US-amerikanischen Ölfirma zur Ausbeutung syrischer Ölfelder verurteilt. Beide Seiten hätten sich darauf verständigt, »das syrische Öl zu stehlen«, hieß es in einer Erklärung. Die Vereinbarung sei null und nichtig und rechtlich nicht zulässig. Zwei Diebe hätten diesen Handel geschlossen, der eine würde das syrische Öl stehen und der andere würde das Diebesgut verkaufen.

Die Vereinbarung verletze die Souveränität Syriens und mache die feindselige Haltung der USA gegenüber Syrien deutlich, hieß es weiter. Die USA wollten die syrischen Ressourcen stehlen, um die Bemühungen für einen Wiederaufbau des Landes zu behindern. Die Milizen, die solchen Handel abschlössen, seien nichts mehr als »billige Marionetten in den Händen der USA-Besatzung«. Die letzten Jahre hätten gezeigt, daß die Syrer »zum Wohl der Einheit des Landes und seiner Bevölkerung« zusammenstehen und die Ressourcen schützen und bewahren.

Das Nachrichtenportal Al Monitor hatte am 30. Juli 2020 als erstes über die Vereinbarung zwischen den SDF und der US-amerikanischen Ölfirma Delta Crescent Energy LLC berichtet. Die Meldung basierte auf »Quellen mit direkter Kenntnis der Vereinbarung«. Die Ölfelder in dem Gebiet, das von den SDF mit USA-Unterstützung kontrolliert würden, sollten »entwickelt und modernisiert werden«, so Al Monitor. Das Weiße Haus habe die Vereinbarung »angeregt«, und die SDF-Vertreterin in Washington, Sinam Mohamad, habe es bestätigt.

Inzwischen wurde über CNN bekannt, wer hinter Delta Crescent Energy LCC steckt. Das Gründungs- und Führungstrio besteht aus einem ehemaligen Diplomaten des Außenministeriums der USA, einem ehemaligen Offizier der Spezialtruppe »Delta Force« der US Army und einem Öl-Magnaten mit Erfahrungen im Mittleren Osten. James Cain war unter Präsident George W. Bush USA-Botschafter in Dänemark. James Reese war 25 Jahre Offizier der USA-Armee, u.a. in der Eliteeinheit »Delta Force« und für zahlreiche »Spezialeinsätze« auch im Irak verantwortlich. 2008 gründete er die private Sicherheitsfirma TigerSwan. Der dritte im Bunde heißt John Dorrier und ist Gründer der Ölfirma Gulfsands, die u.a. im Südirak tätig war und und laut der Webseite angeblich eine Lizenz für einen Block 26 im Nordo­sten Syriens hält. Offiziell hat Dorrier seine Anteile an Gulfsands 2009 verkauft.

»Wirtschaftliches Machtzentrum«

Die USA betrachten den Nordosten Syriens als das »wirtschaftliche Machtzentrum« des Landes, erläuterte die politische Analystin Dana Stroul vom Washington Institute for Near East Policy bei einer Konferenz über Syrien im November 2019. »Ein Drittel des syrischen Territoriums« gehöre quasi schon den USA und werde von den USA-Streitkräften und deren lokalen Partnern, den »Syrischen Demokratischen Kräften« kontrolliert. Für das USA-Militär sei das keine große Bela­stung, man habe »nur etwa 1.000 Soldaten dort«, sagte Stroul. Die SDF stellten zehntausende Kämpfer, Kurden und Araber. »Dieses eine Drittel Syriens ist reich an Ressourcen, es ist das ökonomische Machtzentrum« des Landes, so Stroul weiter. »Dort gibt es Öl«, über das man »dieser Tage« (Herbst 2019) viel in der Öffentlichkeit in Washington diskutiere und »außerdem ist es das landwirtschaftliche Machtzentrum«.

Die USA betrachten den Nordosten Syriens – sie sprechen von der Ost-Euphrat-Provinz – als ihre Einflußzone. Die Besatzung soll Druck auf Damaskus und seine Verbündeten Rußland und Iran ausüben, das Gebiet sei wichtig im Rahmen der USA-Strategie des maximalen Drucks gegen den Iran, so Stroul. Dazu gehörten auch die umfassenden Sanktionen, die von den »Partnern«, darunter der Europäischen Union, unterstützt würden.

Als weiteres wichtiges Druckmittel nannte Stroul die Dominanz der USA über die großen internationalen Finanzinstitutionen. Im Nordo­sten Syriens werde man Wiederaufbau- und Stabilisierungshilfe leisten. »Der Rest von Syrien liegt in Trümmern«, so Dana Stroul. Solange »das Assad-Regime sein Verhalten nicht ändert, sollten wir verhindern, daß Wiederaufbauhilfe und technische Hilfe nach Syrien gelangt«.

»Wir behalten das Öl«

Im Oktober 2019 hatte USA-Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung vor Polizeichefs in Chicago zur Präsenz der USA in Syrien erklärt: »Wir behalten das Öl (…) das sind 45 Millionen US-Dollar im Monat, (…) wir haben das Öl gesichert.« Die USA-Truppen würden gegen jeden einen »Höllenkampf« ausfechten, der versuche, an das syrische Öl heranzukommen. »Vielleicht sollten wir auch etwas für uns selber nehmen«, so Trump. »Vielleicht sollten wir einen Deal mit ExxonMobil oder einer anderen unserer großartigen Firmen abschließen. Daß die dorthin gehen und es vernünftig machen.«

»Vernünftig machen“ soll es nun offenbar die Firma Delta Crescent Energy LCC. Das allerdings widerspricht nicht nur dem Völkerrecht, sondern auch dem USA-Recht. Wenn USA-Truppen oder US-amerikanische Firmen ohne die Zustimmung der Regierung in Damaskus anfangen sollten, im Nordosten Syriens nach Öl zu bohren und es zu verkaufen, gelten sie juristisch als Plünderer. Nationale Ressourcen unterliegen immer der Kontrolle, dem Schutz und der Nutzung durch die jeweilige Regierung eines Landes. Plünderung ist völkerrechtlich nach der Vierten Genfer Konvention ausdrücklich verboten, auch die USA haben diesen Vertrag 1955 unterzeichnet. Sollten USA-Soldaten oder Firmen eine der Genfer Konventionen verletzen, gilt das seit 1996 in den USA als Kriegsverbrechen.

Armut und Krieg.

In Syrien ist Erntezeit. Auch in diesem Jahr wird geerntet, allerdings liegen weite Flächen des Landes brach, sind durch den Krieg verwü­stet oder – wie in Teilen von Idlib, Aleppo und im Nordosten von Truppen der Türkei und der USA besetzt. Beide Staaten unterstützen mit ihren Armeen Kräfte, die in den vergangenen Kriegsjahren dank ihrer guten Verbindungen ins Ausland zu Macht, Geld und Einfluß gekommen sind. Um ihre Macht zu festigen beharren sie auf die Beherrschung und Ausbeutung von Ressourcen, die einst alle in Syrien lebenden Menschen ernährten.

Wichtige Abnehmer der syrischen Nahrungsmittel waren der Irak, Jordanien und der Libanon. Syrien hat immer gegeben, heißt es in der Region. Jordanien und der Libanon – die selber nicht über genügend landwirtschaftliche Fläche oder Wasserressourcen verfügen – wurden mit Wasser und Strom, mit Obst und Gemüse versorgt.

Der Krieg um Syrien und die von den USA und der EU einseitig und völkerrechtswidrig verhängten Wirtschaftssanktionen bedeuten für die ganze Region Hunger, Armut und Krieg. Der Libanon, der sich mit dem Ausbau seiner Häfen in Beirut und Tripoli auf den Wiederaufbau im kriegszerstörten Syrien vorbereitete, wurde von den USA und der EU zunehmend unter Druck gesetzt. Beirut solle die wirtschaftlichen Beziehungen mit Syrien unterlassen und mit seinem natürlichen Handelspartner keine Geschäfte mehr machen, wenn es nicht selber von Washington und Brüssel sanktioniert, politisch, finanziell und ökonomisch unter Druck gesetzt werden wollte. Wegen der USA-Finanzsanktionen gegen Syrien und gegen die libanesische Hisbollah konnten Syrer und Libanesen vom eigenen Konto auf libanesischen Banken zuerst nur noch eine begrenzte Menge an US-Dollar abheben, dann gar nichts mehr.

Nun ist der Libanon mit den verheerenden Explosionen im Hafen von Beirut und der Zerstörung von weiten Teilen der Hauptstadt selbst ein Katastrophengebiet geworden. Die Weizenvorräte des Landes, die im Hafen lagerten, sind verbrannt, und noch immer dürfen keine Produkte aus Syrien die Grenze passieren. Selbst Stromlieferungen sollen nach dem Willen der USA unterbleiben. Die Not der Menschen im Mittleren Osten bedeutet ein El Dorado für Hilfsorganisationen aller Art aus dem Ausland.

Auch wenn die Versorgungslage in Syrien auf niedrigem Niveau gesichert ist, fehlen dem Land die Ressourcen der von den USA besetzten Gebiete im Nordosten. Im Euphrat-Tal wird Baumwolle angebaut, die Provinz Hasakeh verfügt über weite Weizenanbaugebiete. Das Wasser des Euphrat – reguliert durch Stauseen und Dämme – dient der Bewässerung und der Stromerzeugung von Deir Ez-Zor über Rakka bis Aleppo. Der 80 Kilometer lange und etwa 8 Kilometer breite Assad-Stausee, der durch den Tabqa-Staudamm entstanden ist, ist reich an Fischbestand. Entlang des Sees gibt es fruchtbaren Boden für Weizen-, Kartoffel-, Obst- und Gemüseanbau. Doch nicht nur der Tabqa-Staudamm, auch der Zugang zum See, zu Feldern und Gärten oder der Nutzung der Brücken wird von Milizen der Syrischen Demokratischen Kräfte kontrolliert. Bei Tabqa werden die SDF-Einheiten von USA-Truppen unterstützt, die sich auf einer nahe gelegenen Militärbasis der syrischen Armee einquartiert haben.

In Hasakah, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, verweigerten SDF-Milizen einen Monat lang den Mitarbeitern der Elektrizitätsbehörde den Zugang zu ihren Büros. Seit Mittwoch halten bewaffnete SDF-Milizen in der Stadt Teile der Behörde besetzt, die für die Weizensilos verantwortlich ist. 120 Arbeiter seien von ihren Arbeitsplätzen mit Waffengewalt vertrieben worden, berichteten Betroffene der syrischen Nachrichtenagentur SANA.

Beide Behörden sind staatliche Einrichtungen und hatten während des Krieges ihre Arbeit nicht eingestellt. Die Mitarbeiter, staatliche Angestellte, erhalten monatlich von der Regierung in Damaskus ihr Gehalt. Möglicherweise wollen die SDF nun nicht nur das Öl, sondern auch die staatlichen Einrichtungen für die Strom- und Weizenversorgung im Nordosten Syriens selber kontrollieren. Als syrische Regierungsvertreter bei den Verhandlungen mit den SDF die Übergabe der Kontrolle von Rakka und Deir Ez-Zor forderten, lehnten die SDF-Unterhändler ab. Die mehrheitlich arabische Stammesbevölkerung hat sich nun gegen SDF erhoben.
»Die Herrlichkeit des amerikanischen Experiments«

»Wir haben gelogen, betrogen und gestohlen«, zählte USA-Außenminister Mike Pompeo auf, als er im vergangenen Jahr einmal über seine Arbeit als Chef der Central Intelligence Agency, CIA, erzählte. »Wir hatten komplette Ausbildungskurse«, fuhr Pompeo unter dem Beifall des Publikums fort. Dann wurde er ernst: »Das erinnert Sie an die Herrlichkeit des amerikanischen Experiments.« Die Zitate stammen aus einem Video, das vom USA-Außenministerium verbreitet worden war.

Die »Herrlichkeit« kam als CIA-geführte Interventionen daher, mit denen die USA seit dem Ende des 2. Weltkrieges in Lateinamerika ebenso wie im Mittleren Osten, auf der arabischen Halbinsel und in Asien Einfluß auf politische Entwicklungen nahm und nimmt. Umstürze eingeschlossen. Ziel war zunächst der Kampf gegen den Einfluß der Sowjetunion. Heute geht es um Ressourcen, Transportwege, Kontrolle, und es geht gegen Rußland und China. Bündnispartner der NATO waren mehr oder weniger umfassend eingeweiht und eingebunden. Seit der Auflösung der Sowjetunion drängten die USA auch Deutschland, »mehr Verantwortung« zu übernehmen.

Deutschland versteckt sich jedoch gern hinter der Europäischen Union, wie bei Debatten im Rahmen der UNO zu beobachten ist. Der Plan für Syrien und den Mittleren Osten wird schon mal – in Absprache mit USA-Institutionen – vom Regierungs-Think Tank »Stiftung für Wissenschaft und Politik«, SWP, erörtert. Auf EU-Ebene ist ein einflußreicher Stichwortgeber der »European Council on Foreign Relations«, ECFR. Im Mai 2019 stellte der ECFR seine Analyse über die »Neuen Frontlinien im Mittleren Osten« vor.

Der zentrale Konflikt in der Region sei der zwischen dem Iran und Saudi Arabien, so der ECFR. Das saudische Königreich sei dabei verbriefter Bündnispartner von Israel und ergo auch der EU. Diese wolle Krieg vermeiden und müsse daher »die Unentschlossenen«, sogenannte »Joker« (Wild Cards) auf ihre Seite bringen und den EU-Einfluß vertiefen. Ziel dieser EU-Strategie sind neben Katar, Kuwait, Ägypten und der Türkei auch Jordanien, der Libanon, der Nordosten Syriens und der Nordirak.

Umfangreiche »Hilfe«, einschließlich der Ressourcenplünderung in Syrien und – auch militärische – Unterstützung kurdischer Organisationen zu mehr Eigenständigkeit und »multiethnischer Einheit« ist ebenso Teil dieser EU-Strategie, wie Sanktionen und Verbote gegen die syrische Regierung oder die libanesische Hisbollah. Das Völkerrecht – beispielsweise das Prinzip der Nichteinmischung – spielt für die »Herrlichkeit« des Experiments keine Rolle. Die USA-Administration geht als Beispiel voran. Ausbildungskurse darin, wie man »lügen, betrügen und stehlen« kann, gehören dazu.

Karin Leukefeld

USA-Truppen auf syrischem Territorium (Foto: EPA-EFE/AHMED MARDNLI)