Ausland12. November 2022

Einflußkampf am Nil

Deutsche Bahn AG erhält Milliardenauftrag in Ägypten. Profit und Einfluß im Ausland gehen auf Kosten des Heimatmarkts

von German Foreign Policy

Die Deutsche Bahn AG wird in Ägypten für zunächst 15 Jahre das dort neu entstehende Hochgeschwindigkeitsnetz betreiben. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnete der Konzern am Dienstag am Rande der UNO-Klimakonferenz in Sharm el Sheikh. In Ägypten entsteht zur Zeit eine neue Zugstrecke, die die Metropolregionen Alexandria und Kairo mit der im Bau befindlichen neuen Hauptstadt rund 50 Kilometer östlich von Kairo (New Administrative Capital) verbindet. Von 2025 an soll sie betriebsbereit sein.

Hinzu kommen eine Zugstrecke entlang des Niltals aus Kairo nach Abu Simbel nahe der Grenze zum Sudan und eine weitere aus Luxor am Nil nach Hurghada am Roten Meer. Mit ungefähr 2.000 Streckenkilometern wird es das sechstgrößte Hochgeschwindigkeitsnetz weltweit sein.

Die Deutsche Bahn AG wird den Betrieb der Infrastruktur und der Fahrzeuge übernehmen, für den Hochgeschwindigkeits- ebenso wie für den Regional- und den Güterverkehr. Dafür gründet die Bahn-Tochter DB International Operations (DB IO) ein Joint Venture mit dem ägyptischen Konzern Elsewedy Electric (EE). Das Auftragsvolumen beläuft sich laut der Deutschen Bahn AG auf einen satten einstelligen Milliardenbetrag.

Rekordauftrag für Siemens

Die Infrastruktur selbst, die die Deutsche Bahn AG nur betreibt, wird ebenfalls führend von einem deutschen Unternehmen errichtet: von Siemens. Der Münchner Konzern hat Ende Mai mit der ägyptischen Regierung eine Vereinbarung geschlossen, die den Bau des gesamten Schienennetzes vorsieht. Siemens wird dabei mit den ägyptischen Unternehmen Orascom Construction und The Arab Constructors kooperieren. Allein beim Bau des Schienennetzes sollen bis zu 40.000 Arbeitsplätze neu entstehen; hinzu kommen laut Planung rund 6.700 bei ägyptischen Zulieferern.

Siemens wird außerdem 41 Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge liefern – bei diesen handelt es sich um eine Weiterentwicklung des ICE –, darüber hinaus 94 Desiro-Regionalzüge und 41 Vectron-Güterlokomotiven. Hinzu kommen laut Angaben des Unternehmens »modernste Bahninfrastruktur, acht Betriebs- und Güterbahnhöfe« und ein Wartungsvertrag über 15 Jahre.

Das Auftragsvolumen wird mit 8,1 Milliarden Euro angegeben; es handelt sich um den größten Auftrag der Firmengeschichte. Seinen bisherigen Auftragsrekord hatte Siemens im Jahr 2015 ebenfalls in Ägypten erzielt: rund 8 Milliarden Euro für den Bau dreier Gas- und Dampfturbinenkraftwerke sowie von Windkraftanlagen.

Geostrategisch bedeutend

Großaufträge wie diejenigen für Siemens und die Deutsche Bahn AG helfen der deutschen Wirtschaft, ihren Einfluß in Ägypten zu konsolidieren. Das ist für Deutschland nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus politischen bzw. geostrategischen Gründen von Bedeutung. Ägypten ist die drittgrößte Volkswirtschaft Afrikas nach Südafrika und Nigeria und gilt deshalb als »interessanter Markt«. Zudem kontrolliert es den Suezkanal, eine der wichtigsten Wasserstraßen weltweit. Den Kanal durchqueren, wie die Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) konstatiert, jeden Tag »mehr als 10 Prozent der weltweit gehandelten Waren«. Zudem öffnet er westlichen Kriegsschiffen, die in den Meeren Europas kreuzen, die direkte Fahrt in die Krisengebiete des Mittleren Ostens und nach Asien.

Der deutschen Wirtschaft gelingt es allerdings nicht, sich in Ägypten die führende Stellung zu sichern. Unter den Lieferanten Ägyptens lag es 2020 mit einem Anteil von 5,8 Prozent hinter den USA (6,6 Prozent) und weit abgeschlagen hinter China (15,0 Prozent) – nur knapp vor der aufstrebenden Türkei (4,9 Prozent). Auch bei Großprojekten dominieren laut GTAI Konzerne wie Bechtel (USA), Schneider Electric (Frankreich) oder auch China State Construction Engeneering Corporation (CSCEC).

Mit China und Rußland

Insgesamt ist in Ägypten in den vergangenen Jahren vor allem der Einfluß Chinas erheblich gewachsen. Kairo und Peking schlossen 2014 eine »umfassende strategische Partnerschaft«; seitdem nimmt die Wirtschaftskooperation zwischen ihnen kontinuierlich zu. Chinesische Unternehmen beteiligen sich intensiv am Bau der neuen Hauptstadt östlich von Kairo und haben unter anderem stark in die Sonderwirtschaftszone Suez Economic and Trade Cooperation Zone (SETCZ) investiert.

Die Volksrepublik belieferte Ägypten schon früh mit Covid-19-Impfstoffen und hat in dem Land eine gemeinsame Produktion von Impfstoffen etabliert. Im August hat Kairo eine Kooperationsvereinbarung mit Huawei geschlossen, die dem von Washington aufs Schärfste bekämpften Konzern einigen Einfluß in Ägypten verschafft. Dies belegt, daß sich das nordafrikanische Land längst nicht mehr von den USA vereinnahmen läßt, wenngleich es weiterhin jährlich Militärhilfen von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich erhält, die es in Rüstungsgüter aus den USA investiert.

Durch die Gelder aus den USA läßt sich Kairo auch nicht von einer Zusammenarbeit mit Moskau abhalten, die unter anderem den Bau des Kernkraftwerks El Dabaa durch Rosatom sowie russische Waffenlieferungen umfaßt.

»Aus den Augen verloren«

Aufträge wie derjenige für die Deutsche Bahn AG ermöglichen es der Bundesrepublik, in Ägypten nicht den Anschluß zu verlieren. Einfluß im Ausland sichern weitere Geschäfte; so hat die Deutsche Bahn Anfang Juli den Auftrag erhalten, zwölf Jahre lang ein regionales Schnellbahnsystem in der indischen Metropole Delhi zu betreiben sowie instandzuhalten. Der Konzern kassiert dafür einen dreistelligen Millionenbetrag. Bereits im April hatte er den Zuschlag für Planung, Betrieb und Instandhaltung eines künftigen Nahverkehrssystems in der kanadischen Metropole Toronto bekommen – für eine zweistellige Milliardensumme.

Schon jetzt entfällt mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes der Deutschen Bahn AG auf ihre Tochtergesellschaften DB Schenker, die für internationale Logistik zuständig ist, und DB Arriva, die Bahn- sowie Busverkehre in Europa durchführt.

Die Aktivitäten auf dem Heimatmarkt hingegen geraten bei der Deutschen Bahn AG immer mehr ins Hintertreffen. So stellte der Bundesrechnungshof im März 2022 – auch mit Blick auf notorische Verspätungen, Ausfälle und allerlei weitere Pannen im deutschen Bahnverkehr – trocken fest: »Die Deutsche Bahn hat ihr Kerngeschäft der Eisenbahn in Deutschland zunehmend aus den Augen verloren.«