Leitartikel02. April 2021

Im Westen nichts Neues

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Sechs der acht Menschen, die ein junger weißer Mann am 16. März innerhalb kurzer Zeit in drei Massagesalons in und nahe der US-amerikanischen Stadt Atlanta, Georgia erschossen hat, waren asiatischstämmige Frauen, die für einen Hungerlohn schuften mußten. Die Rhetorik, mit der China und alles Asiatische in der Coronakrise als Bedrohung der USA dargestellt werden, hat schreckliche Folgen für die asiatischstämmige Minderheit im Land.

Jedoch ist der antiasiatische Rassismus in den USA alles andere als neu: Vier Millionen Menschenleben haben allein die Kriege des USA-Imperialismus gegen Korea und Vietnam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gekostet. Die Ausbeutung und Schlechterstellung asiatischer Arbeitskräfte in den USA, die die Wurzeln der heutigen Diskriminierungen, Übergriffe und Gewalttaten gegen asiatischstämmige Menschen sind, begann schon in den 1840er Jahren, als weiße Großgrundbesitzer und Sklavenhalter die asiatischstämmigen Arbeiter ausbeuteten, ihnen aber die staatsbürgerlichen Rechte mit diskriminierenden Gesetzen vorenthielten.

Die erste Welle chinesischer Arbeitsmigration in die USA fand während des kalifornischen Goldrauschs ab 1848 statt. Nach der kriegerischen Annexion Alta Californias und Nuevo Mexicos benutzten die weißen Großgrundbesitzer und Sklavenhalter im gesamten »Wilden Westen« Pöbelherrschaften und spielten weiße Arbeiter gegen asiatischstämmige Arbeiter aus, um von den kapitalistischen Mißständen abzulenken. Als der Pöbel 1871 in Los Angeles die chinesische Community überfiel und 19 Chinesen bestialisch ermordete, wurde kein einziger der Lynchmörder zur Verantwortung gezogen.

Der Eisenbahnunternehmer Leland Stanford verachtete die chinesischen Arbeiter zutiefst, heuerte aber ab 1863 Tausende von ihnen zum Bau des Westteils der ersten transkontinentalen Eisenbahn Nordamerikas an. Schätzungen zufolge waren rund 13.000 der 15.000 Arbeiter, die in der brütendheißen Sommersonne und den bitterkalten Wintern ohne Maschinen die Gleise für die Central Pacific Railroad verlegten, Chinesen.

Die chinesischen Arbeiter wurden schlechter bezahlt und mußten draußen in Zelten übernachten, während die anderen Arbeiter in Eisenbahnwaggons schlafen durften. Als die erste transkontinentale Eisenbahnverbindung in Nordamerika am 10. Mai 1869 mit einem goldenen Nagel vollendet wurde, wurden von dem großen Bahnhof am Promontory Summit im Norden Utahs viele Fotos geschossen – auf keinem einzigen ist ein chinesischer Arbeiter zu sehen. Und daß Mr. Stanford bald einer der reichsten Männer der Welt wurde, der es sich sogar leisten konnte, eine Universität zu stiften, beruhte einzig und allein auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft – vor allem chinesischer.

Doch während die chinesischen Arbeiter weiter Eisenbahnstrecken bauten, in Bergwerken und an anderen gefährlichen Stellen der USA-Ökonomie schufteten, verabschiedete der Kongreß in Washington 1882 den »Chinese Exclusion Act«, ein Gesetz, das chinesischen Immigranten für ein Jahrzehnt die Arbeitsaufnahme verbot. Zwei Jahre später wurde das Gesetz noch verschärft, indem es alle Chinesen für diesen Zeitraum von der Einreise in die USA ausschloß. Kurz darauf wurde das befristete auf ein dauerndes Einreiseverbot ausgedehnt.

Vergleichbare Gesetze und Erlasse einzelner Bundesstaaten und der USA-Regierung sprachen später einen Bann über Syrer, Bürger mehrerer asiatischer Länder, Palästinenser und viele andere aus. Im Westen nichts Neues…