Krieg als Schlacht zwischen Industrien
NATO-Gipfel begann mit Rüstungsindustrieforum
Mit einem großdimensionierten Treffen zahlreicher Armeeminister, Militärexperten sowie Rüstungsindustrieller begann am Dienstag der NATO-Gipfel in Den Haag. Das »Defence Industry Forum« soll dazu beitragen, die Hochrüstung der NATO-Staaten, wie das Militärbündnis erklärt, »in einem noch nie dagewesenen Tempo« quantitativ zu steigern sowie modernste Technologien für die künftige Kriegsführung stärker nutzbar zu machen.
Militärtechnologische Maßstäbe setzen die israelischen Angriffe auf Iran, bei denen Künstliche Intelligenz (KI) umfassender denn je zuvor zum Einsatz kommt. Israels Streitkräfte integrierten mit Hilfe vor allem von KI »Luft-, Cyber- und Bodenoperationen«, um »Drohnenschwärme, Tarnkappenjets und Sabotageeinsätze in Realzeit zu orchestrieren«, wird berichtet.
Während die USA ebenfalls mit hohem Tempo die Integration von KI in die Rüstung vorantreiben, erzielen inzwischen auch deutsche Startups Erfolge, so etwa in der Herstellung KI-gesteuerter Drohnen. Zu ihnen zäht Helsing, ein Rüstungs-Startup, das mittlerweile als teuerstes deutsches Startup gilt – klar vor zivilen Firmen.
»In noch nie dagewesenem Tempo«
Die NATO zieht auf ihrem »Defence Industry Forum«, mit dem am Dienstag das Gipfeltreffen des Militärbündnisses in Den Haag begann, die Konsequenzen aus der Erfahrung, daß Kriege zu einem beträchtlichen Teil durch die bei den Kriegsparteien verfügbaren rüstungsindustriellen Kapazitäten entschieden werden. Der Ukraine-Krieg sei zu einer »Schlacht zwischen Industrien« geworden, urteilt der niederländische Kriegsminister Ruben Brekelmans, dessen Ministerium das Forum gemeinsam mit der NATO und in Zusammenarbeit mit der Industriellenvereinigung VNO-NCW sowie dem Außenministerium der Niederlande abhält.
Wer Rüstungsgüter in größerer Zahl und vor allem schneller herstellen könne, habe einen entscheidenden Vorteil, heißt es. Eingeladen waren mehr als 400 Teilnehmer, darunter Armeeminister, Militärexperten und insbesondere Repräsentanten der Rüstungsindustrie, um zu diskutieren, wie man die Waffenproduktion »in einem noch nie dagewesenen Tempo ausdehnen und verstärken« könne, hieß es vor dem Treffen. Neben der quantitativen Steigerung gehe es um Optionen zur Finanzierung sowie darum, die modernsten Technologien für die Kriegsführung nutzbar zu machen, »darunter autonome Systeme«.
Kriegsführung per KI
Einen Eindruck davon, worum es bei der Nutzung modernster Technologien geht, bietet ein Blick auf Berichte zu den Operationen der israelischen Streitkräfte im Krieg gegen den Iran. Daß dort Drohnen eingesetzt werden, ist nicht neu; der Durchbruch des Drohnenkriegs erfolgte im Jahr 2020 mit Aserbaidschans Krieg gegen Armenien. Drohnen prägen zur Zeit in hohem Maß den Krieg in der Ukraine. Im Krieg Israels gegen den Iran kommt der umfassende Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) hinzu: »KI-basierte Kriegsführung« stehe zum ersten Male »im Mittelpunkt«, heißt es in einer Analyse des Onlineportals Al Monitor.
So integriere Israel mit Hilfe von KI »Luft-, Cyber- und Bodenoperationen ..., um Drohnenschwärme, Tarnkappenjets und Sabotageeinsätze in Realzeit zu orchestrieren«, wird ein Experte vom Washingtoner Middle East Institute (MEI) zitiert. KI-basierte Cyberangriffe sowie KI-basierte elektronische Kampfführung erlaubten es zudem, Irans Luftabwehr zu neutralisieren.
Als Paradebeispiel nennt der MEI-Experte die Installation einer verdeckten Drohnenbasis unweit Teheran durch den israelischen Geheimdienst Mossad, von der aus es möglich gewesen sei, aus der Ferne KI-gesteuerte Angriffe durchzuführen. Israel nutze darüber hinaus in iranischen Städten zivile, mit Sprengsätzen präparierte Autos, die mit Hilfe von KI als Angriffswaffen eingesetzt würden.
Rüstung aus dem Silicon Valley
In den USA ist die Trump-Administration bemüht, die Neuorientierung auf High-Tech-Kriegsführung unter anderem mit Hilfe von KI weiter zu forcieren. So wird der Militärhaushalt, der schon heute mehr als ein Drittel der globalen Militärausgaben umfaßt, um 13,4 Prozent auf 1,01 Billionen US-Dollar aufgestockt. Parallel werden Mittel und Kapazitäten ein Stück weit weg von den traditionellen Rüstungskonzernen – Lockheed Martin, RTX (Ex-Raytheon), Northrop Grumman, Boeing – und hin zu Startups aus der KI- und Raumfahrtbranche verschoben.
Ein Beispiel bieten die Pläne für den »Golden Dome«, ein kontinental dimensioniertes Raketenabwehrsystem nach dem Vorbild des israelischen »Iron Dome«, bei dem auch Elon Musks SpaceX bzw. Starlink und junge Tech-Konzerne wie Palantir (Datenanalyse, KI) oder Anduril (autonome Systeme) auf immense Aufträge hoffen dürfen. Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley sind trotz des Rückzugs von Elon Musk personell weiterhin stark in der Trump-Administration vertreten; so haben Mitarbeiter von Palantir-Chef Alex Karp einflußreiche Posten im State Department wie auch im Pentagon inne. Im Kriegsministerium herrsche mittlerweile ein »neuer Ton«, der unter »Start-ups und Tech-Konzernen an der Westküste« jetzt eine »regelrechte Euphorie« auslöse, heißt es.
Deutschlands teuerstes Startup
Ist die deutsche Bundeswehr noch weit von Vergleichbarem entfernt, so zeichnen sich mittlerweile erste Ergebnisse beim Bestreben ab, auch in der deutschen Rüstungsbranche High-Tech-Startups ähnlich denjenigen in den USA aufzubauen. Aktuell wertvollstes deutsches Startup ist das Unternehmen Helsing aus München, dessen Mitgründer Gundbert Scherf einst als McKinsey-Mitarbeiter ins Bundesverteidigungsministerium unter der damaligen Ministerin Ursula von der Leyen entsandt wurde – als »Beauftragter Strategische Steuerung Rüstung« (2014 bis 2016).
Helsing hat sich nicht zuletzt mit der Fertigung von Kamikazedrohnen für die Ukraine einen Namen gemacht, die mit Hilfe von KI gesteuert werden und von Störsendern nicht zu stoppen sind. Kürzlich wurde berichtet, ukrainische Soldaten stuften die Helsing-Drohnen als stark überteuert, aber qualitativ hinter manches Konkurrenzmodell zurückfallend ein.
Helsing ist dennoch als Ausrüster für einen etwaigen »Drohnenwall« an der NATO-»Ostflanke« im Gespräch. Abseits der Drohnen entwickelt das Startup jedoch vor allem KI für Kampfjets, U-Boote und Panzer, die damit in Zukunft effizienter eingesetzt werden sollen. Helsing, aktuell mit einem Wert von zwölf Milliarden Euro das teuerste deutsche Startup, soll nun auch gemeinsam mit Saab aus Schweden Eurofighter für elektronische Kampfführung in der Luft ausrüsten.
Am FCAS beteiligt
Im Aufstieg begriffen ist neben der KI- und Drohnenfirma Helsing unter anderem auch der Drohnenhersteller Quantum Systems aus Gilching bei München. Quantum Systems ist 2015 von dem früheren Bundeswehroffizier Florian Seibel gegründet worden. Das Unternehmen produziert nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die Ukraine. Außerdem wird es in Zukunft intensiv mit Airbus Defence kooperieren. Eine diesbezügliche Absichtserklärung wurde vor kurzem am Rande der diesjährigen Paris Air Show auf dem Flughafen Le Bourget unterzeichnet.
Quantum Systems wird in den Bau des »Future Combat Air System« (FCAS) einbezogen, eines Kampfjets der sechsten Generation, der im Verbund mit Drohnen und Drohnenschwärmen operieren soll. Quantum Systems wird unter anderem von Airbus Defence finanziert – bislang mit 40 Millionen Euro.
Handelt es sich bei Helsing und bei Quantum Systems um deutsche Firmen, so kooperiert die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall in puncto Drohnen und KI mit einem US-amerikanischen Unternehmen – mit Anduril, an dessen Finanzierung der ultrarechte Tech-Milliardär Peter Thiel aus dem Silicon Valley beteiligt ist. Rheinmetall und Anduril haben erst in der vergangenen Woche eine strategische Partnerschaft zum Bau militärischer Drohnen vereinbart. Damit gelingt es einem Tech-Konzern der USA, sich eine wichtige Position beim Ausbau der Rüstungstechnologie in Europa zu sichern: ein Gegensatz zu den Bestrebungen in Berlin und Brüssel, bei der Waffenherstellung möglichst autonom respektive unabhängig von den Vereinigten Staaten zu werden.