Ausland07. April 2023

Vorbote eines neuen globalen Finanzsystems

Steigender Anteil chinesischer Auslandsdarlehen, die von Zahlungsausfall bedroht sind. Volksrepublik kommt säumigen Staaten mit längerer Laufzeit entgegen

von Jörg Kronauer

Nichts Neues im Westen: »China ist schuld«. Das hat nun auch das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) herausgefunden. »Immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer, die von China für den Bau von Infrastruktur im Rahmen der Neuen Seidenstraße Kredite aufgenommen haben, können diese nicht mehr planmäßig bedienen«, schreibt das Institut. Es hat soeben gemeinsam mit Ökonomen von der Weltbank, der Harvard Kennedy School und Aiddata eine Studie fertiggestellt, die sich mit der chinesischen Kreditvergabe an fremde Staaten befaßt.

Und was zeigt sich? Lag der Anteil der Auslandskredite, die von einem Zahlungsausfall bedroht waren, im Jahr 2010 noch bei nur fünf Prozent, so ist er bis Ende 2022 auf bedrohliche 60 Prozent gestiegen. China sei genötigt, erklärt das IfW, »im großen Stil« Rettungskredite zu vergeben, und es müsse deshalb seine reguläre Kreditvergabe »drastisch« reduzieren. Das werfe »Fragen zur Zukunft der Neuen Seidenstraße auf«.

Stimmt sie also doch, die abgestandene These von der angeblichen »Schuldenfalle«, in die China Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika manövriere, um sie von sich abhängig zu machen – und fällt sie der Volksrepublik nun womöglich selbst auf die Füße?

Nun, der Reihe nach. Die Lage verschuldeter Staaten hat sich in den vergangenen Jahren weltweit zugespitzt – aus Gründen, die mit China nichts zu tun haben. War es zunächst die Covid-19-Pandemie, deren Verwerfungen dazu führten, daß so mancher Staat Schwierigkeiten mit der Abzahlung seiner Schulden bekam, so sind im vergangenen Jahr gleich mehrere neue Probleme hinzugekommen. Zum einen haben der Krieg in der Ukraine bzw. vor allem der Wirtschaftskrieg des Westens gegen Rußland die Preise für Energie und für Nahrungsmittel in die Höhe schnellen lassen; das belastet die Devisenreserven der Schwellen- und Entwicklungsländer stark.

Zum anderen haben die kräftigen Zinserhöhungen, die die USA-Notenbank seit März vergangenen Jahres vorgenommen hat, nicht nur dazu geführt, daß Investoren Gelder aus Schwellenländern abgezogen und in die USA verschoben haben. Sie haben auch den Kurs des US-Dollars deutlich gestärkt. Weil aber Kredite oft in US-Dollar aufgenommen werden, ist ihre Rückzahlung für Schwellen- und Entwicklungsländer, deren eigene Währungen gegenüber dem Dollar schwächeln, teurer als zuvor.

Bereits im Juni 2022 berichtete Rebeca Grynspan, Generalsekretärin der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), laut Berechnungen des IWF steckten mittlerweile 60 Prozent aller ärmeren Länder in akuten Schuldenproblemen oder stünden kurz davor. »Das Risiko einer umfangreichen Schuldenkrise mit einem möglichen Dominoeffekt«, warnte sie, sei »heute größer als während der Covid-19-Pandemie«.

Daß von den Problemen auch Staaten betroffen sind, die chinesische Kredite bekommen haben, liegt auf der Hand. Die IfW-Studie zeigt nun, daß die Volksrepublik China die Probleme zu lösen versucht, indem sie mit Rettungskrediten einspringt. Bis Ende 2021 konnten die Autoren der Studie 128 solche Rettungskredite an insgesamt 22 Länder identifizieren; sie beliefen sich auf einen Gesamtwert von 240 Milliarden US-Dollar.

Meist handele es sich um Refinanzierungskredite, die faktisch vor allem die Laufzeit verlängerten, heißt es in der Studie; ein wirklicher Schuldenerlaß sei selten. Letzteres trifft zu – und es hat seinen Grund: China sucht gewöhnlich durchzusetzen, daß seine Kredite nicht anders behandelt werden als etwa die Kredite privater westlicher Gläubiger. Täte es das nicht, finanzierte es praktisch indirekt beispielsweise reiche Hedgefonds.

So what? Die interessanteste Erkenntnis der Studie ist wohl, daß China faktisch mit seinen Rettungskrediten »ein neues globales System für grenzüberschreitende Rettungsdarlehen geschaffen« hat, wie IfW-Experte Christoph Trebesch konstatiert: »Rettungspakete« würden nun »nicht mehr allein aus Washington DC vergeben«. »Chinas entschlossenes Handeln« in den Finanzkrisen des globalen Südens könne »ein Vorbote eines neuen, fragmentierten globalen Finanzsystems sein«.