Ausland06. Februar 2010

Israel wiegelt ab

In der Antwort auf den Goldstone-
Bericht über mögliche
Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit
während des dreiwöchigen Gaza-
Krieges 2008/09 hat Israel
erstmals »Verstöße gegen die
Regeln« der Armee zugegeben.
Zwei hochrangige Offiziere, einer
von ihnen kommandierte als Brigadegeneral
die Bodenoffensive,
seien verwarnt worden, weil sie
»ihre Befehlsgewalt in einer Weise
überschritten haben, die das
Leben anderer gefährdet hat«,
heißt es in dem Bericht für die
UNO.

Die israelische Tageszeitung
»Haaretz« nannte die Namen
der beiden Offiziere und
schrieb, sie seien verwarnt
worden, weil sie den Einsatz
von weißem Phosphor in dicht
besiedelten Gebieten angeordnet
hätten. In dem offiziellen israelischen
Bericht ist lediglich
die Rede von »Artilleriemuni -
tion, die in dicht besiedelten
Gebieten nicht eingesetzt werden
darf«. Weißer Phosphor
brennt mit 1.300 Grad Celsius,
ist kaum zu löschen und verbrennt
Opfer bis auf die Knochen.
Der entstehende weiße
Rauch ist hochgiftig.

Bei dem beschriebenen Angriff
handelte es sich um den
auf das zentrale Warendepot
der UNO in Tel Al-Hawa am
15. Januar 2009, dessen Lage
der Armeeführung bestens bekannt
war. Dabei wurden die
kompletten Vorräte zerstört,
das Gebäude brannte aus.
Das jetzige Eingeständnis
wiegt umso schwerer, als Tel
Aviv Vorwürfe wegen unverhältnismäßiger
Kriegsführung
und wegen des Einsatzes von
Phosphormunition gegen die
Bevölkerung stets zurückgewiesen
hatte. Die israelische
Armee habe »höchste ethische
und moralische Maßstäbe«,
hatte die Regierung entgegnet
und die Vorhaltungen als »antisemitisch
motiviert« bezeichnet.

Eine armeeinterne Untersuchung
erbrachte erwartungsgemäß
einen Freispruch
der Militärs. Sollten Zivilisten
getroffen worden sein, sei das
ein »Versehen« gewesen,
denn die Hamas habe die »eigene
Bevölkerung als menschliche
Schutzschilde« benutzt.

Israel weigerte sich, mit der
Goldstone-Kommission zu kooperieren
und startete eine diplomatische
und mediale Offensive,
um deren Bericht als
»einseitig« und »voreingenommen
« unglaubwürdig zu machen.

Gleichwohl fand der
Goldstone-Bericht eine überwältigende
Zustimmung bei
der UNO-Vollversammlung.
Inzwischen hat Israel eine
Entschädigungszahlung in
Höhe von 10,5 Millionen USDollar
an die UNO zugesagt.
UNO-Generalsekretär Ban Ki
Moon wird die Stellungnahmen
Israels und der Hamas in den
nächsten Tagen der Vollversammlung
vorlegen, auch der
Kommissionsleiter, Richter
Richard Goldstone, wird deren
Aussagen bewerten. Eine Untersuchung
des Krieges durch
ein Kriegsverbrechertribunal in
Den Haag könnte die Folge
sein. Es sei denn, die israelische
Regierung ordnet selbst
noch eine höchstrichterliche,
unabhängige Untersuchung
der Vorwürfe an. Vermutlich
wird sich die UNO auch mit
dem Bericht der Hamas nicht
zufriedengeben, der ebenfalls
nicht auf einer unabhängigen
Untersuchung basiert.

Der Gaza-Krieg und das
rücksichtslose Vorgehen der
israelischen Armee haben die
Israelis tief gespalten. Selbst
innerhalb des Militärs rumort
es, wie die Zeugnisse von Soldaten
belegen, die nach dem
Krieg von der Organisation
»Das Schweigen brechen«
(Breaking the Silence) veröffentlicht
wurden. Nun sind
auch Soldatinnen an die Öffentlichkeit
gegangen und berichten
über ihre Einsätze in
den besetzten palästinensischen
Gebieten und an den
Kontrollpunkten. Die Palästinenser
würden systematisch
erniedrigt, rücksichtslos, grausam
und gewalttätig behandelt
und bestohlen. Unschuldige
würden getötet und das Ganze
permanent vertuscht, ist den
Aussagen von mehr als 50 Soldatinnen
zu entnehmen.

Karin Leukefeld