Die Olympische Flamme auf dem Weg durch Frankreich
An Bord des Drei-Mast-Segelschiffs »Belem« trifft die Olympische Flamme am heutigen Mittwoch in Marseille ein. Am Kai des im Zentrums der Stadt gelegenen Alten Hafens werden Schiff und Flamme von vielen tausend Einwohnern erwartet, die Zeugen des Starts für den Staffellauf durch ganz Frankreich werden wollen. Der Lauf führt die Flamme durch alle Regionen des Landes und 65 der 100 Departements des Landes und soll pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Spiele am 26. Juli in Paris eintreffen.
Mitte April wurde die Flamme traditionsgemäß in Griechenland im antiken Stadion von Olympia entfacht. Doch da am Tag dieser Zeremonie der Himmel bewölkt war, so daß die Flamme nicht wie üblich durch einen Parabolspiegel entzündet werden konnte, der die Sonnenstrahlen bündelt, mußte man auf die Reserveflamme zurückgreifen, die vorsichtshalber schon am sonnigeren Vortag angezündet worden war.
Der Sportler, der die erste Etappe mit der Flamme zurücklegte, war traditionsgemäß ein Grieche. Auf ihn folgte als erste französische Sportlerin die Schwimmerin Laure Manaudou, die 20 Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen von Athen im Alter von erst 17 Jahren drei Medaillen für Frankreich errungen hatte, davon eine goldene.
Nach einem elftägigen Staffellauf durch Griechenland, bei dem 5.000 Kilometer zurückgelegt und 52 Städte durchquert wurden, erreichte die Flamme am 26. April die Hauptstadt Athen. In einer feierlichen Zeremonie wurde das olympische Feuer übergeben. Die Veranstaltung fand im vollständig aus Marmor gebauten Panathinaiko-Stadion statt – dort, wo 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit ausgetragen worden waren. Die Nationalhymnen Frankreichs und Griechenlands sang vor rund 20.000 Zuschauern die griechische Sängerin Nana Mouskouri.
»Unsere besten Wünsche für eine erfolgreiche Austragung der 33. Olympischen Spiele in Paris«, sagte der Präsident des griechischen Olympischen Komitees, Spyros Kapralos, bei der Übergabe an den Präsidenten des französischen Organisationskomitees, Tony Estanguet. Dann wurde die Flamme im Hafen von Piräus an Bord der »Belem« getragen, die dort bereits auf sie wartete.
Die Dreimast-Bark »Belem« war 1896 in Nantes als Frachtschiff gebaut worden und diente später erst in Britannien als Jacht und dann in Italien als Segelschulschiff, bevor sie 1979 durch eine französische Stiftung zurückgekauft wurde. Seitdem fährt das Schiff, das gründlich restauriert und 1984 zum Nationalen Kulturdenkmal erklärt wurde, wieder unter französischer Flagge. Sie hat nur eine kleine Stammmannschaft, die aber für jede Fahrt durch segelsportbegeisterte Jugendliche ergänzt wird, denen dieses Erlebnis die Kostenbeteiligung von – je nach Länge des Törns, aber nie länger als eine Woche – 750 bis 1.250 Euro wert ist.
Auf der Fahrt durch den engen Kanal von Korinthos ins Mittelmeer, entlang der griechischen Küste, vorbei an den Inseln Sizilien und Korsika, brannte die Olympische Flamme sicher in einer speziellen Grubenlampe, die Tag und Nacht durch Militärangehörige bewacht und vor dem Verlöschen geschützt wurde.
Jetzt ab Marseille flackert die Flamme tagsüber an der Spitze einer speziell für diese Spiele in Frankreich entworfenen und gebauten Stahl-Fackel mit eingebauter Gaspatrone. Bei dem Staffellauf durch ganz Frankreich, bei dem 65 der 100 Departements des Landes durchquert oder zumindest berührt werden, lösen insgesamt 10.000 Läufer einander ab, wobei jeder von ihnen die Flamme nur einige hundert Meter weit trägt. Für die Nacht kehrt sie immer wieder in ihre sichere Grubenlampe zurück.
Für diesen Staffellauf ganz besonderer Art hatten sich viel mehr als die dafür benötigten 10.000 Flammenträger gemeldet. Die Auswahl erfolgte nach einer Prüfung durch den Administrativen Sicherheitsdienst SNEAS, der gewöhnlich für die Überprüfung von Anwärtern für sensible Posten im Staatsapparat zuständig ist. Er hat über Wochen die Angaben der Bewerber mit rund einem Dutzend Datenbanken abgeglichen, die von der Justiz, der Polizei, dem Zoll oder dem Inlandsgeheimdienst DGSI geführt werden. Dort sind Personen verzeichnet, die vorbestraft oder bekanntermaßen drogensüchtig, politisch extrem oder gewaltbereit sind oder von denen vermutet wird, daß sie Kontakt zu terroristischen Personen oder Organisationen haben.
Die Sicherheitsbehörden wollen sicher sein, daß sich niemand »einschleicht«, der den Lauf der Flamme medienwirksam für eine politische oder soziale Demonstration benutzt. Doch wie der SNEAS-Chef Julien Dufour einräumen mußte, wurden bei dieser aufwändigen Suche letztlich nur eine Handvoll Bewerber »aussortiert«. Man bleibe jedoch wachsam und stelle sich auf alle möglichen Angriffe auf die Olympische Flamme ein.
Zusätzlich wird die Olympische Flamme auf ihrem zweieinhalb Monate dauernden Kurs durch eine Spezialeinheit von 200 Polizisten und Gendarmen begleitet. »Als internationales Symbol, das über Wochen im In- und Ausland im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, wird die Olympische Flamme nur zu gern benutzt, um Proteste oder Forderungen, die nichts mit dem Sport zu tun haben, bekannt zu machen«, sagt Julien Dufour und verweist darauf, daß es beispielsweise während der Tour de France immer wieder einmal kurzzeitige Blockadeaktionen radikaler Umweltschützer gibt, die von der Präsenz der vielen Fernsehkameras profitieren wollen, die das Ereignis live übertragen. Bei der Olympischen Flamme sei das ähnlich.
So kam es 2016 bei den Spielen in Rio de Janeiro bei der Passage der Flamme zu Straßenkämpfen zwischen Bürgern, die gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung protestierten, und der Polizei, bei denen es viele Verletzte gab. Schon im Frühjahr 2008 hatte es bei der Weltreise der Olympischen Flamme, die auf dem Weg zum Olympia-Austragungsort Beijing zahlreiche Länder besuchte, vor allem in den westlichen Hauptstädten antichinesische Demonstrationen gegeben. In Paris waren sie so massiv, daß die Flamme vorübergehend gelöscht werden mußte und später wieder neu entfacht wurde.
Die Erinnerung an diese Ereignisse ist noch wach – auf beiden Seiten. So haben die Sicherheitskräfte erst kürzlich im Internet ein in verschiedenen Sprachen verfaßtes Handbuch gefunden, das detaillierte Anleitungen gibt, »wie man die Olympische Flamme zum Erlöschen bringt«.