Ausland17. November 2015

Überall nur Freude

Myanmar: Opposition gewinnt Wahlen, selbst Militärs gratulieren

Seit Freitagnachmittag steht fest, daß die Nationale Liga für Demokratie (NLD) die absolute Mehrheit der Sitze im myanmarischen Parlament gewonnen hat. Die bislang regierende und von Militärs dominierte Partei für Unionssolidarität und Entwicklung (USDP) mußte eine herbe Niederlage einstecken, die zahlreiche ihrer Funktionäre bereits offen eingestanden haben. Nach den Zahlen der staatlichen Wahlkommission hatte die NLD 364 der 657 zu vergebenden Sitze sicher, für 40 Mandate lief die Auszählung der Stimmen zu jenem Zeitpunkt noch. Sieben Sitze bleiben in der kommenden Legislaturperiode leer, weil in sieben Bezirken des Bundesstaats Shan aufgrund der angespannten Sicherheitslage nicht gewählt werden konnte. Ein Viertel der Mandate ist laut Verfassung weiterhin Militärs vorbehalten.

In den größeren Städten Myanmars kamen die Menschen zu Straßenfeiern zusammen. Es herrscht eine Stimmung freudvoller Erwartung, fast scheint es so, als habe es nur Sieger gegeben. Selbst der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Min Aung Hlaing, gratulierte der NLD-Vorsitzenden Aung San Suu Kyi zum Sieg und bot gleichzeitig »ernsthafte bilaterale Gespräche« an. Die »Lady«, wie die Friedensnobelpreisträgerin und als Ikone der Demokratiebewegung verehrte Suu Kyi häufig genannt wird, ließ sich freudestrahlend feiern. Und auch ihr mächtigster politischer Gegenspieler, Präsident Thein Sein, gab sich bestens gelaunt, nachdem USA-Präsident Barack Obama ihm am Donnerstagmorgen telefonisch zur erfolgreich durchgeführten Wahl gratuliert hatte.

Das hätte der so Gelobte vor wenigen Jahren wohl kaum zu träumen gewagt. Bis zum Rücktritt des damaligen Oberbefehlshabers und Präsidenten Than Shwe Anfang 2011 war Thein Sein General und diente unter dem unumschränkt herrschenden Militär als Premierminister. Damals galten die Generäle in der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft als ausgemachte »Schurken«, denen man im Rahmen einer »humanitären Schutzmaßnahme« sogar ihren Sturz angedroht hatte. Thein Sein war 2008 ebenfalls maßgeblich an der Ausarbeitung jener Verfassung beteiligt, die ein Viertel der Parlamentssitze für das Militär festschrieb. Nun ließ derselbe Thein Sein durch seinen Sprecher Ye Htut stolz verkünden, daß »der vom Präsidenten couragiert eingeleitete Reformprozeß ein einmaliger Erfolg für die Zukunft Myanmars« sei.

Tatsächlich erlebte Myanmar seit fünf Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung im Zeitraffer. Da wurden auf einmal unabhängige Gewerkschaften und Streiks erlaubt, politische Gefangene (darunter Langzeithäftlinge) scharenweise freigelassen und die Pressezensur aufgehoben. Mit zahlreichen ethnischen Minderheiten wurden zumindest Gespräche über Waffenstillstandsvereinbarungen und Friedensperspektiven geführt, anstatt wie zuvor von einer Militäroperation zur nächsten vorzupreschen.

Nun muß die NLD beweisen, ob und wie sie in der Lage ist, ihr vor zwei Monaten veröffentlichtes Wahlmanifest politisch umzusetzen. Dessen Schwerpunkt bildet die Verfassungsreform, welche die Partei vorantreiben will, um insbesondere den Einfluß des Militärs zu beschränken. Darüber hinaus verspricht die NLD, einen politischen Dialog abzuhalten und sich für eine föderale Union auf der Basis der Gleichberechtigung aller ethnischen Gruppen, Selbstbestimmung und gemeinsamer Ressourcennutzung einzusetzen. Aufgrund des jetzigen Stimmenverhältnisses kann die Partei den nächsten Präsidenten stellen. Derweil haben die Generäle kaum Grund, Zukunftssorgen zu hegen. Nach fünf Jahrzehnten an der Macht bleibt der Einfluß des Militärs in der Wirtschaft, im Sicherheitssektor sowie im Justiz-, Verwaltungs- und Finanzwesen bestimmend.

Rainer Werning