Das Karussell erobert die Kirmeswelt
Vom Kriegsspielzeug zum friedfertigen Kinderspiel
Die »Schueberfouer« bemächtigt sich wiederum kommende Woche des hauptstädtischen »Glacis« auf Limpertsberg, und zahlreiche Schausteller haben mit ihren Fahrgeschäften, Marktständen, Spielen und Restaurationsbuden das Geschehen fest im Griff. Darunter befinden sich etliche Karusselle, welche zu den ältesten Attraktionen einer Kirmes gehören und die auch am Ursprung der heutigen sich drehenden Fahrgeschäfte stehen.
Das moderne Karussell entstand aus frühen Turniertraditionen in Europa und dem Nahen Osten. Ritter galoppierten im Kreis und warfen Bälle von einem zum anderen. Eine Tätigkeit, die viel Geschick und Reitkunst erforderte.
Die Wurzeln dieser sich drehenden anfänglichen Gestelle reichen bis ins Mittelalter zurück. Um ihre Geschicklichkeit zu schulen, spießten angehende Ritter, welche um das Karussell standen oder saßen, mit ihren Lanzen daran befestigte Ringe auf, ehe sie sich ins Kriegsgetümmel wagten. Das anfängliche Kriegstrainingsgerät wurde später besonders bei den damals beliebten Turnieren von jungen adligen Reitern benutzt, welche auf ihren Pferden versuchten, mit einer Lanze die sich im Kreis drehenden Ringe im rasanten Galopp zu treffen. So stammt der Name Karussell ursprünglich vom französischen »carousel« und italienischen »carosello«, dem gleichnamigen »Reiterspiel mit Ringelstechen«, ab.
Orientalische Kuriosität
Dieses Spiel wurde zur Zeit der Kreuzzüge aus früheren byzantinischen und arabischen Traditionen in Europa eingeführt. Die früheste bekannte Darstellung des Karussells stammt aus dem Jahr 500. Das Fahrgeschäft des Byzantinischen Reiches zeigt Körbe, die Reiter tragen, welche an einer zentralen Stange hängen.
Über das erste und älteste dokumentierte Karussell berichtete der englische Reisende Peter Mundy schon im Jahre 1620. In seinem orientalischen Tagebuch beschreibt er eine von Menschenkraft angetriebene Kuriosität, die er in der damaligen osmanischen Handelsstadt Philippopolis, dem heutigen Plowdiw in Bulgarien, vorfand.
Im Laufe der Zeit wandelte sich das Spiel zu einem friedfertigen unterhaltsamen Fahrgeschäft der Hofgesellschaft und war besonders bei den Damen und natürlich bei den Kindern sehr beliebt. Die ehemaligen Reiterpferde wurden kurzerhand durch hölzerne ersetzt und auf das Karussell selbst verbannt. So entstand das erste Karussell mit Holzpferden und angetrieben durch reine menschliche Muskelkraft. Es wurde von Männern angeschoben, die im Inneren der Konstruktion standen. Um diese Konstruktion herum hingen weiterhin Ringe, die ergriffen und heruntergeholt werden mußten.
Im Laufe der Zeit entdeckte auch die einfache Bevölkerung das Pferdekarussell, und das Ringelstechen blieb noch lange Zeit Bestandteil des fahrenden Vergnügens. Die ersten Karusselle, die sich ohne Muskelkraft drehten, entstanden in den 1860er Jahren während der industriellen Revolution und wurden mit Dampf betrieben, bevor sie später elektrifiziert wurden. Zur gleichen Zeit wurden viele Karusselle mit dem sogenannten »Orchestrion« bestückt, auch Jahrmarktorgel genannt, welches das Vergnügen mit erklingender Calliope-Musik noch steigerte und für eine unbeschwerte Atmosphäre sorgte.
Abendländische Legenden
Um die Karusselle ranken sich so manche Geschichten, und besonders Langfinger haben es ihnen angetan. So wurde das Orchestrion des historischen Karussells in Letna im Jahre 1994 gestohlen und ist auch nicht mehr aufgetaucht. Das Escher Urgestein Josi Schmit berichtete uns von einem Stadtkarussell in Spanien, welches am hellichten Tag vor seinen Augen während seines Urlaubs von Dieben zerlegt und abtransportiert wurde. Augenzeugen glaubten, der Besitzer hätte den Platz geräumt.
Glück im Unglück hatte dagegen Dieter Ernst, der mit seinem Riesenrad »Jupiter« unsere »Schueberfouer« jahrelang beschickte und bis 1998 europaweit mit seinem Riesenrad unterwegs war. Mitte der 60er Jahre hatte Ernst begonnen, ein altes Pferdekarussell aufwendig zu sanieren. Das historische Karussell wurde ihm 1998 von seinem Gelände gestohlen. Erst viele Jahre später entdeckte es ein aufmerksamer Urlauber in Kroatien.
Das weltberühmte Karussell, das sich am Montmartre in Paris dreht, galt lange Zeit als ältestes Karussell. Das Karussell auf dem Letna im tschechischen Prag ist jedoch um vier Jahre älter und gilt als das älteste erhalten gebliebene Karussell in Europa. Es war seit dem 11. Juli 1894 ununterbrochen in Betrieb bis zum 17. November 2004. Seine Pferde sind über 111 Jahre lang im Kreis galoppiert und es befindet sich heute im Nationalmuseum für Technik.
Vor nunmehr 25 Jahren drehte noch das niedliche Kinderkarussell »Vieux Luxembourg« des Schaustellers Clement-Lindemann regelmäßig seine Runden in der Oberstadt. Ein Unglück zerstörte das Karussell und es verschwand bedauerlicherweise aus dem Stadtbild.
Rührseliges russisches Kunsthandwerk
Eine schöne rührende Geschichte erzählt ein kleines Karussell aus Holz im Heimatmuseum in Markt Schwaben nahe München. Das einzigartige unscheinbare Kleinod aus dem Zweiten Weltkrieg wurde vermutlich von dem russischen Kriegsgefangenen W. Zloltka mit einfachsten Mitteln aus Sperrholz gefertigt. Es drehte sich dennoch um seine Achse und brachte in der damals harten, leidvollen und entbehrungsreichen Zeit die Kinderaugen zum Leuchten.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, mußten in der Schwabener Brauerei Widmann noch mehrere russische und französische Kriegsgefangene Zwangsarbeit verrichten. Für die Gefangenen war diese Zeit neben Arbeit auch oft von Langeweile geprägt. Vor allem an den langen Winterabenden, in denen sie, fern ihrer Heimat und fast ohne Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, in ihren kargen Stuben saßen. Viele unter ihnen waren handwerklich oder künstlerisch begabt und griffen zu einem Stück Holz oder einem Pinsel. So entstanden einige hübsche Spielsachen, die den Kindern geschenkt wurden und dankend bespielt werden konnten.
Was aus dem ehemaligen russischen Kriegsgefangenen Zloltka geworden ist, ist nicht bekannt. Die Spuren von damals sind nahezu alle verwischt. Übriggeblieben ist nur sein handgefertigtes kleines hölzernes Karussell, welches zu einem der am meisten beachteten Ausstellungsexponate im Heimatmuseum wurde.
Beim sorglosen Umherstreifen auf unserer »Schueberfouer« und beim Anblick der leuchtenden Karusselle erinnern wir uns gerne an diese schöne Geschichte. Ein wenig Menschlichkeit und Wärme strahlt ein sich drehendes Karussell schon aus. Es läßt Kinderaugen leuchten und evoziert auch bei Erwachsenen durchwegs positive Gefühle. Und so manches wiedergefundene, alte verblaßte und schon vergilbte Foto birgt nostalgische Erinnerungen aus unserer Kinderzeit.