Steueroasen überall
In den »Pandora Papers« sind Hunderte Fälle dokumentiert, in denen Reiche, Prominente und Politiker ihr Geld über Briefkastenfirmen an den Steuerbehörden vorbeischleusen. Für Gabriel Zucman, Ökonomieprofessor an der Universität Berkeley, USA und Mitglied der ICRICT, der »Unabhängigen Kommission für eine Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung«, liegt auf der Hand, wer die Steuerhinterziehungen beenden könnte:
»Die Haupthindernisse, die einer Abschaffung von Briefkastenfirmen entgegenstehen, liegen nicht bei den Britischen Jungferninseln oder Vanuatu, die wahrscheinlich gezwungen werden können, einem solchen Abkommen beizutreten«, erklärte er Anfang Oktober. Die Haupthindernisse seien Leute in den USA und EU-Europa, »die Regierungen von Ländern, in denen Steueroasen angeboten werden, als Entschuldigung nehmen.«
Die Finanz- und Wirtschaftsminister der EU-Staaten bestätigten Zucmans Verdacht umgehend. Statt Steueroasen auszutrocknen, haben sie lieber ihre Liste mit Ländern, die Offshore-Deals anbieten, reduziert. Gestrichen wurden auf einem Treffen in Luxemburg das britische Überseegebiet Anguilla sowie die Inselstaaten Dominica und Seychellen, während Amerikanisch-Samoa, Fidschi, Guam, Palau, Panama, Samoa, Trinidad und Tobago, die Amerikanischen Jungferninseln und Vanuatu weiter auf der EU-Liste »nichtkooperativer Gebiete« stehen, die ihr zufolge »mißbräuchliche Steuerpraktiken« fördern, die »die Steuereinnahmen von EU-Staaten untergraben«. Anguilla, Dominica und die Seychellen werden nun im sogenannten »Annex II« der Liste geführt. Dort stehen Gebiete, die in Steuersachen nicht kooperieren, aber zumindest Reformen versprochen haben.
In den USA gehört Steuerdumping indes zum guten Ton. Das Geschäft boomt unter anderem im Bundesstaat South Dakota, wo beide großen Parteien seit Jahrzehnten dafür sorgen, daß sich Patrons und Reiche bei ihnen wohlfühlen. In South Dakota gibt es weder Einkommens- noch Kapitalertragssteuer, keine Erbschaftssteuer und die TVA ist niedrig. Vor allem für Trusts gibt es in dem USA-Staat »unbegrenzte Möglichkeiten. Mittlerweile summieren sich die in South Dakota untergebrachten Vermögenswerte auf rund 360 Milliarden US-Dollar – eine Vervierfachung im vergangenen Jahrzehnt.
Schon wegen dieses Bundesstaates gehören die USA zu den wichtigsten Steueroasen der Welt. Zu nennen wären auch die Dumpingmodelle in Delaware, dem Staat, den der seit bald einem Jahr amtierende USA-Präsident Joe Biden über Jahrzehnte als Senator repräsentierte.
Doch auch in der EU sind Reiche gern gesehen. Anfang Dezember kam ihre Steuerbeobachtungsstelle »EU Tax Observatory« zur Schlußfolgerung, nicht nur Luxemburg, sondern rund die Hälfte der EU-Staaten gewähre reichen Ausländern Steuerprivilegien, um sie in ihr jeweiliges Land zu locken.
Und so können die Kapitalisten einen immer größeren Teil ihres auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruhenden Reichtums vor dem Fiskus bewahren. Mittlerweile nennen die reichsten zehn Prozent der Menschheit 75 Prozent des weltweiten Vermögens ihr Eigentum, während die fast vier Milliarden, die zur ärmeren Hälfte der Menschheit gehören, zusammen nur noch zwei Prozent besitzen.
Seitdem sich der Kapitalismus nach seinem vorläufigen Sieg in der Systemauseinandersetzung aller Fesseln entledigt hat, ist der von den Milliardären dieser Welt gehaltene Anteil am globalen Vermögen von einem auf nun drei Prozent gestiegen.