Ausland21. Juni 2019

Atos plant Kahlschlag

IG Metall mobilisiert gegen Stellenabbau beim französischen Konzern. Lohnabhängige als Geiseln geplanter »Umstrukturierung«

Belegschaft und Betriebsrat des französischen IT-Riesen Atos wehren sich gegen Entlassungen in den deutschen Niederlassungen des Konzerns. Wie Birgit Dietze, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, erklärte, wollen die Bosse des größten Dienstleisters seiner Art der EU die Kosten für eine geplante »Umstrukturierung« unter anderem durch Entlassungen neutralisieren. Dietze warf der Pariser Firmenleitung vor, »zehn Prozent Rendite« einzustreichen und gleichzeitig »20 Prozent der Beschäftigten« auszusortieren. »Das geht gar nicht«, ließ die Gewerkschafterin am Dienstag die Firmenleitung wissen. Atos ist mit einem Geschäftsvolumen von rund 13 Milliarden Euro in 73 Ländern aktiv und beschäftigt weltweit rund 120.000 Menschen. Das Unternehmen ist in Frankreich im Leitindex CAC 40 gelistet und damit eine der 40 mächtigsten an der Börse notierten Kapitalgesellschaften des Landes.

Nach Angaben der IG Metall wären von der geplanten Reduzierung des Personals deutsche Niederlassungen in 14 Städten betroffen. Allein der Standort Berlin würde demnach 100 seiner 500 Beschäftigten verlieren. Belegschaft und Gewerkschaften beteiligten sich am Mittwoch in der deutschen Hauptstadt an einem Protest dagegen, zu dem die IG Metall am Vortag aufgerufen hatte. In der Erklärung heißt es: »Atos geht es mit einer Umsatzrendite von mehr als zehn Prozent gut. Doch statt mit der erfolgreichen Mannschaft Zukunftsthemen wie die technologische Transformation gemeinsam anzupacken, geht das Management des französischen Global Players mal wieder in die Konfrontation: Etwa 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sollen in andere Unternehmen abgegeben oder über Altersteilzeit und Vorruhestand aus dem Unternehmen entlassen werden.«

Nach inzwischen sechs Tarifverhandlungsrunden sei klar: »Das Management will den Konzern großflächig umbauen und den Großteil der Kosten für die Transformation den Beschäftigten aufbürden. Gegen diese billige Masche setzen sich Beschäftigte und IG Metall selbstverständlich weiterhin kräftig zur Wehr.« Gesamtbetriebsrat und IG Metall hätten dem Management in den Verhandlungsrunden ihre Positionen »hinreichend erläutert«. Dazu zähle ein Konzernumbau »nur mit umfangreicher Beteiligung der Beschäftigten und eine Beschäftigungssicherung für fünf Jahre«. Das Management habe den Vorschlag »mit Kürzen, Streichen, Stellenabbau« beantwortet.

Französische Medien berichteten bisher nicht über den offenbar in größerem Rahmen geplanten Rausschmiß von Lohnabhängigen in den europäischen Atos-Filialen. Das Pariser Management des Konzerns ist be­stens in der Medienszene und in der Politik vernetzt. Generaldirektor Thierry Breton (PDG) steht dem rechtskonservativen politischen Lager nahe und ist als Anhänger des früheren Präsidenten Jacques Chirac bekannt. Unter ihm war er von 2005 bis 2007 auch Wirtschafts- und Finanzminister. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 unterstützte er den jetzigen französischen Staatschef Emmanuel Macron. Breton gehört bis heute zu den Unterstützern von dessen streng neoliberalem Wirtschafts- und Finanzprogramm. Und er gilt als Kenner der politischen Szene in Washington mit besten Beziehungen zum USA-Großkapital. Als Minister legte er den Schwerpunkt auf eine Reduzierung der Staatsschuld, in Wirtschaftskreisen machte er sich als »Redresseur« – also als »Scharfrichter«
hochverschuldeter Unternehmen. Die von ihm »sanierten« Betriebe, unter anderem France Télécom, wurden mit gnadenlosem Stellenabbau auf die kapitalistische Erfolgsspur zurückgebracht. Diese, seine persönliche Spur, führte ihn über die einst maroden Betriebe Thomson und Télécom bis zum Multi Atos.

Breton, der seit November 2008 an der Spitze des Konzerns steht, übernahm danach in den Jahren bis 2015 die IT-Dienstleister bei Siemens, Bull und Xerox sowie die Sema-Gruppe des Erdölausrüsters Schlumberger. Unter seiner Führung steigerte der heutige Gigant sein Geschäftsvolumen von 5,5 Milliarden Euro 2005 auf den aktuellen Wert. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf mehr als das Doppelte. Mit der Umstrukturierung sollen, wie auch die Gewerkschaften einräumen, vor allem Qualitätsprobleme gelöst werden. In diesem Rahmen würden offenbar Stellen wegfallen, die vom Management als »entbehrlich« eingestuft wurden. In der Kritik stand Atos im Jahr 2012 unter anderem in England. Dort hatte sich die Atos Healthcare Division mit einem ganz im Sinne des Patronats funktionierenden Sy­stem zur Bewertung der Arbeitsfähigkeit von Lohnabhängigen mit Beeinträchtigungen den Zorn nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der Ärzteschaft und der Regierung zugezogen.

Hansgeorg Hermann, Paris