Leitartikel15. April 2016

Der Abstieg der Sozialdemokratie

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Die deutschen Sozialdemokraten stellten neulich fest, daß es nötig sein könnte, sich wieder ein Parteiprofil zuzulegen, nachdem man lange der CDU nachgelaufen war oder sie gleich versuchte, zu kopieren. Daß die Wählerschaft sich in Zeiten der Krise abwendet, weil sie die katastrophale Sozialpolitik abstraft aber eben auch keine Inhalte mehr bei der SPD findet, hat dazu geführt, daß sich die Partei auf einem stetigen Abwärtstrend befindet. Wenn Sigmar Gabriel auf der einen Seite Reden schwingt, daß die Sozialdemokratie den Menschen Gutes bringe und diese Sprechblasen dann aber keinen Pfifferling wert sind, wenn er etwa das Freihandelsabkommen TTIP mit aller Kraft unterstützt, welches nicht nur die Qualität von Dienstleistungen und Produkten, sondern auch der Arbeit und des Sozialstaates aufs Spiel setzt, dann merken die Menschen eben schon, wer lügt und wer nicht.

Die von der Sozialdemokratie unter Schröder in Deutschland eingeführte »Agenda 2010« führte zu einer Verschärfung der Lage für Arbeitende, Arbeitslose und den Sozialstaat, für die es sogar ein großes Lob von der CDU und Angela Merkel gab. Seitdem steigt die Zahl der Hungerlöhner, verarmter Arbeitsloser und Rentner weiter. Da wundert es kaum, daß nun in den Medien verkündet wurde, was eh zu erwarten war und was ein Paritätischer Wohlfahrtsverband in Deutschland lange vorhergesagt hatte: Die Altersarmut wird ab 2030 jeden zweiten Neu-Rentner treffen. Folge der Niedrigstlöhne und des sturmreif geschossenen Sozialstaates, mit denen ein neues »Wirtschaftswunder« erkauft werden sollte.

Die »Lösung« der herrschenden Politik und ihrer »Think tanks« ist dabei immer die Gleiche: Noch später in Rente gehen. Vertreter der Regierungsparteien und nicht nur von dort sind in den letzten Wochen wieder fleißig, wenn es heißt, die Rente mit 70 müsse kommen, weil dies wegen der gestiegenen Lebenserwartung notwendig sei. Das ist aber auch dumm, daß die Menschen immer älter werden, da müssen sie auch länger arbeiten oder nicht?

Dieses einseitige Lösungsszenario will uns weismachen, daß das eine mit dem anderen absolut zusammenhängt, dabei wird kaum auf andere Faktoren Acht gegeben, weil diese Position die Wirtschaft und deren Vorteile stützt. Eine in den letzten 100 Jahren bereits, und nach dem letzten Krieg im Besonderen drastisch gestiegene Produktivität durch Automatisierung und andere Verbilligung von Arbeit hat den Anteil des Profits immer größer werden lassen. Doch wohin ist dieser abgeschöpft worden, wenn man uns heute sagt, mehr und länger Arbeiten sei nötig?

Eine Politik des »Roll-backs« von sozialen Errungenschaften der Arbeitenden und ihrer Organisationen schwappt derzeit durch EU-Land, durch die westliche Welt. In Frankreich wird von den Sozialdemokraten der Polizeistaat initiiert, um hart gegen die »Reform«-Gegner auf den Straßen vorzugehen und Proteste zu verbieten. Österreichs Sozialdemokraten rüsten gegen Flüchtlinge auf. In Deutschland, wie in Luxemburg versucht die Wirtschaft mit Hilfe der Steigbügelhalter der herrschenden Politik, inklusive Sozialdemokratie, sich aus der sozialen Verantwortung zu schleichen, indem Steuerlast und Sozialstaatfinanzierung auf den Buckel der Arbeitenden verlagert werden im neoliberalen Irrglauben, diese Bonbons würden die Industrie animieren, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. In all diesen Fällen spielt die Sozialdemokratie eine traurige Rolle.

Christoph Kühnemund