Falsche Asylversprechen
Als im Herbst 2022 in Rußland eine Mobilmachung neues Kanonenfutter für den Krieg gegen die Ukraine bereitstellen sollte, packte viele junge russische Männer »im wehrfähigen Alter«, wie es heißt, die Angst: Tags darauf waren die Grenzübergänge, die überhaupt noch passierbar waren überfüllt und Flüge ins Ausland überbucht. Wer konnte, machte sich aus dem Staub. Beide Kontrahenten versuchen, ihre Männer in den Krieg zu schicken, den auf beiden Seiten viele von ihnen gar nicht wollen. Aus Kiew wurde bereits die gute Behandlung ukrainischer Flüchtlinge im Westen kritisiert und angekündigt, zumindest die Männer zurück an die Front zu holen. In Deutschland wurde im Herbst 2022 angesichts der russischen Mobilmachung getönt, daß fahnenflüchtigen Männern Asyl gewährt würde.
Die deutsche Innenministerin hatte klargestellt, daß Personen, die sich »dem russischen Regime entgegenstellen« und daher »in größte Gefahr geraten«, Asyl wegen politischer Verfolgung beantragen könnten. Die Entscheidungspraxis des Flüchtlingsamtes sei entsprechend angepaßt worden. Doch aufgrund der von westlichen Anrainern geschlossenen Grenzen sowie verschärfter Visabedingungen ist es russischen Staatsbürgern überhaupt nicht mehr ohne weiteres möglich, das Land in diese Richtung zu verlassen. wDie Flüchtlingsorganisation »Pro Asyl« kritisierte bereits damals die »Scheindebatte«, solange die EU-Staaten ihre Grenzen abriegelten und den Zugang verhinderten. So hätten auch russische Deserteure keine Chance einzureisen. Und auch, wer schon in westlichen Ländern ist, kann sich nicht unbedingt sicher wähnen. So wie Sergei Poddubnij, der mit seiner Familie nach Schweden ging. Seine Frau und sein Sohn sind als ukrainische Staatsbürger willkommen, während er seinen Abschiebungsbescheid erhielt. Er könne nicht beweisen, daß ihm in Rußland Verfolgung drohe, hieß es von den schwedischen Autoritäten. Sergey betont, daß er nicht töten wolle und schon gar nicht in diesem Krieg zwischen zwei Ländern, auf die sich seine Familie verteile. Sobald er im Falle einer Abschiebung die Grenze erreicht, dürfte es wahrscheinlich sein, daß er zwangsrekrutiert wird.
Wie Sergei sind viele junge Männer, Familienväter und Söhne, nicht mehr bereit, in Kriege zu ziehen und für abstrakte Interessen der Staaten zu kämpfen, in denen sie zufällig geboren wurden. Sie interessieren sich für ihre Familien, ihr soziales Umfeld und für ein Auskommen. Ihre Chancen, dem Wahnsinn zu entkommen stehen allerdings schlecht: Obschon etwa aus Deutschland Asylzusagen gemacht wurden, hindern besagte Grenzschließungen viele »wehrfähige« Russen daran, zu fliehen.
Das bildet sich auch in den Zahlen ab: So seien im zweiten Jahr des Krieges die Zahl der in Deutschland als Flüchtlinge anerkannten russischen Männer gesunken. Bis Ende August sei lediglich in elf Fällen ein Flüchtlingsstatus anerkannt – bei insgesamt 904 entschiedenen Anträgen. Dies geht aus einer Antwort des deutschen Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage hervor.
Die EU hatte die Einreise für russische Staatsbürger Mitte September 2022 erschwert. Insbesondere für neue Touristenvisa gelten deutlich höhere Gebühren und ein Antrag dauert viel länger. Auch Mehrfach-Einreisen wurden erschwert. Ausnahmen sollen für russische Journalisten und sogenannte »Kreml-Kritiker« gelten, wie es heißt. Schlechte Karten also für einfache russische Menschen, die vor dem Krieg fliehen wollen.