Ausland27. April 2024

Der Krieg gegen Gaza geht weiter

USA-Militär will Hafen vor Gaza bauen. Israel bombardiert Rafah. Hunderte Leichen in Massengräbern gefunden

von Karin Leukefeld

Die Zahl der Toten im Krieg gegen Gaza steigt. Das Gesundheitsministerium des palästinensischen Küstenstreifens gab am Donnerstag die Zahl der Toten mit 34.305 an, die Zahl der Verletzten stieg auf 77.293 Personen. Zwei Drittel der Toten sind Frauen und Kinder. Innerhalb von 24 Stunden wurde 43 Leichen in lokalen Kliniken registriert, die bei israelischen Angriffen getötet wurden. Im gleichen Zeitraum wurden 64 Verletzte eingeliefert.

Die israelische Armee gibt die Zahl getöteter palästinensischer Kämpfer mit 13.000 an, legt aber keine Beweise dafür vor. Die Angriffe der Israelischen Streitkräfte finden im gesamten Gaza-Streifen und zunehmend auch gegen Rafah statt. Nach Angaben von Krankenhäusern wurden in der Nacht zu Donnerstag in Rafah fünf Menschen getötet, darunter zwei Kinder im Alter von 6 und 8 Jahren. Im Zentrum des Küstenstreifens wurden vier Menschen von israelischem Panzerfeuer getötet, als sie versuchten, in den Norden des Gazastreifens, woher sie stammen, zurückzukehren. Die zwei größten Städte im Gaza-Streifen – Gaza Stadt und Chan Junis – sind weitgehend von Israel zerstört worden. Rund 80 Prozent der Bevölkerung von Gaza wurden durch die israelischen Angriffe innerhalb des Küstenstreifens vertrieben.

Während die israelische Armee palästinensische Fischer aus dem Mittelmeer vor der Küste des Gazastreifens verjagt, hat das USA-Militär mit den Arbeiten an einem schwimmenden Hafen vor der Küste von Gaza begonnen. Nach Angaben des Pentagon-Sprechers Generalmajor Patrick Ryder sind mehrere Schiffe der Kriegsmarine der USA an dem Bauvorhaben beteiligt, man rechne mit einer Fertigstellung »Anfang Mai«. In dem Hafen sollen Hilfsgüter für die hunger- und notleidende Bevölkerung im Gazastreifens von großen auf kleinere Schiffe umgeladen und dann zu einem auf der Landseite errichteten Damm gebracht werden, wo sie ausgeladen und mit Lastwagen verteilt werden sollen. Hintergrund des Manövers ist, daß Israel sich weigert, die von Ägypten gelieferten Hilfsgüter in den Gazastreifen einfahren zu lassen. Damit will Israel angeblich verhindern, daß die palästinensischen Kämpfer Unterstützung erhalten.

Das Militär der USA steuert auch eine militärische Operation in Jordanien, mit der aus der Luft Paletten mit Hilfsgütern über dem Gazastreifen abgeworfen werden. Die Operation wird von Hilfsorganisationen kritisiert, weil sie ungenau und gefährlich ist. Mehrere Menschen kamen dabei bereits ums Leben. Die abgeworfenen Fertig-Mahlzeiten »Ready-to-Eat« beispielsweise sind nicht für Menschen geeignet, die mangelernährt oder krank sind.

Gaza als militärisches Übungsgelände

Die als »Hilfsoperationen« deklarierten militärischen Maßnahmen machen aus dem Gaza-Streifen ein militärisches Übungsgelände für Israel, die USA, Britannien, Deutschland und andere NATO-Staaten und einige ihrer arabischen Partnerländer. Jordanien wirkt als große Militärbasis, von wo die Flüge mit den Hilfsgütern starten. Die Republik Zypern ist – gegen den Willen der Bevölkerung – mit zwei britischen Luftwaffenbasen in den israelischen Krieg eingebunden. In Absprache mit der EU-Kommission und den USA wurde auch die Seepassage für Hilfsgüter in den Gazastreifen vereinbart.

Israel, das nach dem Internationalen Recht als Besatzungsmacht gegenüber den Palästinensern in der Verantwortung für deren Sicherheit und Versorgung steht, wird so entlastet, um seinen Krieg mit Waffen und Munition vor allem aus den USA (60 Prozent) und aus Deutschland (30 Prozent) fortsetzen zu können. Das wird bestätigt durch den jüngsten Bericht des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI.

Israel testet im Gazakrieg – auch für ausländische Auftraggeber wie die EU – neue, mit künstlicher Intelligenz gesteuerte Waffen sowie Überwachungssysteme. Auf dem Kriegsschauplatz wird gleichzeitig geübt, wie Millionen von Menschen innerhalb des abgeriegelten Gebietes konditioniert und gejagt werden. Durch die militärischen Angriffe auf die Palästinenser ausgelöste Obdachlosigkeit, Krankheit, Tod, Hunger und Elend werden zum Anlaß genommen, um sogenannte »humanitäre Hilfe« in die militärischen Vernichtungs- und Vertreibungskonzepte zu integrieren. Dazu gehört auch die Ausgrenzung der Organisationen der UNO, von Diplomatie und Verhandlungen, von politischen Lösungen.

Die rote Linie der modernen Zivilisation

In einem Interview mit dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera hat der chinesische Außenminister Wang Yi unter Verweis auf eine entsprechende Resolution des UNO-Sicherheitsrates einen sofortigen Waffenstillstand im Gazakrieg gefordert. Der Krieg habe »die rote Linie der modernen Zivilisation überschritten«, sagte Wang Yi. Das »historische Unrecht gegen die Palästinenser« müsse »korrigiert« werden. China sei entschlossen, mit internationalen Partnern daran zu arbeiten, den Krieg zu beenden und Hilfe für die Menschen durchzusetzen. China weise Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen der Palästinenser zurück, die kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung müsse ebenso gestoppt werden, wie eine mögliche regionale Ausweitung des Krieges zwischen Israel und Iran.

Hunderte Tote in Massengräbern

Im Al-Shifa-Krankenhaus als auch im Nasser-Krankenhaus haben während der Zeit der israelischen Belagerung und Besetzung im März möglicherweise Massenhinrichtungen stattgefunden. Darauf weisen Funde in Massengräbern in der unmittelbaren Nähe der beiden Kliniken hin. Entsprechende Vorwürfe waren bereits während der israelischen Belagerung der Kliniken von Augenzeugen erhoben worden. Nach dem Abzug der israelischen Streitkräfte Anfang April wurden zunächst in Al Shifa zwei Massengräber und dann im Nasser-Krankenhaus ein weiteres Massengrab mit Hunderten Toten gefunden. Allein im Nasser-Krankenhaus wurden in der vergangenen Woche 392 teils schon verwesende Leichname geborgen, die unter Sand und teilweise unter Abfall und Geröll verscharrt waren. Die Hohe Kommissar der UNO für Menschenrechte, der Österreicher Volker Kurd und andere fordern eine internationale Untersuchung. Ein internationales Untersuchungsteam benötigt allerdings die Einwilligung Israels zur Einreise in den Gaza-Streifen.

Angehörige der palästinensischen Zivilschutzkräfte haben die menschlichen Überreste, die u.a. in blauen und schwarzen Plastikfolien eingewickelt waren, geborgen, gezählt und in weiße Plastikfolien umgebettet. Palästinensische Familien, die Angehörige vermissen, haben an Ort und Stelle nach ihnen gesucht, einige haben sie unter den Toten entdeckt und beerdigt. Manche der Leichen wurden mit auf den Rücken gefesselten Händen gefunden.