Ausland06. September 2022

Strammstehen für Kiews Propaganda

Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak schweißten deutsche Medien zur Meute zusammen

von Arnold Schölzel, Berlin

Mit »Slawa Ukraini! – Ruhm der Ukraine« grüßte der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) am 24. August am Ende seiner Rede zum ukrainischen Nationalfeiertag wie schon bei seinem Besuch in Kiew im Juni. Die Grußformel war beide Male mit der Zusicherung verbunden, unbefristet Waffen zu liefern. Das Wohlwollen der ideologischen Statthalter der USA und der NATO in Kiew war ihm sicher. Die Eigeninteressen des deutschen Imperialismus im Ukraine-Krieg verschwinden hinter dem Nachbeten von deren Vorgaben.

»Slawa Ukraini!« ist Symbol einer medialen »Zeitenwende«: Via Kiew werden seit dem 24. Februar der Berliner Regierungspolitik und den angeschlossenen Medien Verhaltensmaßstäbe vorgegeben. Abweichungen werden von Sprechern des ukrainischen Präsidenten scharf gerügt, an der Spitze der inzwischen abberufene Botschafter Andrij Melnyk. Er konnte zeitweise täglich in deutschen Medien BRD-Repräsentanten folgenlos beschimpfen und Bekenntnisse zu seinem Vorbild Stepan Bandera abgeben.

Dabei geht es nicht nur um Geschichtspolitik, sondern auch um die aktuelle massenmörderische Praxis. Die von Banderas heutigen Anhängern begangenen Verbrechen seit 2014 sind Ausfluß derselben faschistischen Ideologie. Die deutschen Bürgermedien haben acht Jahre lang das Wüten dieser Banden und den von ihnen unter dem Titel »antiterroristische Operation« gestarteten Krieg gegen russischsprachige Ukrainer verschwiegen.

Für durchschnittliche deutsche Medienkonsumenten, zumal wenn sie in der alten BRD mit Russophobie sozialisiert wurden, hat er nie stattgefunden, gab es lediglich eine russische Aggression. Der deutsche Journalist Ulrich Heyden, der weiter aus dem Donbass berichtete und deswegen fast alle Auftraggeber verlor, veröffentlichte eine Sammlung seiner Texte in diesem Frühjahr unter dem Titel »Der längste Krieg in Europa«. Das Attribut ist richtig, das mediale Schweigen im Westen in diesen acht Jahren war die Voraussetzung für das, was die deutschen Konzern- und Staatsmedien seit dem 24. Februar veranstalten.

Oberstes Prinzip ist: Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee gibt es nicht. Werden selbst westliche Verbündete unruhig, weil etwa deren Artillerie ein AKW beschießt, tritt ersatzweise das Schweigegebot in Kraft. Allenfalls wird »berichtet«: Die Russen beschießen sich dort selbst.

Solche Propaganda hat weniger Parallelen im Kalten Krieg als im deutschen Faschismus. Der Angriff Rußlands lieferte den Rauchvorhang, um einen grundlegenden Wechsel in der Haltung zu faschistischen Verbrechen und deren Urhebern im ideologischen Überbau zu vollziehen: Der Mythos vom harmlosen Nazi, dessen Gruß auch der deutsche Kanzler entbietet, ist das Resultat. Die staatlich gelenkten Aufmärsche von Kollaborateuren und ehemaligen SS-Leuten in den baltischen Republiken wurden hier und da kritisch vermerkt, mit und über die Ukraine soll der Durchbruch gelingen.

Der war vor fast 70 Jahren selbst in der BRD nicht denkbar. Damals tummelten sich dort und speziell in München viele OUN-Veteranen. In der bisher einzigen wissenschaftlichen Bandera-Biographie des an der Freien Universität Berlin arbeitenden Historikers Grzegorz Rossolinski-Liebe – sie erschien 2015 in einem Stuttgarter Verlag auf Englisch und wurde nicht ins Deutsche übersetzt – beschreibt der Autor deren Lage so:

»Aufgrund der extremistischen Natur der OUN und ihrer Verwicklung in den Holocaust und andere Arten ethnischer und politischer Massengewalt während des Zweiten Weltkrieges und danach begannen OUN-Emigranten und UPA-Veteranen im Kalten Krieg, Dokumente zu fälschen oder zu manipulieren, um die eigene Geschichte weißzuwaschen.«

So seien etwa 1955 in einer Neuausgabe von Dokumenten unter dem Titel »Die OUN im Licht der Resolutionen der Großen Kongresse« Beschlüsse des sogenannten Zweiten Großen Kongresses der OUN in Kraków im April 1941, also unter der Aufsicht der deutschen Faschisten, wieder abgedruckt worden. Rossolinski-Liebe fügt an, daß die OUN laut der Originalresolution »einen faschistischen Gruß übernahm, der darin besteht, den rechten Arm ›leicht nach rechts, leicht über den Scheitel‹ zu heben, während man ›Slawa Ukraini!‹ sagt und ›Heroiam Slawa! – Ruhm den Helden!‹ antwortet. In der Ausgabe von 1955 wurde dieser besondere Teil des Textes ausgelassen.«

Solche Skrupel müssen die Herausgeber heutiger Dokumentensammlungen nicht mehr haben – erst recht kein Bundeskanzler. Meilensteine auf dem Weg deutscher Medien bis zu diesem Punkt waren der NATO-Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 und der in Afghanistan ab 2001. 2002 beschrieb das Werner Pirker in der Berliner Tageszeitung »jungen Welt« so: »Die mediale Begleitung des NATO-Krieges in Jugoslawien war Meutejournalismus der übelsten Art. Es war, als wäre die Erwachsenenwelt auf Kindergartenniveau zurückgefallen, andächtig den Märchen lauschend, die Jamie Shea (damals NATO-Sprecher, Anm. d. A.) oder Onkel Rudolf (SPD-Militärminister Rudolf Scharping, Anm. d. A.) erzählten.«

Anders sei das in Afghanistan: »Verglichen mit damals wirken die Erzeugnisse der Meinungsproduzenten im Angesicht des ›Krieges gegen den Terror‹ seltsam gequält und von des Gedanken Blässe angekränkelt.« Die Ursache: »Denn dieser nie dagewesene Krieg, der in Afghanistan begann, könnte zum internationalen Bürgerkrieg werden. Zum Krieg Reich gegen Arm, in dem die Reichen und die Armen entweder gemeinsam untergehen oder die Reichen früher oder später verlieren werden.«

Dieser Krieg findet weiterhin statt, und seine gefährlichste Front liegt gegenwärtig in der Ukraine. Die deutschen Hauptmedien wurden darauf getrimmt, für eine Entscheidungsschlacht dort zu mobilisieren. »Slawa Ukraini!« ist das passende Symbol für das Langfristprogramm, das mit dem stärksten Rüstungsschub der deutschen Geschichte gestartet wurde.