Ausland22. Dezember 2020

Es droht »eine Pandemie der Armut«

8 von 10 Arbeitslosen in Österreich können vom Arbeitslosengeld nicht leben

Die Zahl der Arbeitslosen hat auch in Österreich infolge von Coronapandemie und Wirtschaftskrise massiv zugenommen. Im November 2020 waren über 457.000 Menschen in Österreich arbeitslos. Das sind rund 25 Prozent mehr als im November des Vorjahres. Gleichzeitig ging die Zahl der offenen Stellen im November 2020 um über 18 Prozent auf etwas über 52.000 zurück. Damit stellen sich fast acht Arbeitslose um eine offene Stelle an. Das heißt sieben von acht Arbeitslosen können laufen, so schnell sie wollen, sie haben keine Chance auf einen Arbeitsplatz.

Langzeitarbeitslosigkeit explodiert

Regelrecht explodiert ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen, nämlich von knapp 88.000 im November 2019 auf über 163.000 im diesjährigen November. Das entspricht einem Zuwachs um 86 Prozent. Die Coronakrise ist dabei bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn die Zahl der Langzeitarbeitslosen wächst bereits seit einem Jahrzehnt kontinuierlich an. Seit 2010 hat sich die Zahl jener, die länger als ein halbes Jahr arbeitslos sind, mehr als verfünffacht!

Hintergrund für diesen starken Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht zuletzt die Austeritätspolitik, die ab Beginn dieses Jahrzehnts über die diversen EU-Verordnungen bzw. den EU-Fiskalpakt erzwungen wurde. Der Anteil der öffentlichen Nettoinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt fiel zwischen 2009 und 2015 fast auf die Hälfte. Die Steigerung öffentlicher Investitionen für eine ökosoziale Wende ist daher ein zentraler Schlüssel, um aus der hohen Arbeitslosigkeit rauszukommen und in Richtung Vollbeschäftigung umzusteuern.

»Pandemie der Armut«

Gleichzeitig muß aber den von Arbeitslosigkeit Betroffenen sofort geholfen werden. Denn wer in Österreich seine Arbeit verliert, verliert fast die Hälfte des Einkommens, da die Nettoersatzrate bei 55 Prozent liegt; nach zumeist einem halben Jahr Arbeitslosigkeit fallen Arbeitslose auf eine Notstandshilfe von 50 Prozent zurück. Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat daher vor kurzem vor einer »Pandemie der Armut« gewarnt. Laut Arbeitsklimaindex der AK OÖ sagen acht von zehn Arbeitslosen, daß sie vom Arbeitslosengeld kaum oder gar nicht leben können. Sie sind daher in hohem Ausmaß auf finanzielle Zuwendungen aus dem privaten Umfeld oder von der öffentlichen Hand angewiesen. Ein Viertel erhält Geld vom Lebenspartner, ein Zehntel von den Eltern oder Großeltern.

Rund die Hälfte der Arbeitslosen hat jedoch keinen Zugang zu zusätzlichen Finanzmitteln. Sie sind einzig und allein auf das Arbeitslosengeld angewiesen.
Es verwundert daher nicht, daß jeder zweite Arbeitslose angibt, sich durch die Arbeitslosigkeit in seiner Existenz bedroht zu fühlen. Auch die psychischen Folgen dieser Streßsituation sind gravierend: 46 Prozent der Arbeitslosen sind mit ihrem Leben nicht zufrieden – unter den Personen in Kurzarbeit oder regulärer Beschäftigung sind es unter 20 Prozent.

Rauf mit dem Arbeitslosengeld – sofort, dauerhaft und für alle!

Die Regierung hat versprochen, »niemanden in dieser Krise zurückzulassen«. Doch die Arbeitslosen werden nach wie vor mit Almosen in Form von Einmalzahlungen abgespeist. Was wir aber brauchen, ist eine sofortige und dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Die konservative Kanzlerpartei ÖVP lehnt diese Forderung kategorisch ab. Sebastian Kurz verhehlt auch nicht warum: »Es muß nach wie vor attraktiv sein, arbeiten zu gehen, gerade in niedrig qualifizierten Bereichen – von den Erntehelfern bis zu gewissen Jobs im Tourismus«, sagte Kanzler Sebastian Kurz in einem TV-Interview am 15. Juni 2020. Erntehelfer verdienen etwa 3,80 Euro in der Stunde. Der Kanzler weiß sich damit eines Sinnes mit Industriellenvereinigung und EU-Kommission, die schon lange Druck in Richtung Ausweitung des Niedriglohnsektors machen.

Auch die grüne Führung scheint zunehmend auf den türkisen Kurs einzuschwenken. Während die grüne Klubobfrau (Fraktionsvorsitzende) Sigrid Maurer im Frühjahr noch für eine generelle Erhöhung des Arbeitslosengeldes eintrat, rudert sie nun zurück. In einem »Krone«-Interview vom 18.10.2020 erklärt Maurer im Duett mit Koalitionspartner August Wöginger, daß sie sich die Einführung eines degressiven Arbeitslosengeldes vorstellen könne.

Was steckt hinter dieser Idee, die noch aus der Giftküche der Regierungszeit der ÖVP mit der rechten FPÖ stammt: Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto stärker wird das Arbeitslosengeld abgesenkt. Damit würde aber gerade jene, die am meisten von Armut betroffen sind, die Langzeitarbeitslosen, zurückgelassen und als Lohndrücker instrumentalisiert. Das zeigt eindringlich: Ein dauerhaft höheres Arbeitslosengeld ist nicht nur für die Arbeitslosen wichtig, um den Absturz in die Armut zu vermeiden. Es ist ebenso wichtig für die Beschäftigten, um Lohndumping und dem Angriff auf die Kollektivverträge entgegenzutreten.

Für eine breite Allianz gegen die Pandemie der Armut

Es gibt viele soziale und politische Kräfte, die für eine sofortige kräftige, dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes eintreten. Das Spektrum reicht von den Gewerkschaften, Arbeiterkammer, Caritas, SPÖ und Teilen der Grünen bis hin zu Arbeitsloseninitiativen und vielen anderen NGOs. Die Solidarwerkstatt und das Personenkomitee Selbstbestimmtes Österreich haben in den letzten Monaten viele Aktionen für ein höheres Arbeitslosengeld durchgeführt. Eine Aktionswoche zu diesem Thema im Februar 2021 ist in Vorbereitung.

Gerald Oberansmayr
Solidarwerkstatt
Österreich

(Foto: Solidarwerkstatt)