Ausland28. Juli 2022

Scharfe Konfrontation mit Macron soll sich auszahlen

La France insoumise will stärkste Opposition in Frankreich werden

von Ralf Klingsieck, Paris

In den Sitzungen der französischen Nationalversammlung geht es heute wieder lebhafter zu, mit Zwischenrufen, Unmutsäußerungen und scharfen Wortduellen, so daß der Sitzungspräsident oft mahnend eingreifen muß. Dieser Stimmungswandel liegt daran, daß Macrons Bewegung En marche ihre absolute Mehrheit verloren hat und das Parlament nicht mehr nur die Absichten des Regierungslagers abzunicken hat, sondern wieder zur Arena politischer Auseinandersetzungen und Entscheidungsfindungen geworden ist. »Das Machtzentrum hat sich verschoben vom Élysée, dem Sitz des Präsidenten, zum Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung«, hat es ein Kommentator auf den Punkt gebracht. Die Opposition, die sich aus dem linken Parteienbündnis Nupes, den rechtsbürgerlichen Republikanern LR und dem rechtsextremen Rassemblement National RN zusammensetzt, ist aus der jüngsten Parlamentswahl gestärkt hervorgegangen und läßt jetzt ihre Muskeln spielen. Doch die Rolle dieser drei Oppositionslager ist sehr unterschiedlich.

Die Republikaner werden vom Regierungslager hofiert, das sich von ihnen die nötigen Stimmen beim Votum über wichtige Gesetze erhofft und im Gegenzug bereit ist, den einen oder anderen LR-Änderungswunsch zu berücksichtigen.

Das RN setzt weiter auf den bereits vor Jahren durch Marine Le Pen eingeleiteten Kurs der »Entdiabolisierung«, um den durch ihren Vater Jean-Marie Le Pen gepflegten »Schmuddelcharakter« der Bewegung abzustreifen, damit RN eine »Partei wie jede andere« und somit regierungsfähig wird. Dadurch wirkt die RN-Fraktion, obwohl sie durch die jüngste Wahl von acht auf 89 Sitze angewachsen ist, in den Debatten erstaunlich gemäßigt.

Eine offensive Oppositionsrolle spielt vor allem das linke Parteienbündnis Nouvelle union populaire écologique et sociale (Nupes), und hier tritt die Bewegung La France insoumise LFI, auf die allein 75 der insgesamt 151 Nupes-Sitze entfallen, besonders kämpferisch auf. Die »Conflictualité«-Taktik, die von vielen LFI-Anhängern favorisiert wird, während sie von der Führung in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt worden war, ist mit Macht zurück. Durch harte Opposition zum Präsidenten und dessen Regierung erhofft sich die LFI-Führung heute ganz offensichtlich Einfluß auf die sozial benachteiligten Teile der Bevölkerung zurückzuerlangen, zumal die Rechtsextremen, die hier über Jahre stark an Boden gewonnen hatten, jetzt vergleichsweise zahm auftreten.

Das soll sich in Wählerstimmen auszahlen, wenn – wie von vielen Beobachtern erwartet wird – der Präsident über kurz oder lang das Parlament auflöst und Neuwahlen anberaumt, um seine absolute Parlamentsmehrheit zurückzuerlangen. Dabei ist aber eine gewisse Rollenverteilung bei den LFI-Politikern zu beobachten. Wieweit der LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon, der selbst nicht wieder für einen Sitz im Parlament kandidiert hat und sich seltener öffentlich äußert als früher, die Linie vorgibt und aus dem Hintergrund die Fäden zieht, läßt sich schwer einschätzen.

Besonders virulent treten die LFI-Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot und der aus Aktionen gegen Betriebsschließungen bekannte Abgeordnete François Ruffin auf. Besonders scharf war beispielsweise Panots Rede zur Begründung des Mißtrauensantrags gegen die Regierung, den LFI initiiert hatte, mit dem die Nupes-Opposition in der Nationalversammlung aber hoffnungslos allein blieb. Gemäßigter gibt sich Éric Coquerel, der den hart umkämpfen Posten des Vorsitzenden der sehr einflußreichen Finanzkommission erringen konnte, und Adrien Quatennens, der viel in den Medien auftritt, um die Argumente von La France insoumise zu verbreiten.

»Es gibt eine Vielfalt der Profile bei uns«, räumt die LFI-Abgeordnete Clémentine Autain ein. Zwischen Radikalität und Seriosität zu balancieren, sei eine Gratwanderung. »Das ist eine echte Herausforderung, die wir meistern müssen, denn andernfalls werden wir zu einer Karikatur unserer selbst.« Sie gibt aber auch zu bedenken, daß die Stellungnahmen ihrer Bewegung Reaktionen auf die sozialen »Radikalitäten« sind, denen viele Franzosen in ihrem tagtäglichen Alltag ausgesetzt sind. »Da dürfen wir nicht schweigen, andererseits aber auch nicht den Bogen überspannen.«

Auch wenn das Klima unter den Nupes-Partnern und damit die Zukunftsaussichten für das Bündnis von den meisten angesprochenen sozialistischen, grünen oder kommunistischen Politikern als »global positiv« eingeschätzt wird, so fehlt es doch auch nicht an Verstimmung, wenn wieder einmal ein LFI-Politiker mit plakativen und scharfmacherischen Angriffen auf Macron oder die Regierung aufgetreten ist. Doch das ist ein heißes Eisen und entsprechend vorsichtig wählt man die Worte.

»Grundsätzlich sind wir alle Träger der Wut und Radikalität im Land, doch unser Stil ist unterschiedlich und so äußert sich das dann auch im Parlament«, schätzt der kommunistische Abgeordnete Stéphane Peu ein. »Einige Kollegen von der LFI treten bewußt provokativ auf. Darunter kann die Glaubwürdigkeit leiden. Man sollte immer abwägen, ob der Stil den inhaltlichen Interessen dient oder abträglich ist.«