Spargelspitzen aus Berlin
In der Nacht zum vergangenen 12. März ging es los: Klammheimlich positionierte sich der deutsche Bundesgrenzschutz an den Grenzübergängen zu Luxemburg und richtete Kontrollposten ein. Die hiesige Regierung wurde darüber zwar in einer Note informiert, allerdings erst, nachdem Tatsachen geschaffen worden waren.
Jahrelang flöteten deutsche Regionalpolitiker in den höchsten Tönen über die grenzüberschreitende Freundschaft und das »Zusammenwachsen« in »unserem Haus Europa« (gemeint ist die EU). Für die Bürger an den jeweiligen EU-Binnengrenzen stellte diese Bewegungsfreiheit in der Tat einen der relativ wenigen Vorteile für sie im Rahmen dieses Staatenbundes dar. Allzu vieles blieb ihnen bis heute fremd, was da in Brüssel getrieben wird, und auch die zunehmenden Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten blieben nicht unbemerkt.
Manchen wird es daher kaum verwundert haben, daß Berlin zu Beginn der Corona-Krise in alte Reflexe verfiel. Grenzen schließen als Allheilmittel und, vermutlich viel eher als der Kampf gegen Corona, um Wahlkampf zu machen. Dabei mag es sinnvoll sein, im Rahmen einer, wie auch immer definierten, Terrorgefahr oder eines Krieges seine Grenzen zu verrammeln. Ein Virus läßt sich damit nicht aufhalten und schon gar nicht, nachdem es ohnehin bereits auf allen Seiten der Grenzen ist.
Während man sich in Berlin aufregte, daß Polen aus den selben Gründen seine Grenzen zur Bundesrepublik schloß und man Angst um die heilige Spargelernte hatte, weil nun die Billiglohnsklaven aus Osteuropa fehlten, wurden an den eigenen Grenzen zu Frankreich und Luxemburg plötzlich Familien getrennt und deren Besorgungswege gekappt. Autofahrer mit gelben Kennzeichen werden von den Einsatzkräften zum Datenstriptease gezwungen, und in den meisten Fällen endet diese Prozedur je nach Laune des Beamten, was ein »triftiger Grund« ist, mit der Umkehr. Gleichzeitig nutzen Grenzgänger von der Gegenseite mit Passierscheinen ihre Reisefreiheit, um gemütlich Tanken und Einkaufen zu gehen.
Das regt immer mehr Menschen hierzulande auf, obwohl die Reaktion auf die Grenzsperrung anfangs noch entspannt war. Von Berlin aus betrachtet mag jede Grenze weit sein, von Luxemburg aus fühlt es sich an, wie Hausarrest, bei dem die Freunde von nebenan zum Spielen kommen dürfen, während man selbst nicht zu ihnen kann.
Dabei soll es nicht darum gehen, die Nachbarn zu verunglimpfen, denn jeder nutzt natürlich seine Möglichkeiten. Es stellt sich vielmehr die Frage nach dem gesundheitlichen Nutzen dieser Schengen-Aushebelungen, auf welche die Franzosen nun mit einer eigenen Passierschein-Variante antworteten. Denn, während die Grenzen zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden sowie Belgien geöffnet bleiben, »weil die „Euregio“ zusammengewachsen ist und wir die Krise nur gemeinsam meistern können«, scheint dies in der vor Corona hoch gelobten »Großregion« offenbar nicht zu gelten.
Macht es einen Unterschied, auf welcher Seite der Grenze man sich an die Hygienevorschriften hält? Wäre es nicht sinnvoller, Warenketten und betriebliche Existenzen auf allen Seiten der Grenzregion möglichst wenig zu beeinträchtigen und stattdessen zusammen zu arbeiten? Aber die Art, wie Brüssel, sprich Berlin, Solidarität bei der Verteilung von einigen wenigen Kindern aus dem Elendslager Moria oder mit den südeuropäischen Staaten übt, deren Gesundheitssysteme durch die »Reformen« zertrümmert wurden, spricht hier Bände. Zwar hatte EU-Innenkommissarin Johansson vorige Woche erklärt, nach Ostern müsse Normalität an den Binnengrenzen einkehren, ob das jemanden in Berlin interessiert, ist eine andere Frage.