Leitartikel27. Oktober 2023

Leerstellen zu Lehrstellen!

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Kurz vor den Chamberwahlen hat die Chambre des salariés einen Mindestlohn für alle Auszubildenden gefordert. Zu seiner Finanzierung solle eine von allen in Luxemburg ansässigen Betrieben zu entrichtende Ausbildungsumlage eingeführt werden, die dann an die laut CSL derzeit 2.000 bis 2.200 Betriebe gehen soll, die ausbilden.

Damit die Anzahl der Ausbildungsplätze nicht Spielball der Personalplanung der Unternehmen bleibt, braucht es Gesetze, die diese zwingen, zumindest für ihren eigenen Bedarf an Fachkräften zu sorgen oder die Ausbildung über Bedarf in anderen Betrieben per Umlage zu finanzieren. Die Forderung nach einer gesetzlichen Ausbildungsumlagefinanzierung ist dabei keineswegs neu, sondern wurde zum Beispiel vom OGBL schon vor zwei Jahrzehnten erhoben.

Unter dem Slogan »Wer nicht ausbildet, soll zahlen!« machen sich auch die Kommunisten schon seit Jahren für eine gesetzliche Regelung stark, sämtliche Betriebe zu verpflichten, entsprechend ihrer Größe Lehrlinge auszubilden. Wer ausbildet, soll – unter Auflagen – bezuschußt werden, Betriebe, die sich der Ausbildung verweigern, sollen in einen nationalen Fonds einzahlen, mit dem dann fehlende betriebliche Ausbildungsplätze finanziert werden können.

Denn daß es in Luxemburg zu wenige betriebliche Ausbildungsplätze gibt, wird noch nicht einmal von den Patronatsorganisationen bestritten. Aber auch Staat und Gemeinden dürfen sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen, jedem Jugendlichen einen adäquaten Ausbildungsplatz anzubieten und die betriebliche Ausbildung insgesamt zu stärken. Statt fertigausgebildete Schreiner, Elektriker oder andere Handwerker einzustellen, könnte auch so manches Gemeindeatelier dazu beitragen, Leerstellen in Lehrstellen zu verwandeln.

Weil die vorgeschlagenen Umlagefinanzierungen zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben jedoch kaum ausreichen dürften, die quantitativen und noch weniger die qualitativen Probleme auf dem hiesigen Ausbildungsmarkt zu beseitigen, muß das Patronat wie von der KPL gefordert über einen zentralen Ausbildungsfonds an den gesamtgesellschaftlichen Ausbildungskosten beteiligt werden.

Doch auch das dürfte nicht genügen. Während die Überausbeutung von Praktikantinnen und Praktikanten als billige oder sogar kostenlose Arbeitskräfte mit gesetzlichen wie mit tariflichen Mitteln bekämpft werden muß, sollte die Berufsausbildung stärker als öffentliche Aufgabe definiert werden, damit eine qualifizierte Erstausbildung für alle ausbildungswilligen Jugendlichen aus staatlichen Mitteln garantiert werden kann.

Daß das geht, beweisen die Schweiz seit zwei und Österreich seit fünf Jahrzehnten. Parallel zu den betrieblichen Ausbildungen verfügen beide Alpenländer nämlich über ein vollwertiges schulisches Berufsausbildungssystem. So wird in Österreich das System der betrieblichen Ausbildung flächendeckend durch ein mehrgliedriges Angebot an schulischen Berufsausbildungen ergänzt. Es gibt die höheren berufsbildenden Schulen (BHS), die – nach der achtjährigen Pflichtschule – in fünf Jahren eine Doppelqualifikation vermitteln: das Abitur und eine anerkannte Berufsausbildung. Außer den BHS gibt es berufsbildende Vollzeitschulen (BMS) mit einem Berufsabschluß, der dem Abschluß einer betrieblichen Lehre gleichgestellt ist. Wer keine dieser beiden Schulformen wählt, absolviert in der neunten Jahrgangsstufe ein polytechnisches Jahr als Vorbereitung auf eine betriebliche Lehre.