Karsai verteidigt Ehegesetz
Tagelang herrschte Schweigen in der westeuropäischen Politik und den ihr angeschlossenen Medien über Berichte zu einem neuen Familiengesetz für Schiiten in Afghanistan, das Präsident Karsai bereits im März unterzeichnet hatte. Am Samstag wurde das Gesetz, das nach UNO-Auffassung Vergewaltigung in der Ehe legalisiert, aber Thema auf dem NATO-Gipfel. US-Präsident Obama nannte es in Strasbourg »abscheulich«.
Dann kam auch die Berliner Propagandamaschine in Schwung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte: »Nicht akzeptabel« und ließ über die Außenministerien Druck auf Kabul ausüben. (Immerhin hat der afghanische Chefdiplomat in der BRD studiert und promoviert.) Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), verlangte eine Kürzung der Entwick-lungshilfe und warf der Regierung in Kabul vor, Versprechen zur Einhaltung von Menschenrechten zu brechen. »Wenn solche Gesetze durchkommen, müssen wir unser Veto einlegen«, erklärte Nooke. Das funktioniere »nur über Geld«.
Auf die Drohung mit Geldentzug reagierte Protektoratsverwalter Karsai prompt. Einerseits verteidigte er das Ehegesetz gegen »Mißverständnisse«, kündigte zugleich aber eine Überprüfung an. Die Berichte im Westen seien womöglich auf »unangemessene oder nicht so gute Übersetzungen« zurückzuführen, meinte er. Dennoch habe er das Justizministerium angewiesen, »jeden einzelnen Punkt des gesamten Gesetzes sehr, sehr genau« zu prüfen. Sollte dabei etwas Besorgniserregendes gefunden werden, werde das Gesetz noch einmal an das Parlament zurückgegeben.
Das Gesetz, das Präsident Karsai am Donnerstag unterzeichnete, zwingt Ehefrauen dazu, mindestens alle vier Tage mit ihrem Mann zu schlafen. »Solange der Mann nicht auf Reisen ist, hat er jede vierte Nacht das Recht auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau«, bestimmt Artikel 132 des neuen Gesetzes zur Regelung des Familienlebens unter den Schiiten in Afghanistan. Diese stellen rund 20 Prozent der Bevölkerung.
Erstmals nach der Bekanntgabe der »neuen US-Strategie« für Afghanistan reisten am Wochenende US-Generalstabschef Michael Mullen und der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, nach Afghanistan. Nach Angaben eines Sprechers waren Gespräche mit Vertretern mit der afghanischen Regierung sowie mit Militärverantwortlichen geplant. Am Montag traf auch die deutsche Kanzlerin Merkel in Begleitung ihres Kriegsministers Jung (CDU) in Kabul ein, um sich, wie Agenturen meldeten, »von den Fortschritten beim Wiederaufbau zu überzeugen«. (jW/ZLV)